Benjamin-Immanuel Hoff ist anders als andere Politiker. Versuch einer distanzierten Annäherung an einen Multi-, medial und auch sonst bestens vernetzten KULTUR-Minister und Chef der Thüringer Staatskanzlei.
Benjamin-Immanuel Hoff spricht im Januar 2015 in Neustadt/Orla zur Eröffnung des Themenjahres „Reformation – Bild und Bibel“ über die Reformation als „Bildungs- und Medienrevolution“. Er schlägt einen gedanklichen Bogen zu den Bildern des Terroranschlags auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo und weiter zur Bilderproduktion der Cranachs und ihrer Werkstatt. Vor einem exklusiven Zuhörerkreis im Weimarer Stadtschloss zum Jahresempfang der Klassik Stiftung gesteht er im Februar 2015, er sei tatsächlich aufgeregt, hier zum ersten Mal zu reden. Und dann soll er noch über Kulturpolitik etwas sagen.
Im sozialen Netzwerk Twitter ist Benjamin-Immanuel Hoff seit März 2009 unterwegs. Ihm folgen über 1.700 Menschen. Er zwitschert täglich über seinen Politikeralltag, die große und die kleine Welt, was sie im Innersten zusammenhält und auseinandertreibt. Bei Twitter jubelt der bekennende Fußballfan auch mal über die Erfolge des FC Bayern München. Der 39-jährige Politiker ist seit dem 5. Dezember 2014 Thüringer Minister für Kultur und noch einiges mehr.
Vor allem ist er Chef der Thüringer Staatskanzlei in der Kurmainzischen Statthalterei in Erfurt. Von dort aus organisiert, moderiert und kommuniziert er Politik. Er denkt vor und nach. Er bewältigt ein Pensum an Arbeit, intellektuell und rein quantitativ, das Außenstehende schwer nachvollziehen können. Er vertritt die Landesregierung auch in den Politikfeldern Europa, Bundesrat, Medien, Kirchen- und Religionsangelegenheiten – und wie bereits erwähnt Kultur. Wie schafft er das nur alles?
Der Politiker der Partei Die Linke gesteht in einem Zeitungsinterview, „ich bin gern Kulturminister“. Er wollte diesen Politikbereich in der neuen Landesregierung unbedingt vertreten, erzählt er zu anderer Gelegenheit in einer vertraulichen Runde. Bei den Koalitionsgesprächen zwischen den Parteien Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Herbst 2014 verhandelt er das Große und Ganze. Die Kulturpolitik spielt eine nachgeordnete Rolle. Das war aber auch bei Vorgängerregierungen und Koalitionen ähnlich.
Positionen im Koalitionsvertrag
Der rund 100 Seiten umfassende Koalitionsvertrag der drei Parteien ist Geschäftsgrundlage und Regierungsprogramm, eine Absichtserklärung, was Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in den nächsten fünf Jahren erreichen wollen. In der Präambel steht, sie wollen eine „neue Kultur des Zuhörens und Mitmachens“ etablieren. Und weiter ist zu lesen: „Die reiche kulturelle Landschaft Thüringens ist ein Alleinstellungsmerkmal, das wir bewahren und entwickeln wollen.“ Das unterschreibt jede politische Partei und jeder nur ein bisschen an Kultur interessierte Bürger.
Mit vier Leitprojekten setzen die Koalitionäre Prioritäten. Das zweite Leitprojekt „Gute Bildung“ beginnt mit dem Satz: „Wir verstehen die Umsetzung notwendiger Weiterentwicklungen im Bildungs- und Kulturbereich … als Weg, den wir gemeinsam mit allen Akteuren gehen wollen und für den wir Gelegenheitsbedingungen schaffen.“ Alles klar?
Die drei Parteien widmen der Kultur-, Medien- und Netzpolitik ein eigenes Kapitel mit fünfeinhalb Seiten in ihrem Vertrag. Da ist die Rede u. a. von Kulturausgaben, die verstetigt werden sollen, das Kulturkonzept der Vorgängerregierung soll fortgeschrieben werden, ein Kulturfördergesetz ist geplant. Der Absatz „Museen“ wird eingeleitet: „Die Koalition wird die Museumslandschaft zusammen mit den Kommunen erhalten und anhand gemeinsam mit dem Museumsverband zu erarbeitender Qualitätskriterien weiterentwicklen.“ Konkret genannt werden ein „Volontariatsprogramm des Landes“, das „Landesdigitalisierungsprogramm“ und die Provenienzforschung.
