Herr Montavon wird jetzt freundlich gegrüßt

Hasko Weber (links) und Guy Montavon. Freundlich distanzierte Annäherung der Theater Weimar und Erfurt. Foto. mip
Hasko Weber (links) und Guy Montavon. Freundlich distanzierte Annäherung der Theater Weimar und Erfurt. Foto. mip

Gemeinsame Vorstellung heute Vormittag. Auftritt. Ansage. Abgang. Die Theater Erfurt und Weimar arbeiten künftig zusammen.

Ist das eine Nachricht von öffentlichem Interesse? Aber ja! Im städtischen Werkausschuss des Theaters Erfurt soll sogar Jubel ausgebrochen sein. „Im Anfang ist das Wort“, „Faust. Der Tragödie erster Teil“ kommt aus Weimar auf die Bretter des Theaters Erfurt. Das ist der Anfang am 15. Oktober 2014, wenn eine „neue Ära zwischen den Theatern beider Städte beginnt“, wie Erfurts Intendant Guy Montavon heute ein bisschen pathetisch plaudert. Sein Weimarer Kollege Hasko Weber spricht mit ernstem Ton von einer „Zusammenarbeit ja, unbedingt“ und sagt, „das muss man ausprobieren“.

Nach dem „Faust“ von Hasko Weber, einem Gastspiel mit fünf Vorstellungen, folgt der „Wallenstein“ von Weber in Kooperation mit Erfurt, gleich nach der Weimarer Premiere in Erfurt am 11. Februar 2015. Kooperation, das ist ein Schritt aufeinander zu. Das Budget wird aufgeteilt. Hasko Weber macht seine eigentliche Intention deutlich: „Wir wollen zusammen eine Produktion denken.“ Der nächste Schritt heißt Koproduktion.

Es geht nicht vordergründig ums Geld und wie viele Euro gespart oder künftig anders ausgegeben werden, wie einer aus der Medienmeute, dem ausgesuchten Publikum in Erfurt, den Intendanten einreden will. Es geht um die ernsthafte Absicht, eine Zusammenarbeit zu beginnen, die von beiden Häusern und den Menschen, die dort arbeiten, gewollt ist und akzeptiert wird. Und es geht darum, dem Publikum ein Angebot, zunächst in Erfurt, zu machen, das es bisher nicht gibt.

Die Künstler, die Kräfte hinter der Bühne, die Theaterleitungen gehen offen aufeinander zu, die Scharmützel der letzten 20 Jahre sind Geschichte. Bei Hasko Weber sowieso, Guy Montavon, das merkt man, leckt noch Wunden. Es geht auch um einen Mentalitätswandel und für Hasko Weber um die spannende Frage: Kommt Erfurter Publikum ins Erfurter Theater, wenn die Weimarer spielen? Ins Deutsche Nationaltheater Weimar fahren Erfurter Theatergänger, das war schon immer so. Aber, so Webers Hoffnung, kommt jetzt ein Erfurter Publikum ins Erfurter Theater, das sonst nicht den Weg nach Weimar findet?

Bis 2017, so lange läuft der Vertrag von Montavon, gehen die Gedankenspiele der beiden Intendanten. Eine gemeinsame Operninszenierung ist dabei, ein Austausch von Künstlern, aber die Orchester bleiben davon unberührt. Überhaupt, das macht Weber deutlich: „Die Identitäten beider Theater in ihren Städten ist unverzichtbar. Das ist ernst zu nehmen.“

Die Intendanten, das macht die kurze, gemeinsame Vorstellung am Vormittag deutlich, gehen ernsthaft, kollegial, ein wenig distanziert miteinander um, aber sie gehen aufeinander zu. Im Weimarer Theater, plaudert Herr Montavon dann doch noch aus dem Nähkästchen, werde er jetzt freundlich gegrüßt. (mip)

Nachtrag: Am 01.03.2014 veröffentlicht auf Papier und im Netz.


„Sonnensucher!“ und Schattenseiten

Einladung zum Schauen. Die Kunstsammlung der Wismut in der Orangerie Gera.
Einladung zum Schauen. Die Kunstsammlung der Wismut in der Orangerie Gera.

Von Kunst ist die Rede, nicht von Krise. Und nicht von den Schattenseiten, denn die Kunstsammlung Gera und die Museen der Stadt werden kaputtgespart.

In der Orangerie, Ort der Kunstsammlung Gera, drängen sich Hunderte von Gästen. Die Ausstellung „Sonnensucher! Die Kunstsammlung der Wismut – Eine Bestandsaufnahme“ wird eröffnet. Es ist wie bei einem Klassentreffen nach 25 oder mehr Jahren. Dutzende Besucher haben extra ihre Bergbau-Uniformen angezogen, sie begrüßen und erinnern sich. Die Wismut war und ist ihr Leben. Die zu eröffnende Ausstellung erzählt diese Geschichte und Geschichten in 150 Bildern, Grafiken und Objekten sowie auf langen Texttafeln.

