Angermuseum Erfurt

Höllenhund im Paradies

Harald Reiner Gratz inszeniert ein Welttheater mit Martin Luther als Projektionsfläche seiner Fantasien und Bilderfindungen. Die Gedanken fliegen, die Farben sprühen, die Menschen leben. Der Betrachter wird in einen sinnlich-emotionalen Ausnahmezustand versetzt.

Der Maler gräbt nach Geschichte und Legenden. Er liest viel, grübelt noch mehr darüber. Er verschlingt Unmengen analoger und digitaler Bilder, speichert sie ab, um sie als Impuls, Widerhaken oder Reibungsfläche in eigenen Bildern neu zu interpretieren, zu zitieren, zu inszenieren.

Direktor Kai Uwe Schierz in der Ausstellung beim Vortrag über den Künstler.
Direktor Kai Uwe Schierz in der Ausstellung beim Vortrag über den Künstler.

Martin Luther ist für Gratz ein Mensch, Mann, Mönch und Reformator mit ganz vielen Widersprüchen, ein Gigant der Geschichte, der auch noch mit seiner Stadt Schmalkalden verbunden ist. Ein Jubiläum braucht der Künstler nicht, um mit Martin L. als Folie wie in einem Rausch Bilder zu malen und zu zeichnen, die so gar nicht dem Klischee des Rebellen und Reformators entsprechen. Aber irgendwie ist dieses Jahr ein Jubiläum und bei HRG „hat es sich so gefügt“ mit dem Luther, mit 500 Jahren Geschichte und mit den vielen, neuen Bildern, Grafiken und Zeichnungen.

Das Angermuseum in Erfurt räumt Harald Reiner Gratz eine ganze Etage für seine Sonderausstellung frei, um „Luthers Stein in Schmalkalden und andere Merkwürdigkeiten der deutschen Geschichte“ zu zeigen. Uff! Wer denkt sich nur solche Ausstellungstitel aus? Das hat was mit Geschichte zu tun, mit der Schlosskirche in Schmalkalden und verschwundenen Bildern vor 450 Jahren. Das ist eine eigene Geschichte. HRG ist ein Bildermensch, der in Geschichte immer wieder tief eintaucht und daraus Bilder schöpft. Luther war schon längst fällig.

Mit kräftigen Farben widersprüchliche Geschichten erzählen.
Mit kräftigen Farben widersprüchliche Geschichten erzählen.

Im quadratischen Format mittelgroßer Bilder (170 mal 170 cm) soll Luther Ruhe finden. Das Gegenteil ist der Fall. Der Blitz und „Der Schwur“ von Erfurt-Stotternheim, so die Legende, führen den Studenten ins Kloster der Augustinereremiten. Erstaunt, ja erschrocken ist der Blick, ein verdrehter Körper, die rechte Hand schwört, die linke Hand wehrt ab. In Kabinett um die Ecke hängen Bilder mit einem Charakterkopf und Kontext. Das ist der Luther von Gratz, das ist der Schauspieler Heino Ferch, sein Modell und Medium. HRG braucht solche starken Charaktere mit Konturen, an denen er sich künstlerisch abarbeiten kann. Luther-Ferch vor einer Wand mit Thesen, daneben mit Tintenfleck am Horizont, das nächste Bild betend in sich versunken, zwei Figurenbilder Götz von Berlichingen und „Im Bauernkrieg“. Der Maler verlangt seinem Modell und sich selbst einiges ab. Und dem Betrachter, der genau hinsehen und seine grauen Zellen dabei aktivieren soll.

Über einige Bilder reden Gratz und Kurator Kai Uwe Schierz, Direktor der Erfurter Kunstmuseen, in einem sehr lesenswerten Gespräch, abgedruckt im Katalog. Sie entschlüsseln historische Zusammenhänge, Gratz erzählt über innere Antriebe, warum er so malt und nicht anders kann. Er schöpft aus Geschichte und Mythologie, ist belesen und gebildet, kann Worte formulieren und fabulieren, hat einen Bildervorrat im Kopf wie wohl nur wenige Menschen. Er nimmt immer die Perspektive des zeitgenössischen Künstlers ein, der um den Trottel in Amerika und die Dramen des Alltags in Thüringen weiß. Das vermittelt er nie direkt, aber der schauende und wissende Betrachter seiner Bilder spürt das.

Im Hintergrund der "Garten Eden". Fotos: mip
Im Hintergrund der „Garten Eden“. Fotos: mip

Der „Garten Eden“ ist so ein mythische, eine Menschengeschichte, die mitten in der Erfurter Ausstellung so etwas wie der Fixpunkt ist. Was hat das monumentale Bild (160 mal 500 cm) mit Luther zu tun? Alles und nichts. Das Paradies, der Garten Eden, als ein Versprechen, ein Sehsuchtsort, wo Menschen leben, vertrieben werden, glücklich und unglücklich sind. Höllenhund, Einhorn, Schlange und Wolf, die Schönen und die Biester. Das ist ein rauschhaftes, überbordendes Tableau, ein Welttheater und ein Panoptikum, das die Fantasie des Betrachters herausfordert und überfordert. Die Menschen sind Getriebene ihrer selbst, die auf den Bildern und jene, die sie schauen.

Das macht die Kunst von Harald Reiner Gratz so einzigartig, unverwechselbar, immer wieder staunens- und nachdenkenswert. Ob Luther und die Reformation ein Jubiläum haben, ist völlig egal. Die Ausstellung in Erfurt ist unbedingt sehenswert, der Katalog empfehlenswert.

Der Beitrag ist zuerst in der Tageszeitung Freies Wort und im Onlineportal insuedthueringen.de (Bezahlschranke) erschienen.

EF AM Luther Gratz FW 2017-07-12

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