Natürlich müssen die Museen im Kontext der anderen Kulturbereiche und -institutionen betrachtet werden. Dabei fällt auf, dass die Theater und Orchester, wie schon bei den Vorgängerregierungen, prioritär betrachtet und behandelt werden. Aktuell fließen 65 der 155 Millionen Euro Landesfördermittel jährlich in Theater und Orchester, insgesamt 105 Millionen Euro mit den Zuschüssen aus weiteren öffentlichen Kassen. Die neun öffentlich geförderten Theater in Thüringen verfügen über eine Platzkapazität, die dreieinhalb mal so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt, steht im Kulturkonzept des Freistaats Thüringen von 2012.
Ein Satz aus dem Koalitionsvertrag muss an dieser Stelle zitiert werden, der auch für die Kulturpolitik der neuen Landesregierung gilt. „Der Koalitionsvertrag beschreibt in den Themengebieten die angestrebten und gewünschten Entwicklungen für den Freistaat Thüringen.“ Das ist eindeutig: angestrebt und gewünscht.
Kulturpolitik in Thüringen hat der neue Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) zur Chefsache erklärt. Das hat auch etwas zu tun mit der Entscheidung, das Kulturressort in der Thüringer Staatskanzlei anzusiedeln. Neben dem Chef der Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff ist Babette Winter (SPD) als Staatssekretärin im Kabinettsrang für Europa und Kultur zuständig. Drei Politiker sitzen am Regierungstisch, die Kulturpolitik machen wollen.
Kulturpolitik im Alltag
Welche Akzente setzen die neuen Kulturpolitiker im politischen Alltagsgeschäft? Welche Aktionen setzen sie fort oder stoßen sie an? Welche Anregungen und Ideen wollen sie aufnehmen und fördern? Nach knapp 150 Tagen Regierungsarbeit kann sich noch kein Bild ergeben, aber einzelne Puzzleteile sind vorhanden. In einem intensiven Beteiligungsverfahren mit Kulturakteuren sind zwei Kulturentwicklungskonzeptionen für den Landkreis Nordhausen und den Kyffhäuserkreis (Modellregion Nord) sowie die Landkreise Hildburghausen und Sonneberg (Modellregion Süd) entstanden. Hier haben Minister, Staatssekretärin und Kulturabteilung in einem Kraftakt, mit externer Unterstützung von Kulturberatern, Positionen und Perspektiven formuliert, die jetzt umgesetzt werden sollen. Der Anstoß dazu kam von der Vorgängerregierung.
Für den Museumsverband Thüringen ist ein gefördertes Programm für wissenschaftliche Volontäre an Museen, vor allem an kleinen und mittleren Häusern, von strategischer Bedeutung und genießt höchste Priorität. In den nächsten zehn Jahren werden viele erfahrene Museumsmitarbeiter und Leiter planmäßig in den Ruhestand gehen. Junge, gut ausgebildete und für die Museumsarbeit qualifizierte Fachkräfte werden gebraucht. Die Nachfrage aus den Museen nach einem solchen Förderprogramm signalisiert den Bedarf und den Druck, jetzt zu handeln. Bei 30 wissenschaftlichen Volontären geht es um einen Betrag von jährlich rund 750.000 Euro, den Land und Museumsträger aufbringen müssten, um die Stellen zu finanzieren.
Im Koalitionsvertrag ist von einem Volontärsprogramm, wie bereits zitiert, die Rede. Wann es kommt, in welchem Umfang und mit welcher Förderung zu rechnen ist, stand bis Redaktionsschluss dieses Heftes noch nicht fest.
Der Thüringer Landtag soll in diesem Jahr zwei Landeshaushalte verabschieden: für das laufende Jahr bis Juni, für 2016/2017 im Dezember 2015. Der Entwurf für 2015 ist Ende April mit Eckwerten veröffentlicht worden, Details zum Kulturhaushalt waren da noch nicht bekannt. Kulturminister Hoff hat bei seinen öffentlichen Auftritten von Anfang betont, dass nicht mehr Landesgeld für Kultur zur Verfügung stehen wird als im Jahr 2014. Es geht also um eine Summe von rund 155 Millionen Euro bei einem Gesamtetat des Thüringer Landeshaushaltes (Entwurf) von 9,272 Milliarden Euro im Jahr 2015.
Der Museumsverband Thüringen wird sich, wie bei den Vorgängerregierungen auch, engagiert und kompetent zu Wort melden, in die Kulturpolitik einmischen, die Interessen seiner Mitglieder vertreten. In der Abteilung Kultur der Thüringer Staatskanzlei und im Museumsreferat stehen die bekannten Ansprechpartner zur Verfügung. Die Abteilung wird umziehen und künftig gegenüber dem Thüringer Landtag am Beethovenplatz in Erfurt präsent sein.
„Schau mer mal!“ Als Fußballfan von Bayern München kennt Benjamin-Immnauel Hoff ja diesen Satz.
PS. Den Text habe ich Ende April 2015 für die Thüringer Museumshefte 1-2015 geschrieben, veröffentlicht im Juli 2015. Diese Version im Blog habe ich mit Links ergänzt.