Karl Schmidt-Rottluff

Alles Kunst, nichts als Kunst

Kraft, Energie und Farbe. Umfang, Vielfalt und Qualität. Die Ausstellung sprengt Dimensionen. „Karl Schmidt-Rottluff.  490 Werke  in den Kunstsammlungen Chemnitz“ ist die größte  Schau des Künstlers, die bisher zu sehen ist.Generaldirektorin Ingrid Mössinger sagt so leicht dahin: „Karl Schmidt-Rottluff ist ein Weltkünstler.“ Die Kunstwelt und Menschen, die Kunst lieben, kennen selbstverständlich das weithin ausstrahlende Werk und den Künstler Karl Schmidt-Rottluff, geboren 1884 in Rottluff, seit 1926 ein Stadtteil von Chemnitz, gestorben 1976 im Westteil Berlins, wo er seit 1911 mit kurzen Unterbrechungen lebte. Er gründete 1905 in Dresden die Künstlerguppe „Die Brücke“ gemeinsam mit Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel. Eine Werkschau Kirchners war bereits 2014/15, Heckels Ausstellung wird ab 17. Januar 2016 im Museum Gunzenhauser in Chemnitz zu sehen sein.

Selbstbildnis 1907.
Selbstbildnis 1907.
Selbstbildnis 1968. Fotos: mip
Selbstbildnis 1968. Fotos: mip

Mit dieser Trilogie moderner Kunst des 20. Jahrhunderts öffnen die Kunstsammlungen ihre Depots, holen ans Licht der Öffentlichkeit, was sie an Schätzen besitzen und aufbewahren. Das gilt umso mehr für das Gesamtwerk von Schmidt-Rottluff, das zum Kernbestand der Kunstsammlungen Chemnitz gehört. 490 Bildwerke des Künstlers aus eigenem Bestand und als Dauerleihgabe aus rund 70 Schaffensjahren und in allen künstlerischen Genres. Hinzu kommen kunsthandwerkliche Arbeiten und Schmuck aus einer Leipziger Privatsammlung, die „ziemlich sicher“ in den Bestand in Chemnitz übergehen wird.

Ingrid Mössinger hat mit ihren Mitarbeiterinnen eine Großausstellung eines Künstlers inszeniert, die es so bisher in den Kunstsammlungen Chemnitz nicht gab. Auf 1.400 m² und über zwei Etagen werden über 500 Werke vorgestellt, zeitlich chronologisch geordnet, beginnend mit dem „Weg nach Rottluff“, um 1903 entstanden, das erste eigenständige Ölbild des Gymnasiasten, streng nach der Natur gemalt. Am Ende des Rundganges sind Blumen- und andere Stillleben (Aquarelle, Tuschen, Farbkreiden) zu sehen, die von einer ungebrochenen künstlerischen Kraft mit über 80 Lebensjahren zeugen.

Interview mit Ingrid Mössinger im Oberlichtsaal vor den Gemälden. Foto: mip
Interview mit Ingrid Mössinger im Oberlichtsaal vor den Gemälden. Foto: mip

Den Ausstellungsrundgang kann der Besucher frei wählen. Gleich in den großen Oberlichtsaal, in dem die Mehrzahl der insgesamt 68 Gemälde hängt. Sprühende, lodernde Farben, das ist eine Augenlust und Anstregung zugleich. Da sind Landschaften: Ostsee, Dünen, Campagna, Tessin, vor der Tür in Chemnitz, im Taunus. Der Künstler war lebenslang ein Reisender, ließ sich davon anregen. Die zeitlich chronologische Hängung der Bilder macht Veränderungen im Malstil Schmidt-Rottluffs deutlich, etwa vom sichtbaren Pinselstrich zum flächigen Auftrag der Farben. Beispielhaft steht dafür der „Mann im Sonnenlicht“ von 1907, der Künstlerfreund Erich Heckel, „ein Mosaikstein hin zu dem, was letztendlich den Expressionismus auszeichnete“, wie im Katalog nachzulesen ist.

In der Fülle der Ausstellung dominiert das grafische Werk mit 234 druckgrafischen Motiven sowie 134 Aquarellen und Zeichnungen. Vertreten sind alle Techniken und Schaffensperioden. 1899 entstand die erste Bleistiftzeichnung „streng nach der Natur“, die in Chemnitz zu sehen ist. Ein ganzer Saal voller Holzschnitte zeigt sehr eindrücklich Schmidt-Rottluffs  Meisterschaft schon in jungen Jahren. Um 1913 entanden eine Reihe von Akt-Holzschnitten mit einer großer körperlicher Ausstrahlung und in verschiedenen Kontexten: im Wald, am Meer, im Atelier etc.

Das dritte und letzte Kapitel der Ausstellung ist dem Spätwerk vorbehalten. Der Besucher wandert in das erste Obergeschoss, wo die Aquarelle und Zeichnungen ausgestellt sind. Es dominieren Landschaften und Stillleben. „Der Karpfen“ von 1929, monumental von Schmidt-Rottluff inszeniert, ist eine Ikone der Sammlung und bei den Chemnitzern ein Lieblingswerk. Die künstlerische Kraft der späten Jahre bis 1970 zeigt sich in den Blumenstillleben, die sind einfach nur schön und anmutig.

Die kunsthandwerklichen Arbeiten aus der ehemaligen Sammlung Peters sind in die Großausstellung integriert. Mit dem Sammler-Ehepaar waren Schmidt-Rottluff und seine Kinder lebenslang freundschaftlich verbunden. Ein Messingteller und ein Messingkästchen mit figürlichen Gravuren assoziieren Picassos Handschrift, unglaublich diese Linienführung. Aus kleinen rundlichen Steinen vom Ostseestrand wachsen Gesichter und Gemütszustände. Eine beschnitzte Kokosnuss ist mit Aktdarstellungen versehen.

Die Geschichten zu den einzelnen Kunstwerken sind zum Teil sehr ausführlich in den beiden sehr empfehlenswerten Ausstellungskatalogen nachzulesen. Die schleppt kein Betrachter mit sich herum. Deshalb sollte in jedem Fall der Audioguide ausgeliehen werden, der Informationen zu etwa 50 Kunstwerken vermittelt.

Der Ausstellungsbesuch braucht Zeit und Muße bei der Fülle an Eindrücken und Bildern. Einfach nur Genießen: das Feuerwerk an Farben, die expressive Formensprache, die Geschichten hinter den Kunstwerken, der entspannte Gang durch die Ausstellung.

Ausstellung
„Karl Schmidt-Rottluff.
490 Werke in den Kunstsammlungen Chemnitz“

Museum am Theaterplatz
Laufzeit bis 10.04.2016
geöffnet: Di+Do-So, Feiertage 11-18 Uhr | Mi 11-20 Uhr

Kataloge 30 Euro | 16 Euro

Der Text erschien zuerst im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort in Suhl.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

8 + 1 =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.