Gräfin Terzky kommt auf Krücken. Die blöden Reime kommen nicht mehr vor. „Wallenstein“ aus Weimar gastiert am Theater Erfurt.
Großes Schauspiel-Theater ist angesagt, das kommt in Erfurt nur noch selten vor. Theatergänger erinnern sich an das 2002 in den Tod geschickte Erfurter Schauspiel-Ensemble und das Schauspielhaus Am Klostergang, das seitdem verfällt. Zehn Minuten vor der Premiere, hoppla, vor dem ersten Gastspielauftritt der Weimarer, noch gähnende Leere im Parkett. Ich schleiche vor der ersten Reihe entlang. Ein Pult, ein Zettel mit der Aufschrift „Souffleuse Faust“.
Nee, Mittwoch Abend 18:00 Uhr wird „Wallenstein“ aus Weimar gegeben. Der Thieme-„Faust“ hat sich hier schon vor Jahren im Rad gequält. Jetzt kommt der Horwitz als Feldherr, Sternengucker und gescheiterter Diplomat auf die Bühne. Wieder ein Star, den sich das Deutsche Nationaltheater angeln konnte.
Wegen Dominique Horwitz sind viele Erfurter in die Aufführung gekommen, höre ich in den beiden Pausen. Aber Mittwoch und 18:00 Uhr und fünf Stunden Spieldauer, das schreckt doch manche Besucher ab. Kondition und Konzentration sind gefragt bei den 13 Schauspielern und den Besuchern. So geschätzt zwei Drittel der Plätze sind besetzt, als Horwitz den Prolog spricht.
Vor dem Prolog noch ein Prolog. Der Weimarer Theaterintendant Hasko Weber muss ansagen, dass Johanna Geißler, die Gräfin Terszky, heute mit Krücken kommt, ein Bänderriß. Das ist kein Regie-Einfall, sagt Regisseur Weber. Das wird ´ne echt harte Nummer für die Kupplerin und Einflüsterin Terzky-Geißler, so Trepp hoch und Trepp runter. Und dann noch die verhinderte Liebesnummer im Totenbett mit dem geschlagenen Feldherrn. Dafür gibt’s auch einmalige Momente, wenn sie nachdrücklich die Krücken schwingt. Kommt ja sonst in der Inszenierung nicht vor. Ein Extra-Bravo für Johanna Geißler, wie sie den Abend durchgehalten hat.
Theater findet ja jeden Abend neu auf der Bühne statt. Das ist nicht neu, muss hier aber wieder mal geschrieben werden. Das macht Theater so einzigartig, das ist der Zauber. Im Zeitalter digitaler Bilder, Mediatheken und Videokanäle kann ja jeder Depp Bilder anhalten, zoomen, immer wieder das Gleiche gucken. Theater ist jeden Abend anders.
„Wallensteins Lager“, das fast alle Kritiker nach der Weimarer Premiere am 30. Januar so gelobt haben, kommt mir diesmal nicht so atemlos und exzessiv vor. Überhaupt, so scheint mir, zur Premiere herrschte auf der Weimarer Bühne eine größere Anspannung. Aber Routine kann es noch nicht sein, das ist erst die dritte Vorstellung.
Octavio gefällt mir diesmal viel besser. Er ist wirkt abgeklärter, souveräner und distanzierter zu Wallenstein. Max brodelt wieder wunderbar. Im Verhältnis zu Thekla könnte es ruhig mehr funkeln. Wahre Liebe und so zahm. Aber vielleicht denken die Beiden das Scheitern von Anfang an mit, geht mir so durch den Kopf. Die Herzogin erscheint mir nicht mehr so schrill wie in der Premiere.
Fast fünf Stunden Spieldauer halten nicht alle Besucher aus. Die Flüchtigen in den Pausen hinterlassen sichtbare Leerrräume im Parkett. Meine Nachbarin in der elften Reihe, sie geht seit Jahrzehnten ins Theater, hält tapfer durch. Und sie ist hinterher irgendwie glücklich, habe ich so den Eindruck. Überhaupt, der Schlussbeifall ist heftig freundlich, laute Bravos.
PS. „Wallenstein“ läuft noch zweimal im Theater Erfurt, danach wieder am DNT Weimar. Sehenswert.