Meine Meinung

Online, Journalisten und ein Bauchgefühl

Der Titel der Tagung hat mich eher abgestoßen. Zum Glück gab es einige Denkanstöße und neue Informationen. Vor allem Sven Oelsners Positionen haben mich nachdenklich und neugierig gemacht.

Der Tagungstitel irritierte: „Alles Lüge!? Die Herausforderungen der Mediendemokratie“. So unentschlossen mit Ausrufe- und Fragenzeichen. So allgemein die „Herausforderungen“. So irritierend „Mediendemokratie“. Dennoch eine notwendige, streitbare, informative Tagung des Politischen Bildungsforums Thüringen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Erfurt. Sie suchte sich mit der Thüringischen Landeszeitung TLZ einen Medienpartner, der selbstverständlich seine Positionen und Interessen auf der Tagung deutlich artikulierte. Deutlich wurde das u. a. in der Nachberichterstattung.

Sven Oelsner gründete 2006 die Thüringer Blogzentrale. Er ist von Beruf Sozialpsychologe, hat auf dem Gebiet promoviert. Er bloggt und kritisiert die etablierten, klassischen Medien in Thüringen, vor allem die Zeitungen der Mediengruppe Thüringen. Oelsner kritisiert die seiner Meinung nach einseitige, wenig debattierfreudige und schon gar nicht kontroverse Berichterstattung, wo unterschiedliche Informationen und Positionen aufeinanderprallen. Er selbst bezeichnet sich nicht als Journalist, redet von der besonderen Internet- und Bloggerkultur, monierte auf der Tagung zu Recht die abwertenden Bemerkungen vor allem von TLZ-Chefredakteur Bernd Hilder über das Internet und die Bloggerszene.

An der Kritik von Oelsner ist was dran. Hilder sprach u. a. von „medialen Parallelwelten“, meinte die Blogs, stöhnte schwer über „das Internet, was uns trifft“, also Konkurrenz ist, Marktanteile und öffentliche Wahrnehmung kostet. Stimmt. Manche etablierten Medien meinen, immer noch die Informations- und Deutungshoheit über den Alltag der Menschen zu besitzen. Im Panel I der Tagung wurde gefragt: „Printmedien – letzte Bastion des Qualitätsjournalismus?“ Im TLZ-Bericht danach fehlte das Fragezeichen. Handwerkliche Schlamperei und/oder Selbstverständnis in der TLZ?

Ausschnitt aus TLZ-Bericht mit Twitter-Kommentar.
Ausschnitt aus TLZ-Bericht mit Twitter-Kommentar. Screenshot: mip

Übrigens sprach TLZ-Chef Hilder fast ausschließlich kritisch über andere Medien, vor allem über den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk, wo er mal Intendant werden wollte und scheiterte. Über die TLZ selbst, ihre innere Verfasstheit, war wenig von ihm zu hören, über den freien Fall der Auflage und die hausgemachten Ursachen dafür auch nichts. Das war nämlich ein Thema in der Mittagspause.

Zurück zu Sven Oelsner und dem Panel III „Onlinemedien – Quelle alternativer Information oder Foren für Pöbelei und Verschwöruingstheorien?“ Wer formuliert so gedankenlos solche Titel? Ich denke nicht so: hier Onlinemedien und dort Zeitungen, Fernsehen oder Radio oder was sonst noch an journalistisch geprägten Medien existiert. Zeitung ist für mich, nur als Beispiel mal, ein Dach, unter dem ein journalistisches Produkt aus Papier entsteht. Das gibt’s ebenso als E-Paper und Online-Zeitung im Internet, dazu eine App, vielleicht einen Newsletter, dazu flexible Kauf- und Abo-Angebote für Nutzer. Gerade lese ich mal wieder für zwei Monate die Süddeutsche Zeitung auf dem Tablet und Smartphone. Aber das ist eine andere Geschichte wert.

Panel III Onlinemedien mit Ralf Güldenzopf (KAS), Sebastian Holzapfel (TLZ) und Dr. Sven Oelsner (Thüringer Blogzentrale), von links.
Panel III Onlinemedien mit Ralf Güldenzopf (KAS), Sebastian Holzapfel (TLZ) und Dr. Sven Oelsner (Thüringer Blogzentrale), von links. Foto: mip

Die Diskussion über „Onlinemedien“ hat mich überrascht. Vor allem die offene Art und sachliche Information von Sebastian Holzapfel, Ressortleiter Online der TLZ. Er wünscht sich eine aktivere Bloggerszene als mediales Gegengewicht und Antreiber für seine Online-Redaktion. Die reinen Klickzahlen bei der TLZ, auf der Internet- und auf den Facebookseiten seien gut, inhaltlich kommt aber viel, viel weniger herüber.

Konkret nannte Holzapfel die vielen Anonymen, Trolle und anderen „Verrückten“ im Netz, die pöbeln, motzen, stänkern in einer gesetzlichen Grauzone. Und jene, die aufrufen zu Gewalt, Hetze und anderen justiziablen Tatbeständen, wo er und seine Kollegen einschreiten, wenn notwendig löschen müssen. Die beiden anderen Zeitungen der Mediengruppe Thüringen, Thüringer Allgemeine und Ostthüringer Zeitung, sperren gleich die Kommentarfunktion unter bestimmten Beiträgen und Themen im Netz, Stichwort Flüchtlingspolitik. Die öffentliche Diskussion findet trotzdem auf anderen Plattformen im Netz, an Stammtischen, auf der Straße statt.

Überrascht hat mich Sven Oelsner mit seiner Position als Blogger und Sozialpsychologe: Harte kontroverse Debatten müssen auch in etablierten Medien stattfinden, wo unversöhnlich scheinende Standpunkte aufeinanderprallen. Das passiere nicht. Online sei ein Bauchgefühl, sei emotional und aus der Situation heraus formulierte Meinung, Position, Standpunkt, die brauchen Kanäle und Öffentlichkeit. Patienten in seiner psychologischen Praxis lassen auf der Couch ihren Frust, ihre Kritik an der Welt, den Menschen und Medien viel härter und stärker raus, erzählte Oelsner auf der Tagung.

Das Problem dabei, aus meiner Sicht, Medien, dazu gehören Blogs, existieren im öffentlichen Raum und nicht abgeschottet im Patientenzimmer von Oelsner. In der Öffentlichkeit, auch im Netz, gelten Regeln und Gesetze, die mittlerweile verstärkt bewußt gemacht, beachtet, durchgesetzt und sanktioniert werden. Und das ist gut so. Dennoch, Oelsner spricht ein wichtiges Thema an: Der Druck, der sich in Menschen aufbaut, den sie sich selber aufbauen, muss kanalisiert und „abgeleitet“ werden. Öffentlichkeit gehört dazu, neben dem Patientenzimmer. Wie das funktionieren könnte mit und durch Medien?

Zum Schluss, der Text ist schon viel zu lang, noch zwei Anmerkungen. Erst recherchieren, informieren, Quellen verifizieren – dann interpretieren, kommentieren. Information und Meinung sichtbar, hörbar, wahrnehmbar voneinander trennen. Christoph Schwennicke, Chefredakteur von Cicero, hat absolut recht, als er auf der Tagung für professionellen, handwerklich guten Journalismus plädierte. Und: Mehr solche Debatten vor allem mit dem Publikum, mit Bürgern, mit Lesern und Nutzern, die nicht wissen und wissen können, wie Medien und Medienmacher ticken und funktionieren. Denn transparent arbeitende Medien sind die Ausnahme.

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