HPM im Kunsthaus Apolda

Welt-Ansichten und Wort-Spiele

Horst Peter Meyer führt Betrachter und Leser seiner Kunst und Werke in einen Irrgarten. Dabei sorgt er für Durch- und Einblicke in eine scheinbar undurchsichtige Welt.

Die ersten beiden Sätze stiften Wirrwarr, wie wahr. Also Klartext. Horst Peter Meyer, kurz HPM, gehört zu den herausragenden zeitgenössischen Malern, Grafikern, Zeichnern und Wortakrobaten in Thüringen und weit darüber hinaus. Seine neueste Ausstellung NEUSAETZE im Kunsthaus Apolda versammelt gemalte, gezeichnete, gedruckte und gedichtete BILDER. BLÄTTER. TEXTE. Das sind so um die 120 Werke und Stücke an der Wand, im Raum, auf der Tapete aus den letzten 30 Jahren. Das kann man retrospektiv nennen, also einen Überblick, der aber dem Künstler und seinen Bild-Wort-Kunstwerken nicht im Mindesten gerecht würde. Er ist so nicht zu fassen, schon gar nicht mit abstrakten, dürren Worten für eine Zeitung auf Papier, die er gern als Materialgrundlage, Anreger und Aufreger für neue Kunst verwendet und verwurschtet.

H. P. Meyer mit Hund Korbinian vor seinem Bild FORT GESETZTE WANDLUNG.
H. P. Meyer mit Hund Korbinian vor seinem Bild FORT GESETZTE WANDLUNG.

Die Ausstellung stiftet ästhetisches und intellektuelles Vergnügen, macht süchtig auf mehr. Mit HPM Worte zu wechseln, inspiriert jeden, der sich auf die Welt-Ansichten, Wort-Spiele und Perspektiven-Wechsel des Künstlers einlässt. Er ist ein wacher Beobachter, Analytiker und Kritiker menschlicher Verhältnisse und menschlichen Verhaltens. Er ist ein klassisch gebildeter Mensch und bedient sich in der Gedanken- und Bildwelt bei Altvorderen und Zeitgenossen aus Geschichte, Literatur und Kunst. Er ist immer in Bewegung: mit seinem Denken, Malen, Zeichnen, Schreiben, mit seinem Zwergdackel Korbinian, im Gespräch mit seinen jungen Nachbarn von der Bauhaus-Universität Weimar im Atelier in Apolda.

Künstler und Kuratorin, Horst Peter Meyer und Nadine Steinacker, dahinter großformatige Kaltnadelradierungen.
Künstler und Kuratorin, Horst Peter Meyer und Nadine Steinacker, dahinter großformatige Kaltnadelradierungen.

Was treibt HPM als Künstler an und um? Die Ausstellung, gemeinsam konzipiert und eingerichtet von Meyer und der Kunsthaus-Kuratorin Nadine Steinacker, ist in acht thematisch-formale Kapitel gegliedert. Malerei auf Leinwand und Papier, große und mittelgroße Formate, vor allem Übermalungen, Schichtungen von Farben und abstrakten Formen, dazu originäre Bildtitel von Meyer – das kennen wir seit 30 Jahren. Und entdecken immer wieder neue Ansätze, Wendungen, Perspektiven in seinem Bilder-Formen-Sprach-Kosmos. FORT GESETZTE WANDLUNG lautet eine Worterfindung für ein großes Bild, das einem wohlgeordneten Chaos gleicht. Kanten, Schluchten, Zeichen aller Art, hell und dunkel, offene und hermetisch abgeschlossene Farbfelder und Farbschichtungen. Das ist Meyers Denk- und Arbeitsprinzip: Der Betrachter soll mit seiner Erfahrung, seiner Weltsicht das Bild „vollenden“, interpretieren, deuten, entträtseln. Oder verzweifeln, was der Künstler da auf die Leinwand gebracht hat.

Die demokratischste Kunst ist die Druckgrafik, deren Niedergang HPM bedauert. Er führt sie zu immer neuer Blüte. Vier großformatige Kaltnadelradierungen, entstanden 2007, ziehen Blicke im größten Ausstellungsraum magisch an. Feine Liniengespinste, dialogische Szenen, die immer von einem MANN dominiert werden: Sokrates, König, Maler und ein Mann. Ein Zufall? Nur ein Beispiel aus der Ausstellung.

Der Wortkünstler stiftet Unruhe und Vergnügen. Fotos: mip
Der Wortkünstler stiftet Unruhe und Vergnügen. Fotos: mip

Meyers Liebe zur Literatur als Quelle eigener künstlerischer Inspiration ist bekannt. Sein 2013/2014 entstandener Zyklus DIE RILKE SUITE. DEM ABSCHIED VOR AN umfasst 185 Blätter über das Gehen. Das sind Collagen und Frottagen auf palimpsestösen Druckspuren. Palimpsestös? Immer wieder neu gedruckt auf dem vorhergehenden Motiv. Die Blätter dokumentieren Bewegung und Veränderung von Formen und Farbnuancen in zig Varianten. Eine Schule des Sehens, um Abweichungen vom vorherigen Blatt bewußt wahrzunehmen. Der Dichter Rilke spielt mit Sprache, der Künstler Meyer spielt mit Figuren, Flächen, mit Sprache als grafischer Form. Zweimal 16 Blätter hängen in der Ausstellung. Alle 185 digitalisierten Blätter laufen als Endlosschleife über einen Bildschirm. HPM bewegt sich selbst, indem er die digitale Vermittlung seiner Blätter ermöglicht.

Meyer lässt sich nicht korrumpieren, nicht in der alten DDR, nicht im neuen Deutschland.  Er korrumpiert andere, indem er sie mit Neujahrbriefen beschenkt. Ein Text zum Lesen und Nachdenken von ihm oder anderen Literaten, eine kleine Druckgrafik und ein Stempeldruck, sein Signum. 2005 lautet der Titel: schlaraffen land maul affen land. Nur mal so, weil der Schreiber dieser Zeilen und andere schreibende Kollegen von HPM korrumpiert worden sind. Die Neujahrsbriefe gehören in diese Apoldaer Ausstellung wie auch die Faltbogen für Brecht, Thomas Bernhard, Babel, Christa Wolf und andere. Sie sind literarisch und grafisch und eine eigene Geschichte wert.

Weil dieser Text, ja, zugegeben, diese Hommage an HPM, für einen gedruckten Zeitungsbeitrag schon viel zu lang ist, kommt hier der Schlusspunkt. Einfach ins Kunsthaus nach Apolda fahren, Augen auf, Gehirn aktivieren, sich eine Musestunde oder zwei gute Stunden einfach gönnen.

PS. Die Ausstellung wird ab 10. September in reduzierter Form im Kunstverein Coburg zu sehen sein.

Horst Peter Meyer
NEUSAETZE
BILDER.BLÄTTER.TEXTE.

Kunsthaus Apolda Avantgarde
bis 4. September 2016
geöffnet Di-So 10-17 Uhr

Der Text erschien zuerst auf Papier im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort und auf der Internetseite insuedthueringen.de.

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