Barbara Klemm und Goethe

Vom Hermannstein zur Villa Medici

REISEN hinterlässt  vielfältige Eindrücke, Erinnerungen, Emotionen. Die Ausstellung im Schiller-Museum Weimar ist wie eine Reise angelegt und führt bis zum Mond.

Na ja, die Reise zum Mond gibt’s noch nicht im Katalog zu buchen, aber im Katalog zur Ausstellung „Reisenotizen“ und in der Schau selbst ist der Mond zu sehen. Die Sichel, das fahle Licht, gruselige Stimmung, romantisch, aber nicht von Caspar David Friedrich. Sondern Fotos von Barbara Klemm und Zeichnungen von Johann Wolfgang Goethe. Die Mond-Motive bilden oben unterm Dach des Schiller-Museums den Abschluss des Rundganges und der Reise.

Hereinspaziert ins Weimarer Schiller-Museum.
Hereinspaziert ins Weimarer Schiller-Museum.

Goethe war in seiner Zeit ein weit- und vielgereister Dichter, Hofbeamter und Lebemann. Mit der Kutsche nach Ilmenau zu Dienstgeschäften oder über den Brenner nach Italien, dem Land, wo die Zitronen und die Künste blühen. Barbara Klemm, Jahrgang 1939, ist eine weit- und vielgereiste Fotoreporterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und jetzt im Ruhestand. Mit ihren Bildern hat sie sehr erfolgreich den Weg zur künstlerischen Fotografie gefunden.

In der Ausstellung begegnen sich Zeichnungen und Fotografien, analoge und digitale Medien, Text und Bild. Insgesamt sind das 200 Objekte, weil auch Fundstücke aus Goethes naturwissenschaftlicher Sammlung wie Mineralien und Pflanzenpräparate zu sehen sind. Goethe liess sich anregen, zeichnete, dichtete, notierte, was er auf Reisen ins Saaletal, in den Thüringer Wald, auf der Wartburg und in Weimar, auf Reisen nach Böhmen und Italien, in Österreich und der Schweiz erlebte. Barbara Klemm reiste erst einmal nach Weimar, um Goethe-Zeichnungen anzuschauen. „Da war ich einfach weg“, sagt sie über deren künstlerische Qualität. Und ließ sich inspirieren.

Da stehen Zeichnung und Fotografie in der Ausstellung manchmal ganz direkt im Dialog, ja sie scheinen zu flirten und zu fabulieren, was das Besondere der Landschaft, Atmosphäre, Stimmung ist, die Goethe und Barbara Klemm einfangen. Die Höhle am Hermannstein bei Ilmenau ist so ein verwunschener Ort. Oder der Palatin in Rom und die Villa Medici von der Spanischen Treppe aus gesehen. Oder ganz nah das Weimarer Gartenhaus und das Saaletal bei Dornburg. Kurator Hermann Mildenberger beschreibt einen Effekt bei den Goethe-Zeichnungen, die er gezielt nach ihren ästhetischen Qualitäten durchschaute. Bisher wurden sie oft in Ausstellungen und Katalogen als „kulturhistorische Illustrationen vernutzt“ , so Mildenberger.

Barbara Klemm in ihrer Ausstellung und im Flirt mit Goethe-Zeichnungen. Fotos: mip
Barbara Klemm in ihrer Ausstellung und im Flirt mit Goethe-Zeichnungen. Fotos: mip

Barbara Klemm begab sich auf Spurensuche, angeregt von Goethes Motiven. Und machte ganz eigene Erfahrungen. Wie Goethe einst Berge in den Alpen heraufgekraxelt sein musste. Oder wie anstrengend Reisen mit der Kutsche wohl waren. Die Fotografin identifizierte Goethes Motive unvermutet im Schwarzwald. Sie öffnet uns Betrachtern und Reisenden neue Perspektiven auf bekannte Motive wie den Rheinfall bei Schaffhausen oder Park und Villa Borghese in Rom. Sie fängt den Scheideblick nach Italien vom St. Gotthard ein, inspiriert von einer Goethe-Zeichnung. Die fantastische Fotografie wird so zum grafischen Landschaftsbild, das den Katalogcover schmückt.

Zu den eindrücklichen Stimmungsbildern Goethes und Klemms gehören Landschaften, Baumstudien, Wolkenfelder, der Mond. Alles Reiseeindrücke, aber nicht einfache Abbilder der Wirklichkeit. Denn Barbara Klemm fotografiert analog und aus der Hand, ohne Stativ. In ihrem Fotolabor entwickelt sie ihre Filme. Der Tonalität ihrer Schwarz-Weiß-Bilder gilt ihre besondere Aufmerksamkeit, erzählt sie. Das schafft die expressive Kraft, Atmosphäre, Stimmung, die für Aufmerksamkeit beim Betrachter sorgt.

In goldener Schrift sind Reisenotizen Goethes an den Ausstellungswänden zu lesen, das wirkt ästhetisch ein bisschen kitschig. Eine digitale Medienstation erlaubt das Blättern und Zoomen in Goethes Album mit 22 Handzeichnungen von 1810. Barbara Klemm gibt in zwei Video-Interviews Auskunft zu ihrer Arbeitsweise. Am 20. Oktober kommt sie selbst noch einmal nach Weimar, um über das Reisen, Fotografieren, ihre Kunst- und Weltsicht zu plaudern. Eine sehenswerte, inspirierende Ausstellung und Begegnung von zwei großen Künstlern.

Ausstellung „Reisenotizen. Barbara Klemm – Fotografien. Johann Wolfgang Goethe – Zeichnungen“
geöffnet bis 01.11.2015, Di-So 9:30-18 Uhr, ab 25.10. bis 16 Uhr
Ausstellungskatalog 204 Seiten, 128 Fotografien und Abbildungen, 25 Euro

Der Text erschien zuerst im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort.

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