Ist das Kunst? Das Vor-Urteil vom „Streitfall Kunst“ schwebt immer noch und immer wieder über jeder Ausstellung, die Bilder und Grafiken aus der DDR-Zeit ans Licht der Öffentlichkeit holt. Aber der distanzierte und differenzierte Blick auf Kunst und Künstler, auf die Umstände der Zeit und jenseits ideologischer Verklärung setzt sich langsam durch. Das Publikum kommt und schaut und diskutiert, manche Medien spitzen zu, Kunstwissenschaftler bewerten kritisch, aber sie verreißen oder verurteilen nicht mehr wie einst in der skandallösen Weimarer Schau 1999.

Renaissance von Kunst aus der DDR
Thüringens Kulturminister Christoph Matschie ist extra zur Eröffnung nach Gera gekommen, redet über die Renaissance von Kunst aus der DDR, die Identität stiftende Wismut-Sammlung und ein kulturelles Erbe, das es zu erhalten gilt. Er lässt sich, gemeinsam mit Geras Oberbürgermeisterin Viola Hahn und Wismut-Geschäftsführer Hardi Messing, vor dem monumentalen, propagandistischen Gemälde „Uran“ (1971) von Hans Hattop (1924-2001) fotografieren. Der Maler und Autodidakt aus Meiningen, nicht zu verwechseln mit seinem Onkel gleichen Namens, hat hier ein ideologisch aufgeladenes, im Stil des sozialistischen Realismus gemaltes, künstlich wirkendes Bild abgeliefert.

Ganz anders der Künstler Lutz R. Ketscher (geb. 1942 in Gera), dessen Bild „Schichtbus“ (1983), hinter dem Rednermikrofon des Ministers an der Wand hängend, eine andere Perspektive der Ausstellung deutlich macht. Müde, in sich zusammengesunkene Wismut-Kumpel im Bus. Dahinter rauchende Schlote inmitten der Bergbaulandschaft. Einzelne, aufflackernde Lichter. Mehrfache Spiegelungen durch das Fenster des Busses. Insgesamt eine düstere, melancholische Grundstimmung, die von dem Bild ausgeht. Beginnend in den 1970er-Jahren und danach noch stärker, werden Arbeitswelt und Arbeiter der Wismut kritischer, widersprüchlicher und vor allem künstlerisch (nicht künstlich) reflektiert.

Geschichte und Gegenwart künstlerisch hoch verdichtet
Die Ausstellung „Sonnensucher!“ war zuvor unter dem Titel „Schicht im Schacht“, in einer anderen Werkauswahl, in der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz zu sehen (Freies Wort berichtete), dort mit 6.500 Besuchern die erfolgreichste Schau der letzten zehn Jahre. In der kleinteiliger strukturierten Orangerie in Gera hängen mehr Gemälde, sind vor allem Künstler aus der näheren Region präsent. Wichtige Schlüsselwerke sind vertreten wie Bernhard Heisigs Historiengemälde „Die Geraer Arbeiter am 15. März 1920“ (1960/1984). Oder der „Boxer in den Seilen“ (1983) und weitere Bilder von Alexandra Müller-Jontschewa (geb. 1949, lebt in Weida), die Geschichte und Gegenwart künstlerisch hoch verdichtet gestalten.

Die grafischen Arbeiten in der Ausstellung scheinen etwas unterbelichtet präsentiert, aber hier kommt in der Regel die Kunst zu ihrem Recht. Die Künstlerliste umfasst viele Namen, die in der DDR gehandelt und geschätzt wurden, von den großen Leipziger bis zu den verbotenen Chemnitzer Künstlern.

Prekäre Lage der Museen in Gera
Was ist mit Krise in Gera, mit den Schattenseiten der „Sonnensucher“? Ein Indiz: Die Ausstellung ist fünf Tage die Woche nur 25 Stunden geöffnet. Normal waren bisher sechs Tage und 42 Stunden. Die Stadt muss mehr als 100 Millionen Euro binnen zehn Jahren einsparen, die Kultur muss das auch ausbaden. Die eintägige Schließung aller Museen und der Kunstsammlung in Gera am 7. November 2013 (geplant war viel länger) sorgte für einen Aufschrei in Deutschland und ein negatives Image, das Gera anhängt. Das sagt der Chef des Fördervereins der Kunstsammlung Ulrich Schütt. Der Einspareffekt durch verkürzte Öffnungszeiten sei gering und nicht lange durchzuhalten, meint er. Minister Matschie und OB Hahn verlieren kein öffentliches Wort über die Begleitumstände der Ausstellung und die prekäre Lage der Museen in Gera.

Kunst- und Museumslandschaft muss rekultiviert werden
Im Gegenteil. Sie wollen, dass die Sammlung Wismut-Kunst, rund 4.200 Werke, in Gera eine Heimstatt bekommt, wie OB Hahn zur Ausstellungseröffnung betont. Dabei soll das Museum für Angewandte Kunst Gera komplett geschlossen werden. Frei werdende Personalstellen in den Museen werden schon lange nicht mehr wieder besetzt, sie werden kaputtgespart. Einen Plan hat die Otto-Dix-Stadt nicht, wie sie mit ihren Museen, Sammlungen und Häusern umgehen will.

