"Wallenstein" am Deutschen Nationaltheater Weimar

Menschen vertrauen, verführen, verraten

Schillers „Wallenstein“ am Deutschen Nationaltheater in Weimar ist ein Wagnis. Kantige Charaktere. Macht, Liebe und Verrat. Menschliche Abgründe. „Wallenstein“ gewinnt in Weimar. Sehenswert.

Die Luft bebt. In „Wallensteins Lager“ tummeln sich gerade mal zwei Gestalten. Zwei Pfaffen, zwei Soldaten, zwei Söldner, zwei Terroristen und, ach ja, eine blonde Marketenderin. Sie vermessen den großen Krieg: ein Konflikt der Religionen und des Glaubens, ein Geschäft, bei dem alle gewinnen wollen und doch verlieren, menschliche Tragödien und, ach ja, Liebe und Leidenschaft und Vertrauen.

Was für ein hochdramatisches „Lager“ mit Rollentausch im Minutentakt. Michael Wächter und Jonas Schlagowski wechseln Kostüme und  Identitäten, das dem Zuschauer schwindlig wird. In nur 25 Minuten legt Regisseur Hasko Weber den Grund und Resonanzraum für den ganzen „Wallenstein“, der uns nah und fern, vertraut und fremd fast fünf Stunden packen, verstören, ein bisschen langweilen und nerven wird.

Am Anfang spricht Wallenstein. Der Prolog über die Schauspielkunst ist eine Reverenz an die Weimarer Uraufführung 1798. Dominique Horwitz fremdelt mit dem Text, sucht den Einstieg, muss sich warmlaufen für den langen Abend. Und, nun ja, aus Schillers Zitatenschatzkästlein soll das Publikum auch bedient werden: „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst.“

Wallenstein, Dominique Horwitz (vorn rechts). Thekla und Max, Nora Quest und Tobias Schormann (vorn links). beide Fotos: DNT/Matthias Horn
Wallenstein, Dominique Horwitz (vorn rechts). Thekla und Max, Nora Quest und Tobias Schormann (vorn links). Beide Fotos: DNT/Matthias Horn

Was steckt nicht alles in diesem Politthriller mit seiner unheimlichen Nähe zur jüngsten Geschichte und Gegenwart. Kriege gehören zu den täglichen Nachrichten, politische Machtspiele ebenso. Menschen vertrauen und mißtrauen einander, werden verführt, fühlen sich verraten und verkauft. Hasko Weber findet die Brücke in die Gegenwart über Bilder und Kostüme (von Thilo Reuther) und Gesten. Die 13 Schauspieler agieren ganz bewusst aus heutiger Perspektive. Der 30-jährige Krieg ist die historische Folie, es geht um menschliches Verhalten und die Verhältnisse von heute. Da wirkt fast nichts aufgesetzt. Die roten Barette und dunklen Sonnenbrillen, das große Kreuz und die langen Schatten im Gegenlicht. Na ja, das Azzurro-Gequäke mit dem linkischen Tanz von Octavio, das letzte Bild, ist voll daneben, wie die blöden Reime zum Originaltext.

Dominque Horwitz ist Wallenstein: Heerführer, Politiker, Diplomat, Vater, Freund, übersinnlicher Sternengucker. Horwitz entwickelt eine starke Bühnenpräsenz und Magie, die den Abend prägt und trägt. Dabei spielt er den Wallenstein unterkühlt, unentschieden, rätselhaft. Da steht die unausgesprochene Frage: Wer bin ich? Was will ich? Wie will ich das erreichen? Das ist der Zauber dieses Schauspielers: die kultivierte Sprechweise, Nuancen nur. Die Körpersprache, Gesten, winziges Minenspiel. Horwitz traut dem Wallenstein nicht. Der vertraut seinen Offizieren, die seine Truppen führen, die Basis seiner Macht.

Menschen sind käuflich, haben Schwächen, sind erpressbar. Wie Wallensteins Offiziere. Buttler, Sebastian Kowski, ist so ein starker, schwacher Charakter. Für einen Titel, ein bisschen mehr Anerkennung wechselt er die Fronten und lässt Wallenstein ermorden. Eine machtversessene Gräfin Terzky, Johanna Geißler, als Einflüsterin von Wallenstein. Sie ist brutal und subtil, verführen klappt nicht so gut. Max und Thekla, Liebende im Krieg. Tobias Schortmann brodelt und grübelt großartig. Krieg oder Liebe? Vertrauen oder verraten? Nora Quest, Wallensteins  Tochter, ist aus der Zeit gesprungen, eine selbstbewußte und selbstbestimmte junge Frau von heute.

Der Konflikt Vater und Sohn, Octavio und Max Piccolomini. Das muss knallen zwischen den Beiden. Idealismus und Pragmatismus, das geht nicht. Octavio ist eigentlich der Gegenspieler von Wallenstein. Ingolf Müller-Beck vermag da nicht zu überzeugen. Nicht als falscher Freund, Intrigant, Machthungriger. Ja, kleine Gesten, aber keine große Ausstrahlung. Und sein Lispeln. Aber vielleicht stört das andere nicht.

Hasko Webers Inszenierung ist eine große Kraftanstrengung, ein emotionales und unterkühltes Spiel. So viel Theater muss Weimar wagen. Und gewinnt dabei. Das Publikum muss sich nur darauf einlassen. Auch wenn alle auf der Bühne und im Parkett nach fast fünf Stunden ermattet sind. Ein leises Bravo.

Der Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung Freies Wort Suhl.

Nächste Aufführungen am DNT Weimar bzw. Theater Erfurt.

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