Stadtrat Erfurt Kulturausschuss

Diktat der Bürokratie über die Politik

Frustriert, zynisch, verzweifelt sind die Erfurter Stadträte am Ende der Sitzung des  Kulturausschusses. Sie können aktuell nichts entscheiden, was mit Geldausgeben zu tun hat.

Sonderausstellungen in städtischen Museen finden vorläufig nicht statt. Weil die vorläufige Haushaltsführung gilt – mit weitreichenden Konsequenzen. So eine Lehr- und Lernstunde erlebe ich als Journalist höchst selten. Und ich gestehe, hinterher war ich geschockt, ratlos, wütend.

Auf meinen Blogtext „Das Schweigen der Freunde“ haben viele Kollegen, Kulturfreunde und Unterstützer des Angermuseums ganz schnell und unmittelbar reagiert (der Vorstand der „Freunde“ schweigt immer noch). Da bekam ich von einer Stadträtin den Tipp, morgen Abend (Donnerstag, 17. März) ist öffentliche Sitzung des Kulturausschusses, da spreche ich das an. Also nichts wie hin in den Ausschuss, auf den Katzenstuhl gesetzt und zugehört. Was ich da zu hören bekam, hat mich, ich wiederhole mich, schockiert und an einer Stelle getröstet. Der Reihe nach.

Öffentliche Sitzung des Kulturausschusses. Stadträte frustriert, zynisch, verzweifelt.
Öffentliche Sitzung des Kulturausschusses. Stadträte frustriert, zynisch, verzweifelt.

Die (einzige) gute Nachricht aus der Sitzung des Kulturausschusses: Die Lange Nacht der Museen findet am 10. Juni 2016 in Erfurt statt. Das hat Erfurts Bürgermeisterin Tamara Thierbach, auch verantwortlich für Kultur, den Stadträten verbindlich zugesagt. Der Hintergrund: die Einnahmen aus der Kulturnacht decken die Ausgaben, was bei öffentlichen Kulturveranstaltungen die Ausnahme ist.

Die katastrophale Nachricht lautet: Sonderausstellungen in den städtischen Museen sind bis auf Weiteres nicht vorgesehen. Die aktuelle Sonderschau im Angermuseum „Hans Purrmann. Die Farben des Südens“ wird nach dem 16. Mai abgebaut. Das was es dann. Vorläufig. Auf nicht absehbare Zeit. Das ist eine Konsequenz aus der vorläufigen Haushaltsführung in der Landeshauptstadt Erfurt.

Dieses Wortungeheuer, vorläufige Haushaltsführung, bedeutet laut Bürgermeisterin und Kulturdirektor, „es müssen unabweisbare Gründe vorliegen“, um eine Ausstellung, ein Projekt aus dem Kulturbereich zu finanzieren. Der Antrag muss an den Oberbürgermeister und das Finanzdezernat gestellt werden. Der OB entscheidet jeden Fall einzeln auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen, in dem Fall auf der Grundlage der Thüringer Kommunalordnung.

Ich muss hier so bürokratisch formulieren und beschreiben, damit das Problem halbwegs deutlich wird. Vorläufige Haushaltsführung bedeutet, die Stadt Erfurt verfügt aktuell über keinen vom Thüringer Landesverwaltungsamt, der Aufsichtsbehörde, bestätigten Stadthaushalt. Mehr noch (eigentlich weniger noch). Die Stadtverwaltung hat noch nicht mal einen Entwurf den gewählten Stadträten vorgelegt, weil die Einnahmen die Ausgaben nicht decken würden. Darüber will ich hier nicht reflektieren.

"Tolles Jahr" der Stadt Erfurt 1509/10. Aufruhr der Bürger gegen schlechte Wirtschaftsführung der Stadt. Gemälde im Erfurter Rathausfestsaal. Foto: mip
„Tolles Jahr“ der Stadt Erfurt 1509/10. Aufruhr der Bürger gegen schlechte Wirtschaftsführung der Stadt. Gemälde im Erfurter Rathausfestsaal. Foto: mip

Nur so viel. Das nenne ich Arbeitsverweigerung des Oberbürgermeisters und der städtischen Finanzverwaltung, einen Entwurf für den Haushalt 2016 nicht vorzulegen. Die Stadträte sollen doch politisch entscheiden, wie der Haushalt ausgeglichen werden kann, also wo Geld ausgegeben wird und wo nicht. Bürgermeisterin Thierbach berichtete in der Sitzung des Kulturausschusses, dass OB Bausewein auch nicht vorhabe, einen Entwurf in absehbarer Zeit vorzulegen. Vielmehr liege er mit dem Landesverwaltungsamt im Clinch über die Frage, welche freiwilligen Leistungen in welchem Umfang durch die Stadt mit Beschluss des Stadtrates finanziert werden können.

Da gibt es einen Hintergrund, der heißt Sozialticket, eine freiwillige Leistung. Der Stadtrat hat das Sozialticket beschlossen, der Oberbürgermeister hat diesen Beschluss beanstandet, das Landesverwaltungsamt hat  das ebenso beanstandet und die Geldausgabe verboten.

Diese Anweisung der Bürokratie aus Weimar ist allgemeinverbindlich für alle freiwilligen Leistungen, also auch für den Kulturbereich. Das nenne ich Diktat der (von mir nicht gewählten) Bürokratie über die Politik des Stadtrates Erfurt und der gewählten Stadträte. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

Das bedeutet, die Stadträte haben bei den sogenannten freiwilligen Leistungen nichts mehr zu melden, zu sagen, zu entscheiden, wenn das mit Geldausgeben zu tun hat.

Der Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung glaubte wohl bisher, das er noch einen kleinen Ermessens- und Entscheidungsspielraum hat, wenn schon der Stadtrat nichts mehr zu sagen hat. Da irrt der OB, wie ihm das Landesverwaltungsamt in Weimar unmissverständlich deutlich macht. Darüber liegt der Erfurter Bürokrat mit den Weimarer Bürokraten im Clinch. Oder wie seine Stellvertreterin im Kulturausschuss formulierte: „Wir kämpfen wie die Weltmeister.“

Die letzte Worte gehören den gewählten Stadträten. Der Kulturausschussvorsitzende Wolfgang Beese (SPD): „Wir haben eine schön aufgestellte Kulturdirektion und keine Kultur mehr.“ Und weiter: Die Situation „ist in höchstem Maße unbefriedigend.“ CDU-Stadtrat Michael Hose: „Wir reden darüber, was nicht kommt. Das können wir keinem Bürger vermitteln, was hier passiert.“ Linke-Stadträtin Steffi Hornbostel: „Ich beantrage die Abschaffung der Stadträte.“ (Wohl zynisch gemeint.)

Nächste öffentliche Sitzung des Kulturausschusses ist am 21. April, 17:00 Uhr, im Erfurter Rathaus, Raum 244. Da gibt es noch viele freie Katzenstühle für stille Zuhörer. Das Drama geht weiter.

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