Die Wismut GmbH wirbt mit „Neuen Perspektiven. Für Mensch und Umwelt“ und rekultiviert die geschundene Landschaft. Die Kunst- und Museumslandschaft in Gera muss auch rekultiviert werden. (mip)

Ausstellung in der Orangerie Gera, Orangerieplatz 1
Laufzeit bis 21. April 2014
Geöffnet Mi-So und feiertags 12-17 Uhr

Umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Vorträgen, Filmen und Diskussionen:
Informationen über Dresdner Institut für Kulturstudien e. V.
Telefon: 0160-94804042 | E-Mail: claudia.petzold@tu-dresden.de

Empfehlenswerter Katalog zur Ausstellung:
224 Seiten; 241 Abbildungen; 19,90 Euro


Die Farben der Demokratie

Weimar_Tagungsraum

Weimar gehört zu den herausragenden deutschen Orten, wo politische Geschichte geschrieben wurde. Die Tradition der „Weimarer Republik“ soll künftig permanent präsentiert und vermittelt werden.

Vor 95 Jahren erwachte das kleine Weimar aus einem Dornröschenschlaf. Am 21. Januar 1919 verkündete die Reichsregierung, die verfassungsgebende Nationalversammlung nach Weimar einzuberufen. Bereits am 6. Februar konstituierte sich die Versammlung der 423 Abgeordneten im Deutschen Nationaltheater.

Eine neue Ausstellung im Stadtmuseum erzählt die Geschichte und Geschichten über die „Demokratie aus Weimar. Die Nationalversammlung 1919“, die den Ort für 197 Tage in einen Ausnahmezustand versetzte. Der Kurator und Direktor des Stadtmuseums, Alf Rößner, hat in dreijähriger Arbeit ungezählte zeitgeschichtliche Originale und Dokumente zusammengetragen, Modelle bauen und Medienpräsentationen erstellen lassen. Er hat mit einem vergleichsweise kleinen Budget eine sinnliche und informative Ausstellung gebaut.

Der erste Eindruck ist überwältigend, die Fülle der Objekte und Informationen muss der Besucher erst einmal aufnehmen, sortieren und einordnen. Auf der zentralen Sichtachse in der Ausstellung begegnen sich mit gehörigem Abstand Kaiser Wilhelm II. und Friedrich Ebert Auge in Auge, der letzte Monarch und der erste Präsident. Zwei Porträts, die das politische Spannungsfeld 1918/19 symbolisieren. Der Erste Weltkrieg bildet den Einstieg in die Präsentation mit Bildern wie „Erste Siegesnachricht“ und „Todesnachricht“, dem in Weimar bei Kiepenheuer verlegten Buch „Der Heilige Krieg“, mit Orden erst aus Gold und Silber, zum Kriegsende aus Blech.

Warum Weimar? Weil die „Kleinstadt ruhiges, konzentriertes Arbeiten ermöglichte“, weil nur „eine geringe Gefahr revolutionärer Unruhen bestand“, weil der „klassische humanistische Geist die Wandlung des politischen Geistes sichtbar machen sollte.“ Für die Bürger der Stadt bedeutete die Nationalversammlung einen Ausnahmezustand. Rigorose Sicherheits- und Ausweiskontrollen, über 4.000 Soldaten. Privathäuser wurden als Quartiere genutzt, weil Hotelbetten fehlten. Der Versammlungsort, das Deutsche Nationaltheater, wird im damaligen Bauzustand als Modell 1:100 rekonstruiert, der Tagungsraum virtuell reproduziert.

Die Nationalversammlung war ein Mega-Medienereignis. Über 1.000 Journalisten besuchten Weimar, der extra eingerichtete „Zeitungs-Flugdienst Berlin-Weimar“ sorgte täglich für neue Zeitungen. Ein provisorisches Telegraphenamt wurde errichtet. Am 31. Juli 1919 verabschiedete die Nationalversammlung die Verfassung des Deutschen Reiches. Erstmals wehten die Farben der Demokratie Schwarz-Rot-Gold vor dem Nationaltheater. „Der große Tag des deutschen Volkes“ wird in einem historischen Film aus dem Bundesfilmarchiv lebendig.

Fünf Jahre soll die Ausstellung stehen. Und dann, zum 100. Jubiläum? Museumsdirektor Alf Rößner gibt die Frage an Stadtkulturdirektorin Julia Miehe weiter. Das Projekt „Haus der Demokratie“ geistert seit Jahren durch die Stadt. Ein Museum und „Lernort der Demokratie“ gegenüber dem Nationaltheater, wo jetzt noch das alte Bauhaus-Museum steht? Oder in das Areal des ehemaligen Gauforums integriert? Als Dependance des Deutschen Historischen Museums? Land und Bund sind hier gefordert, Flagge zu zeigen, die Farben der Demokratie, die 1919 in Deutschland in Weimar erstmals zu sehen waren. (mip)

Stadtmuseum Weimar, Karl-Liebknecht-Straße 5-9 / geöffnet Di-So 10-17 Uhr. Im Laufe der Ausstellung erscheint ein Katalog.