Im Rausch im Museum zwitschern

Tweetup. Schon wieder so ein neumodischer Begriff, der auch in Museen und anderen Kultureinrichtungen auftaucht.

Und mit ihm Menschen, Besucher, ein Publikum, die mit ihren Smartphones und Tablets aus vermeintlich heiligen Hallen twittern. Also zwitschern, berichten und Fotos senden über das, was sie gerade sehen, hören und empfinden. Darüber informieren die Twitterer ihr Publikum im digitalen und realen Raum.

Das liest sich ziemlich kompliziert. Das ist es auch für jene, die mit den neuen Medien nichts oder wenig anzufangen wissen. Der Tweetup verbindet Menschen im realen Raum, zum Beispiel im Museum, und im digitalen Raum, externe Follower oder User, die im Internet die Informationen aufnehmen, kommentieren und Fragen stellen. Bis zu 140 Zeichen Text und Fotos können mit dem Kurznachrichtendienst Twitter und über das Internet in die digitale Welt gesendet werden. Klaus Hofmann und Marlene Hofmann haben über den Tweetup „Digitaler Musenhof“ zum Internationalen Museumstag 2013 in den Thüringer Museumsheften 2/2013 berichtet.

Komplexe Sache unter komplexen Bedingungen: Twittern im Museum. Foto: mip
Komplexe Sache unter komplexen Bedingungen: Twittern im Museum. Foto: mip

Jetzt liegt ein gedrucktes Heft vor, das über „Tweetups in Kultureinrichtungen“ eine Bestandsaufnahme wagt, Erfahrungen vermittelt und Praxisbeispiele vorstellt. Dieser Überblick macht deutlich, dass mit Tweetups eine neue Vermittlungsform existiert, die jenseits der klassischen Medien und Kommunikationskanäle Öffentlichkeit schafft, Aufmerksamkeit generiert und den unmittelbaren Austausch zwischen Institutionen, zum Beispiel dem Museum, und Personen, dem Publikum, ermöglicht.

Einer der Autoren, Christian Gries, beschreibt Tweetups als „inszenierte Kommunikation“ mit einer eigenen Dramaturgie, er schreibt von wesentlichen und überflüssigen Tweets. Das komplexe Agieren der Twitterer, darauf gehe ich noch ein, bezeichnet er als „einen vorsichtigen Rauschzustand“. Da ist etwas dran. Wer selbstkritisch seine Internetaktivitäten reflektiert, weiß um die Gefahren, sich wie „im Rausch“ im digitalen Raum zu verlaufen.

Tweetups zu produzieren erfordert komplexe Fähigkeiten unter komplexen Bedingungen. Dabei gehen die Autoren des Hefts von einer exklusiven oder zumindest besonderen und einmaligen Situation aus, in der sich die Twitterer befinden. Zum Beispiel eine Kuratorenführung im Museum vor Eröffnung einer Ausstellung oder einer Direktorenführung, bei der exklusive Informationen vermittelt werden. Der Museumsexperte redet, erklärt, informiert, zeigt, macht aufmerksam. Die kleine Gruppe von Besuchern füttert zeitgleich ihre Smartphones und Tablets mit Kurztexten, fotografiert und sendet Texte und Bilder aus dem Museum in die digitale Welt.

Halt. Geht das so einfach? Natürlich nicht. Der komplexe Vorgang, auch Multitasking genannt, ist das eine. Schon die geteilte Aufmerksamkeit gegenüber dem durch die Ausstellung führenden Museumsexperten kann diesen irritieren und einen direkten Austausch vor Ort verhindern oder erschweren. Wir haben es hier mit einer Kommunikationssituation zu tun, die zum Beispiel an professionelle Journalisten, die live berichten, höchste Anforderungen stellt. Bei allem Respekt, aber „normale“ Besucher sind hier überfordert. Es sei denn, dass die Inhalte und die Dramaturgie der Tweetups, die Berichterstattung, zu vernachlässigen sind. Frei nach dem Motto, das Medium ist die Message.

Der Dialog im Museum, zwischen den Besuchern und mit dem Museumsexperten, tritt zurück. Das Zwitschern im digitalen Raum dominiert und schafft ein größeres Publikum, nämlich die externen Besucher im Netz, die das Twittern in Echtzeit verfolgen. Eine mögliche und auch tatsächlich absurde Situation entsteht dann, wenn die Besucher vor Ort, im Museum, sich via Kurznachrichtendienst Twitter über das Gesehene, Gehörte, Erlebte austauschen und nicht miteinander reden.

Schließlich existieren reale räumliche, technische und bürokratische Bedingungen im Museum, die Tweetups erschweren bzw. unmöglich machen. Freier W-LAN-Zugang im Museum ist in der Regel nicht gegeben, mobiler Webzugang nicht überall möglich. Fotografieren im Museum ist oft nicht gestattet, weil das Urheberrecht, Leihgeber oder konservatorische Bedingungen das verbieten. Da lässt sich leicht fordern, wie im Heft geschehen, das Urheberrecht möge geändert werden. Urheber sehen das naturgemäß anders.

Meine kritischen Anmerkungen ändern nichts an meiner positiven Grundeinstellung zu modernen Medien, insbesondere zu sozialen Medien, die neue Kommunikationsräume eröffnen, die Menschen, nicht nur in Museen, unmittelbar ansprechen und einbeziehen. Wie im richtigen Leben wird es immer eine Balance geben müssen zwischen tradierten und modernen Kommunikationsformen.

Um auf die realen Verhältnisse in Thüringer Museen zu reflektieren. Manche verfügen noch nicht einmal über eigene Internetseiten oder sie können nicht direkt auf sie zugreifen, um selbst Informationen zu verbreiten. Eigenes Fachpersonal für die dringend notwendige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist in Museen die Ausnahme. An Social-Media-Manager, wie es sie in großen Unternehmen mittlerweile gibt, ist im Kulturbereich gegenwärtig nicht zu denken. Kompetenz einzukaufen, wie zum Beispiel die Kulturkonsorten München, die das Heft herausgegeben haben, scheitert oft an der Finanzierung.

Trotzdem. „All you tweet is love“ ist eine notwendige, liebenswürdige und lesenswerte Bestandsaufnahme, wie moderne Medien Einzug in unser reales Leben halten. Museen und ihre Mitarbeiter müssen auch in der digitalen Welt präsent sein, um Besucher in ihre Häuser zu locken. (miplotex)

All you tweet is love. Tweetups in Kultureinrichtungen. Herausgegen von den Kulturkonsorten – Netzwerk für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Kommunikation im digitalen Raum. 68 Seiten, 11punkt Verlag Bonn 2013. Preis 9,99 Euro.

Geschrieben im April 2014. Zuerst veröffentlicht in Thüringer Museumshefte 1/2014, Seite 75 bis 76.