John Lennon schaut durch seine Nickelbrille irgendwie entrückt in die Welt, fotografiert von Linda McCartney. Das Kunsthaus Apolda zeigt ihre Foto-Serien „Sixties“ und „Roadworks“: spektakuläre, überraschende, auch lapidare Aufnahmen.
Linda McCartney starb vor 18 Jahren, am 17. April 1998, viel zu früh an Krebs. Sie hätte in diesem Jahr am 24. September ihren 75. Geburtstag feiern können. Die New York Times würdigte sie in einem Nachruf als „Photographer of Rockstars“. Das ist im Kunsthaus Apolda in sehr schönen, stillen, außergewöhnlichen Aufnahmen zu sehen. Daneben gibt es auch ganz gewöhnliche Schnappschüsse, über die der Betrachter schnell hinwegschaut.
Die Foto-Ausstellung „Linda McCartney. Die 60er Jahre – Portrait einer Ära“ vereint 153 Fotografien in schwarz-weiß und Farbe, die bis in die 1990er-Jahre entstanden. Insofern irritiert der Titel, der nur einen Teil der Ausstellung abbildet und den Mainstream der 1960er-Jahre aufgreift. Musik und Kunst in Westeuropa und Amerika waren im Aufbruch und Umbruch, von meist noch unbekannten, jungen Leuten gespielt und inszeniert. Das faszniert noch heute ältere und auch junge Ausstellungsbesucher. Das war und ist Erinnerung, Rebellion, Lebensgefühl von Menschen, die den Rockstars im Live-Konzert nahe oder entfernt, am Radio, folgten.
Die Serie „Sixties“ entstand 1966 bis 1969. Linda erhielt im Juni 1966 als junge Fotoreporterin eine Einladung zu einer Pressekonferenz mit den Rolling Stones. Die gaben sich locker, leger auf dem Schiff in New York. Ach, wie schrill die längsgestreiften Hosen und Jackets, darunter gepunktete Hemden, das dunkle, volle Haar, glatte, straffe Haut. Linda machte ihre Fotos und hatte das Glück, dass der andere Kollege vergessen hatte, den Film in seine Kamera zu legen. Ihre Bilder wurden gedruckt. Darunter befand sich eine Aufnahme von Brian Jones, der sich breitbeinig auf einer Bank räkelt. Das Foto gefiel Brian Epstein, Manager der Beatles, außerordentlich. Von da an öffneten sich Türen, Aufträge folgten für das „Rolling Stone Magazine“ und für The Beatles.
In der Apoldaer Ausstellung sind diese ersten Fotos, der Start in eine Weltkarriere als Fotografin, ein bisschen versteckt worden. Das ist sehr schade. Dennoch haben die Leihgeber und Kuratoren Ina Brockmann und Peter Reichel aus Hamburg als ersten Blickfang eine ausdrucksstarke, faszinierende Porträtreihe gehängt. Nebeneinander begegnen dem Betrachter: Ray Charles, der sich hinter einer duklen Brille versteckt. Aretha Franklin, Jimi Hendrix, Janis Joplin, die der Fotokamera mit ihren Blicken ausweichen. Neil Young schaut fragend, distanziert auf das Objektiv. Da wirkt nichts gestellt oder inszeniert. Diese Porträtfotos haben eine magische Kraft.
Gleich nebenan hängt ein Saal voller Beatles. Wow! Was für Fotos in intimen, ganz privaten Situationen und verblüffenden Perspektiven. John in Farbe, das Cover- und Werbebild der Ausstellung, bei Plattenaufnahmen für „Let it be“. „Die vier Freunde“ bei der Cover Session für Abbey Road nebeneinander und doch jeder für sich und auf sich fixiert, in sich versunken. So natürlich, alltäglich, nah. Spektakulär, weil so still, die Fotos von Linda mit Paul und der gerade geborenen Tochter Mary auf der nackten Haut und eingehüllt in eine Jacke. Der Kontext der Fotos wird oft beschrieben: Wer? Wo? Wann? In welcher Sitation? hier abgebildet ist.
Die Porträts der Rockstars sind Lindas Stärke, strahlen aus, nehmen den Betrachter gefangen. David Crosby fotografiert sie im Badezimmer seines Hauses in Los Angeles, „weil mir das intensive gelbe Licht so gefiel.“ Von Jim Morrison sind drei Köpfe in einem Bilderrahmen arrangiert: mit Mikrofon in der Hand, geschlossenen Augen, er singt voller Gefühl, das man zu hören glaubt.
Wenn Linda McCartney die ungewöhnliche Perspektive sucht, öffentliche Plätze und Straßen anders sieht, dann entstehen ausdrucksstarke, leidenschaftliche, emotionale Aufnahmen. Dazu gehört aus der Serie „Roadworks“ das fast unscheinbare Foto „My Love“, entstanden 1978 in London aus der Fahrerperspektive eines Autos. Wie fokussiert erscheint das angeschnittene Gesicht von Paul im Innenspiegel. Oder die Hochhäuser von New York und Chicago von schräg unten fotografiert, um hier städtebauliche, ja grafische Strukturen sichtbar zu machen.
Der Betrachter sollte kritisch und mit wachem Blick durch die Ausstellung flanieren, um solche ausdrucksstarken Fotos zu entdecken und dort zu verweilen. Denn leider gibt es zu viele Schnappschüsse und auch experimentelle Fotos, über die man schnell hinweg sieht.
Das Kunsthaus Apolda will künftig verstärkt Foto-Ausstellungen in sein Programm aufnehmen. Der Qualitätsmaßstab ist dabei gesetzt mit früheren Foto-Ausstellungen von Karl Lagerfeld (2005), Helmut Newton (2011) und Bert Stern (2014), der Marilyn Monroe ablichtete. Promis vor der Kamera können Publikum locken, es müssen aber auch durchweg gute, unverwechselbare Fotos sein. Bei Linda McCartney sind neben außergewöhnlichen Fotos auch manche Aufnahmen aus dem Schlussverkauf dabei. Die künstlerische Qualität darf sich nicht dem Promi-Faktor oder Kommerz unterordnen.
Ausstellung „Linda McCartney. Die 60er Jahre – Portrait einer Ära“
bis 19.06.2016 im Kunsthaus Apolda | Bahnhofstraße 42
geöffnet Di-So 10-17 Uhr
Der Text erschien zuerst im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort und im Internetportal insuedthueringen.de