„Blütenlese der Zeichenkunst“

Was? Die wollen schon Bilanz ziehen? Sie feiern runde Geburtstage und bekommen eine Ausstellung „Unterm Strich“  im Angermuseum Erfurt. Sieben Künstlerinnen und Künstler aus Thüringen präsentieren neuen Handzeichnungen. Sehenswert.

Der Doyen der zeitgenössischen Künstler in Thüringen, Heinz Scharr.
Der Doyen der zeitgenössischen Künstler in Thüringen, Heinz Scharr.

Heinz Scharr wurde am 1. Juli 90 Jahre alt. Der Doyen der zeitgenössischen Künstler in Thüringen sprüht vor Lebenskraft, Energie und Eigensinn. Das spürt der Betrachter bei einer Begegnung mit dem Menschen und seinen jüngsten Arbeiten, der fünfteiligen Serie „Am Fuß der Berge“, je zwei Blätter, Diptycha, Scharrs Blick auf die Kultur- und Naturlandschaft. Die Linien toben hinauf zu den Gipfeln. Unten noch scheinbar undurchdringliche Fläche, nach oben hin scheint Licht durch. Da brodelt und brennt ein Künstler voller Energie, die sich mit Tusche und Rohrfeder auf edlem Japanpapier entlädt.

Sieben Künstler "Unterm Strich" im Angermuseum Erfurt.
Sieben Künstler „Unterm Strich“ im Angermuseum Erfurt.

Sieben Künstlerinnen und Künstler aus Thüringen feiern in diesem Jahr runde Geburtstage, 60 plus, und lassen sich auf eine Ausstellung „Unterm Strich“ im Angermuseum Erfurt ein. Das mag ein Anlass sein, aber noch kein Grund für eine gemeinsame Schau. Den stiften Kuratorin Cornelia Nowak und Direktor Kai Uwe Schierz mit ihrer Idee, neue Arbeiten aus den Ateliers der gestandenen Künstler, Handzeichnungen, im Angermuseum auszustellen.

Der Ausstellung gelingt etwas ganz Bemerkenswertes. Sie ermöglicht Einblicke auf die Qualität und Vielfalt zeitgenössicher Kunst aus Thüringen, die Kuratorin Cornelia Nowak zu Recht als eine „Blütenlese der Zeichenkunst“ heraushebt. Sie und Kai Uwe Schierz besuchten die Künstler in ihren Ateliers, wählten rund 200 Arbeiten für die Ausstellung aus, entstanden nach dem Jahr 2000, alles Handzeichnugen: von Heinz Scharr (90 Jahre, lebt in Utterode/Südharz), Gerda Lepke (75, Gera), Gerd Mackensen (bald 65, Sondershausen), Jost Heyder (bald 60, Erfurt), Uta Hünninger (60, Erfurt), Ullrich Panndorf (60, Weimar), Walter Sachs (bald 60, Weimar).

Künstler unter sich. Gerd Mackensen "Voodoo-Serie" an der Wand, davor Jost Heyder und Ullrich Panndorf im Gespräch.
Künstler unter sich. Gerd Mackensen „Voodoo-Serie“ an der Wand, davor Jost Heyder und Ullrich Panndorf im Gespräch.

Allen sieben Künstler reflektieren in ihren Handzeichnungen Gegenwart, Leben, Kultur- und Naturlandschaft. Sie lassen sich an- und aufregen von materiellen und geistigen Verhältnissen, persönlichen Begegnungen und Büchern. Sie blicken distanziert auf die äußere Welt und differenziert auf innere Zustände von Menschen, oft von sich selbst. Gerda Lepke beobachtet und zeichnet „das große Lichttheater der Natur“, schreiben Schierz und Nowak im Katalog. Gerd Mackensen läßt sich von Voodoo inspirieren, zerpflückt ein Buch über diesen Kult. Buchseiten dienen als Bildträger: 24 Zeichnungen auf einer Wand, immer Zwei im „Dialog“, Geschichte und Gegenwart, traurig und fröhlich, abgründig und hintersinnig.

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„Köpfe“ von Jost Heyder und einer Ausstellungsbesucherin. Alle Fotos: miplotex

Sachs, Panndorf, Heyder und Hünniger blieben in und flohen aus der DDR. Ihre Handschriften und Zeichnungen sind unverwechselbar bei allen Brüchen und Umbrüchen. Walter Sachs: opulenter, ironischer Erzähler mit ganz wenigen Strichen. Ullrich Panndorf: erinnert sich und meditiert, kehrt das Innerste nach Außen. Jost Heyder: Porträtist und Skeptiker, Eros und Tod, so viel Theater in der Welt, das hier fehlt. Uta Hünniger: Auf der Suche nach (der verlorenen) Zeit, angeregt von Proust, gestaltet sie innere Zustände faszinierend und irritierend.

In sieben literarischen Texten, im Katalog, nähern sich sieben Autoren, u. a. Jens-Fietje Dwars, Nancy Hünger und Matthias Biskupek, auf ganz persönliche Weise Leben und Werk der Künstler. Uwe Steinbrück fotografierte sie in ihren Ateliers. Gestus und Ort verraten und verhüllen Geheimnisse künstlerischer Arbeit. Der gediegen gestaltete Katalog (von Gerd Haubner) erscheint in der edition burgart von Jens Henkel in Rudolstadt, knüpft an die zehnteilige Reihe „Künstler in Thüringen“ an, unbedingt empfehlenswert. Aus dem sehr umfangreichen Begleitprogramm sei auf den „Museums-Salon“ verwiesen: ausstellende und schreibende Künstler und Autoren im Dialog mit anderen Künstlern.

Mit 60 plus ist es noch viel zu früh für ein abschließendes Fazit „Unterm Strich“. Viel mehr noch: Die Künstler werden gelassener und impulsiver, souveräner und spontaner. Sie werden noch besser, wie ein guter Wein. (miplotex)

Ausstellung bis 21.09.2014
geöffnet Di-So 10-18 Uhr
Katalog zur Ausstellung 184 Seiten, 20 Euro

Eine gekürzte Fassung dieses Beitrages erschien gedruckt und als ePaper in Freies Wort Suhl sowie online insuedthueringen.de