Arbeit in der DDR

Ostdeutsche ticken anders

Arbeit war in der DDR für die meisten erwerbsfähigen Menschen der sogenannte Lebensmittelpunkt. Eine Ausstellung in Gera versucht, das Phänomen Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu packen.

Was ist das? „Arbeit!“ Mit Ausrufezeichen ist der Ausstellungstitel aufgeladen. Er wird fortgeschrieben mit „Ostdeutsche Arbeitswelt im Wandel. 1945 bis heute“. Das ist ein Riesenprogramm und ein Anspruch, die nur im Überblick über 70 Jahre Geschichte mit all den Brüchen und Aufbrüchen, Katastrophen und Erfolgen erzählt werden kann. Einzelne differenzierte Einblicke sind möglich und notwendig. Der Ansatz, den die Ausstellungsmacher um Kurator Paul Kaiser (Dresdner Institut für Kulturstudien) und sein Mitstreiter Holger Peter Saupe (Kunstsammlung Gera) verfolgen, ist dokumentarisch, kulturhistorisch und künstlerisch. Am opulenten Begleitbuch zur Ausstellung haben 23 Zeithistoriker, Soziologen, Kunstwissenschaftler und Arbeitspsychologen aus Ost und West mitgeschrieben.

Die Kuratoren Holger Peter Saupe (links), und Paul Kaiser (rechts) in der Ausstellung im Gespräch mit Jörg Sobiella von MDR Kultur.
Die Kuratoren Holger Peter Saupe (links) und Paul Kaiser (Mitte) in der Ausstellung im Gespräch mit Jörg Sobiella von MDR Kultur.

Wie kann man „Arbeit!“ ausstellen, veranschaulichen, sachlich und emotional Besuchern nahebringen? Natürlich über Bilder aller Art, eingeordnet in den historischen Kontext, mit Lese- und Hörtexten, mit organisierten Gesprächen in der Ausstellung. Von rund 200 Exponaten auf etwa 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche im Geraer Museum für Angewandte Kunst sind etwa jeweils ein Drittel Fotografien und Kunstwerke. Hinzu kommen Plakate, Filme, Sachzeugen wie Brigadetagebücher.

Am Beginn der Ausstellung hängen bisher noch nicht veröffentlichte Fotos von Thomas Billhardt, bekannt und anerkannt für seine Arbeit. Im Kapitel „Arbeitswelten zwischen Ideologie und Wirklichkeit“ (angemerkt: Ideologie war auch eine Wirklichkeit) lichtet Billhardt die ganze Bandbreite sozialer Realität in den DDR-Betrieben ab. Die Brigade im Chemiekombinat Bitterfeld ist im fröhlichen, lebhaften, spontanen Pausengespräch. Die Brigade im Mansfeldkombinat Hettstedt inszeniert eine „Zeitungsschau“ vor Honecker-Bild, Losung und roter Fahne.

In der Kunst finden sich ähnliche Bildsujets. Hans Hattop (1924-2001), ein südthüringer Maler, ist mit seiner „Brigade am Bohrturm“ von 1969 vertreten. Lutz Ketscher malt 1983 eine reale und zugleich surreale Szene im „Schichtbus“: Ein in sich zsammengesunkener Arbeiter nach der Nachtschicht, an seiner Zigarette saugend. Im Hintergrund recken sich rauchende Schlote in den düsteren Himmel. Da ist viel Raum für Interpretationen. Das Bild gehört zur Kunstsammlung der Wismut GmbH, wie überhaupt viele der ausgestellten Kunstwerke aus den Sammlungen einstiger DDR-Betriebe stammen. Die Wismut-Sammlung mit rund 4.200 Werken soll in Gera ein Zuhause bekommen, entschieden ist noch nichts.

Petra Flemming schuf 1973/74 das Tryptichon „Frauen“. Fotos: mip
Petra Flemming schuf 1973/74 das Tryptichon „Frauen“. Fotos: mip

„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ war in der DDR ein populäres Kinderlied. Frauen arbeiteten in der DDR, das war ganz normal oder (im Rückblick) auch nicht. Ein herausragendes Kunstwerk, das ob seiner Dimension die Ausstellung fast sprengt, kommt von Petra Flemming (1944-1988, gestorben in Arnstadt), der großen bekannten Unbekannten unter den Malerinnen in der DDR. Sie schuf 1973/74 das Tryptichon „Frauen“. Sie erzählt malerisch gekonnt, realistisch und subversiv Alltagsgeschichten von berufstätigen Frauen.

Die Grenzen zwischen Kunst und Propaganda, zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem, zwischen gelebten Leben und bruchstückhaften Erinnerungen an das, was die DDR für den Einzelnen war und ist, sind manchmal fließend und in jedem Fall subjetiv. Individuell, gegensätzlich und widersprüchlich sind Biographien und Brüche im Leben in fast 40 Jahren DDR. „Die Ostdeutschen ticken eben anders.“ So bringt es Ausstellungskurator Paul Kaiser auf den Punkt.

Die Ausstellung will das sachlich und emotional klären und erklären, warum die Ostdeutschen anders ticken als die Westdeutschen. Hier sollen keine neuen Gegensätze aufgemacht oder alte Vorurteile aufgewärmt werden. Es geht um das Verständnis und Verstehen ostdeutscher Menschen und Mentalitäten.

Korrespondierend zur Geraer Ausstellung setzt das Museum „Neue Mühle“ in Erfurt einen Akzent mit der Schau „Fremde Freunde. Ausländische Vertragsarbeiter in der DDR“. Davon gab es in den 1980er-Jahren ca. 80.000, vor allem aus Vietnam, Moçambique, Algerien und Chile. In der DDR sozialisierte Menschen haben durchaus Erfahrungen gemacht mit ausländischen Arbeitskräften.

Die Ausstellung wandert anschließend von Gera nach Hamburg ins Museum der Arbeit, dort um den Aspekt  Seeredereien als Arbeitsplatz und Arbeitsort erweitert. In Gera, das wirtschaftlich einen starken Bruch erlebte, sind der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst viele interessierte Besucher zu wünschen.

Arbeit! Ostdeutsche Arbeitswelt
im Wandel. 1945 bis heute

bis 26. Juni 2016 im
Museum für Angewandte Kunst
Greizer Straße 37 | 07545 Gera
geöffnet Mi-So/Feiertage 11-18 Uhr

Arbeit Ausschnitt
Die ARBEIT an diesem Text (hier die ursprüngliche Fassung) liegt zwei Monate zurück. Der Beitrag ist jetzt gekürzt im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort und im Netz (mit Bezahlschranke) veröffentlicht worden.

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