Spurensuche in Thüringen

Radikal sozial, kritisch, menschlich

Käthe Kollwitz ist die herausragende bildende Künstlerin in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie vermag tiefe menschliche Gefühle künstlerisch großartig zu gestalten. Heute vor 150 Jahren wurde sie geboren. Eine Spurensuche.

Fast jeder von uns hat Bilder von Käthe Kollwitz im Kopf oder in einem Buch. Die wohl berühmteste Grafik trägt den Titel „Nie wieder Krieg“, entstanden 1924 anlässlich des Mitteldeutschen Jugendtages in Leipzig. Der Gesichtsausdruck der Frau, ihre gespannte Körperhaltung, der Schriftzug auf dem Plakat berühren den Betrachter. In der Neuen Wache in Berlin Unter den Linden, die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, steht seit 1993 eine Vergrößerung der Plastik „Mutter mit totem Kind“ von Käthe Kollwitz. Bundeskanzler Helmut Kohl setzt das nach kontroverser öffentlicher Debatte durch.

Kriegsgefahr und Krieg, die prekäre soziale Lage der kleinen Leute, das Verhältnis von Mutter und Kind gehören zu den immer wiederkehrenden künstlerischen Motiven, die Käthe Kollwitz antreiben und umtreiben, zweifeln und verzweifeln lassen. Schmerz, Leid und Elend durchziehen ihr Werk und auch ihr Leben. Ihre Kunst wird schon zu Lebzeiten politisch und ideologisch vereinnahmt. Sie wehrt sich dagegen und lässt stillschweigend gewähren. Sie wird als Pazifistin, Feministin, Sozialistin, Kommunistin, als sozial engagierte Künstlerin in Schubladen eingeordnet.

Da geht´s hinein ins Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin.
Da geht´s hinein ins Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin.

Mehr als 50 Jahre lebt Käthe Kollwitz in Berlin. Der heutige Kollwitzplatz ist ihr Kiez. Sie wird am 8. Juli 1867 in Königsberg/Ostpreußen, dem heutigen Kaliningrad (Rußland), geboren. Ihr Vater Carl Schmidt erlaubt ihr von 1884 bis 1889 eine private künstlerische Ausbildung in Königsberg, vor allem aber in den Kunstzentren Berlin und München. Staatliche Kunstakademien sind für Frauen nicht zugänglich. 1893 erlebt sie im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, dem heutigen Berliner Ensemble, die Uraufführung von Gerhard Hauptmanns „Die Weber“. Sie arbeitet über vier Jahre an dem gleichnamigen Grafikzyklus, ist in der technischen Umsetzung unsicher. In den Blättern gestaltet sie Elend und Not der Weber, ihre Revolte und deren gewaltsame Niederschlagung. Radikal sozial, kritisch, menschlich, den einfachen und unterdrückten Menschen Gesicht und Stimme geben – das wird ihr lebenslanges künstlerisches Credo werden.

Auf Spurensuche nach Werk und Wirken von Käthe Kollwitz in Thüringen werde ich im Angermuseum in Erfurt fündig. Der Zyklus „Die Weber“ befindet sich im Bestand, bestätigt die Kuratorin der Graphischen Sammlung, Cornelia Nowak. Die Museumsdatenbank zeigt 18 Datensätze mit grafischen Blättern und Grafikzyklen von Käthe Kollwitz an. 1919 erfolgt der erste Ankauf, weitere nach 1945 vor allem durch den legendären Museumsdirektor Herbert Kunze. In Erinnerung ist mir eine Ausstellung von 1994 im Angermuseum mit dem Titel „Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin 1933-1945“ der Akademie der Künste Berlin. Käthe Kollwitz ist mit Hauptwerken vertreten, unter anderem den Bronzeskulpturen „Turm der Mütter“ und „Mutter mit totem Sohn“ (Pietá) sowie dem Grafikzyklus „Tod“.

In den 1920er-Jahren Jahren erreicht Käthe Kollwitz den Gipfel ihres Ruhms. Sie wird als erste Frau Akademie-Mitglied, erhält den Professorinnen-Titel, wird in Europa, Amerika und Asien ausgestellt , ihr Werk weltweit angekauft und publiziert. Privat und politisch hat sie seit den 1890er-Jahren Höhen und Tiefen erlebt und erlitten, Impulse für ihre künstlerische Arbeit daraus gezogen. Fakt ist, sie gehört nie einer politischen Partei an, aber sie ist durch ihren Vater und ihren Mann, einen Arzt, sozialdemokratisch geprägt.

Im Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin-Charlottenburg in der Fasanenstraße 24 entdecke ich eine Lithografie und den dazugehörigen Druckstock aus Kalkschiefer. „Mütter, gebt von eurem Überfluß“, darunter „Frauenmilchsammelstelle Landesfrauenklinik Erfurt“. Das Plakat von Käthe Kollwitz von 1926 ist eine Auftragsarbeit für Marie Elise Kayser aus Erfurt, ein Beleg dafür, dass die berühmte Künstlerin alltägliche Sorgen und Nöte von Frauen in der vermeintlichen Provinz aufgreift und Ausdruck verleiht.

Gekündigt. Das Käthe-Kollwitz-Museum soll aus der Berliner Fasenenstraße 24 ausziehen. Fotos: mip
Gekündigt. Das Käthe-Kollwitz-Museum soll aus der Berliner Fasenenstraße 24 ausziehen. Fotos: mip

Ausgerechnet zum 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz sorgt das private Museum für traurige Schlagzeilen im Berliner und nationalen Feuilleton. Hauseigentümer Bernd Schultz, einst Chef des benachbarten Auktionshauses Villa Grisebach, hat den Mietvertrag gekündigt. Er will in den Gründerzeitbau ein Multimedia-Exil-Museum setzen. Die Kollwitz-Sammlung soll nach Neukölln und zu einem wesentlich höheren Mietzins umgesiedelt werden. Die Erregungswellen schlagen hoch, das Ansinnen birgt politischen Sprengstoff im sozialdemokratisch regierten Berlin mit einem linken Kultursenator. Der Vorstandsvorsitzende des Käthe-Kollwitz-Museums, Eberhard Diepgen, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin mit CDU-Parteibuch, sucht nach einer akzeptablen Lösung.

Die letzte, verwischende biografische Spur von Käthe Kollwitz in Thüringen führt nach Nordhausen. Dort bewohnt die Bildhauerin Margret Böning mit Mann und zwei Kindern ein großes Haus an der Stadtmauer. Sie verehrt Käthe Kollwitz und überzeugt sie im Sommer 1943, aus dem Berliner Inferno zu fliehen. Mit drei Verwandten wird sie 14 Monate in Nordhausen verbringen. Sie ist schon sehr krank, depressiv und trägt sich wiederholt mit Suizidabsichten. Käthe Kollwitz stirbt einsam am 22. April 1945 in Moritzburg bei Dresden.

Den 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz feiern heute Museen mit Sonderausstellungen und Ehrungen in Berlin, Köln, in ihrer Geburtsstadt Kaliningrad und in aller Welt.

Der Beitrag erschien zuerst am 6./7. Juli 2017 im Internet und in der gedruckten Ausgabe der Tageszeitung Freies Wort, leider mit falschen Zeitbezügen (Geburtstag am 7. Juli, richtig ist 8. Juli).

Kollwitz in FW 2017-07-07

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