StipVisite in Erfurt

Gesicht zeigen ist nicht angesagt

Der neue Kulturminister war angefragt. Seine Staatssekretärin kam in Vertretung nicht. Der Oberbürgermeister war angekündigt. Er war abwesend. Eine Vernissage in Erfurt sagt viel über das Verhältnis von Politikern zur zeitgenössischen Kunst und Künstlern.

So sind nun mal die Verhältnisse im Freistaat Thüringen. Politiker sind so frei und nehmen Einladungen nicht an. Sie werden ja auch zu allen möglichen Anlässen, Festen, Feiern und eben auch zur Kunst eingeladen, um auf einer Vernissage vielleicht auch noch zu reden. Was sollen sie den Künstlern und Gästen bei der Gelegenheit auch sagen?

Die Ausstellung „StipVisite“ stellt den künstlerischen Ertrag der beiden Stipendiaten für Bildende Kunst des Jahres 2014 vor. Der Freistaat Thüringen und die SparkassenVersicherung sponsern für ein Jahr zwei Künstler mit jeweils 10.000 Euro. Die Beiden, ausgewählt von fachkundigen Menschen, sollen ein Jahr lang ein künstlerisches Projekt umsetzen. Sie bekommen zum Stipendium eine Ausstellung und einen Katalog, eine „StipVisite“.

Beate Debus und Marc Jung sind die beiden Stipendiaten, die seit dem 6. Februar die „StipVisite“ in der städtischen Erfurter Galerie Waidspeicher bespielen. Beate, die ich schon lange kenne und deren Kunst ich sehr schätze, stellt 40 Arbeiten aus unter dem Titel „Gesicht Maske Maske Gesicht“. Sie ist eine national und international anerkannte, mit Preisen und Stipendien ausgezeichnete Künstlerin. Sie ist Bildhauerin, zeichnet, schneidet und faltet Reliefs. Sie ist sehr reflektiert, entwirft, verwirft, experimentiert und sägt. Sie schafft Figuren, Körper, Köpfe und hat jetzt, mit dieser Ausstellung, den nächsten Schritt zu Gesicht und Maske gewagt. Sie ist offener und klarer, kantigerund rätselhafter in ihrer Formensprache geworden. Das gefällt mir.

Maskentanz. Gesichtsmaske. Schattengesicht (von links nach rechts). Von Beate Debus.
Maskentanz. Gesichtsmaske. Schattengesicht (von links nach rechts). Von Beate Debus.

Über die Ausstellung werde ich noch ausführlicher schreiben. Hier geht es um abwesende Politiker, die keinen Blick auf die Kunst und kein Gespräch mit den Künstlern und, vielleicht, den Gästen der Vernissage riskieren. Das finde ich sehr schade. Sie signalisieren damit, das geht mich nichts an. Bei Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein kann ich das nachvollziehen. Er interessiert sich für Kunst und Kultur nicht wirklich. Dafür wird er demnächst beim Erfurter Karnevalsumzug wieder in der ersten Reihe stehen.

Beim neuen Thüringer Kulturminister Benjamin Hoff ahne ich, dass er beim Umfang seiner politischen Aufgaben ein permanentes Problem hat. Er kann öffentlich nicht so präsent sein wie seine Vorgänger. Als Chef der Staatskanzlei muss er Politik organisieren und koordinieren, als Minister ist er zuständig für Kultur, Bundes- und Europapolitik, auch noch für Medienpolitik. Das Tagesgeschäft kostet Zeit. Der Neuzuschnitt der Ministerien in Thüringen ist mit Umzügen verbunden. Klingt trivial, kostet auch Zeit und legt den Regierungsapparat ein bisschen lahm.

Bei dem Pensum unterstützen den vielfachen Minister und Chef der Regierungszentrale zwei Staatssekretäre. Die Staatssekretärin für Kultur heißt Babette Winter, eine promovierte Chemikerin aus Münster, seit drei Jahren in Thüringen, zuletzt Referatsleiterin im Umweltministerium. Hätte sie über die „StipVisite“ und die 10.000 gesponserten Euros des Freistaats was sagen sollen? Ich finde schon. So lernt sie am schnellsten und unmittelbarsten Künstler, Publikum, also die Menschen, und die Atmosphäre kennen, von der Politiker eine Ahnung haben sollten, wenn sie Akten lesen.

Atmosphäre: Menschen reden über Kunst und trinken Wein. Fotos: mip. Titel: Ausschnitt Einladungskarte.
Atmosphäre: Menschen reden über Kunst und trinken Wein. Fotos: mip. Titel: Ausschnitt Einladungskarte.

Denn Künstler sind auch nur Menschen. Das Kunstpublikum sind auch nur Menschen. Bei einer Vernissage, der „StipVisite“, redeten 160 Menschen über so was Kantiges und schrill Buntes wie zeitgenössische Kunst. Sie waren, zum Glück, ganz unterschiedlicher Meinung. Ganz nebenbei tranken wir auch Bier und Wein, redeten über Medien und das böse Wort von der „L…presse“, über große Politik und die Kanzlerin und was weiß ich noch.

Wir haben uns getroffen und miteinander geredet. Von Angesicht zu Angesicht, wir haben Gesicht gezeigt und mal nicht gezwitschert oder gemailt oder via Facebook geplaudert. Das war einfach schön. Im Mai, das ist fest verabredet, gibt es ein neues Treffen in der alten Dorfschule in der Rhön, im Atelier von Beate Debus. Der Erfurter Kunstverein macht eine Stippvisite.

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