Erste Premiere in Meiningen

Hoch auf dem schwarzen Wagen

Anna Fierling macht ihre Geschäfte im und mit dem großen Krieg. Wofür steht sie in der Meininger Inszenierung „Mutter Courage und ihre Kinder“?

Masken, Fratzen, entstellte Gesichter und große Gesänge. Als ob Aliens die Erde erobern. Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović eröffnet den Theaterabend über den großen Krieg mit großem Gedröhne und einem düsteren Bild. Das assoziiert das berühmte Triptychon „Der Krieg“ von Otto Dix, das der Künstler 1929/32 vorausahnend vor dem letzten großen Krieg malte. Grundrauschen und Gesänge auf der Bühne verursachen bei meinem Nachbarn im Parkett schwer erträgliche Schmerzen. Ohren zu, Augen auf und ab durch diesen lärmenden Prolog.

Gedruckt in Freies Wort mit Foto aus dem dröhnenden Prolog.
Gedruckt in Freies Wort mit Foto aus dem dröhnenden Prolog.

Danach geht’s erstmal geordnet widersprüchlicher zu. Wie es halt der alte Brecht vor fast 80 Jahren aufgeschrieben hat. Seine Erben schauen immer noch (?) auf die Inszenierungen, dass sie dem alten Lehrmeister und Dialektiker gerecht werden. Krieg ist ungerecht. Von wegen! Krieg ist das Geschäftsmodell von Anna Fierling, genannt Mutter Courage, die mit ihren drei Kindern dem Krieg hinterherzieht. In den Krieg muss jeder. Auch die beiden Söhne der Courage.

Das ist ein Glücksspiel, das die Courage anzettelt. Die Söhne verlieren. Äh, sie gewinnen, denn sie wollen in den Krieg, von dem die Mutter profitiert. Nur die Söhne sollen nicht mitspielen und sterben. Brechts Stücke leben von diesen Widersprüchen, vom Sein und Schein, von der Dialektik im Denken und Handeln. Manchmal kommt er belehrend auf die Bühne. Das nervt dann.

In Meiningen setzen sie vor allem auf Bilder, Farben, Container-Käfige, auf Lieder, Töne, Gedröhne, auf ein irgendwie geordnetes Chaos auf der Bühne, die sich Klaus Werner Noack (auch Kostüme) ausgedacht hat. Ja wo ist denn der Planwagen der Courage? Das rollende Geschäft, der mobile Handelswagen? Das ist einer von acht schwarzen Containern, von offenen Käfigen, von Gefängnissen auf Rollen, die im Krieg auf der Bühne immer mal wieder nach irgendeinem Plan hin- und hergeschoben werden. Chaos eben.

Der Planwagen (vergessen muss ich meine Bilder im Kopf vom Berliner Ensemble mit Gisela May und zuletzt Carmen-Maja Antoni) ist nicht das treibende Element der Inszenierung, die Courage und die Kinder sind nicht die Zugpferde. So wie in Meiningen kann man das auch sehen. Dadurch wird das fahrende Symbol von Brecht bei Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović verwechselbar. Austauschbar sind die Raketen und die Atomkiste im Käfig-Planwagen, eine arg vordergründige Aktualisierung. Ein anderer Käfig dient als Schlachthaus für Tiere und Menschen. Die Metapher hätte Brecht vermutlich gefallen. In einem weiteren Käfig spielen Musiker (Jan Schamberger u. a.), die auf der Bühne mal da-, mal dorthin verschoben werden.

Christine Zart  ist Anna Fierling. Ja, wofür steht die Courage? Ist das eine Anti-Courage? So geschäftstüchtig im Krieg, so gut bürgerlich und zivilisiert erscheint sie. Innerlich zerrissen? Vielleicht. Äußerlich zerlumpt? Nee. Sie will ihre Kinder aus dem Krieg heraushalten, der sie alle vier ernährt und überleben lässt. Das ist nicht zu schaffen. Die verweifelte Mutter ist ganz kurz spürbar, als sie um ihren Sohn Schweizerkas feilscht und verliert. Gefühle flackern bei ihr auf, als der Feldprediger (Joachim Rodewald) und der Koch (Michael Jeske) um sie buhlen. Christine Zart hat eine große Szene mit einem großartigen Song vor der Pause. Doch wofür steht sie?

Der Krieg frißt die Kinder Eilif (Sven Zinkan) und Schweizerkas (Phillip Henry Brehl). Wer im Frieden tötet, wird hingerichtet. Im Krieg wäre das nicht passiert. Die brutalen Typen sind da wie dort die gleichen. Wo die Courage den Vogel rupfte, ihre Geschäfte machte, stirbt ihr jüngster Sohn einen grausamen Tod. Das ist der Dialektiker Brecht. So eine Szene prägt sich ein, aber sie trägt nicht den Abend.

Der stille Star der Inszenierung ist die stumme Kattrin, ist Anna Krestel. Sie spielt eine große Menschenfreundin, sie liebt die Menschen, ihre Brüder und die Mutter, beobachtet Kriegstreiben und Kriegstreiber verängstigt, manchmal panisch. Sie flieht hoch auf den schwarzen Wagen, auf den Planwagen der Courage, hält Ausschau nach einem Leben im Frieden und, vielleicht, mit einem Mann, der sie mag. Sie flieht von der Bühne zu den Menschen, zu den Zuschauern im Parkett. Ein Sinnbild, eine Brücke in die Gegenwart, über die ich gehe.

Meret Engelhardt irrlichtert als verführerische Yvette durch den Krieg. Mit käuflicher Liebe sind halt auch Geschäfte zu machen. Wobei ihr Spiel, Kostüm und der Herzchen-Container gerade noch so am Klischee vorbeischlittern. Andere Kriegsgestalten (Vivian Frey, Matthias Herold, Reinhard Bock) haben kurze Auftritte, manchmal etwas zu spielen und zu sagen, wenn der Frieden nur Schlamperei ist und erst der Krieg Ordnung schafft.

Nach der Premiere: Wenig Mut, den Theatertext von Brecht zu inszenieren zu spielen. Fotos: mip
Nach der Premiere: Wenig Mut, den Theatertext von Brecht zu inszenieren. Fotos: mip

Am Ende senkt sich der Himmel zur verbrannten Erde. Oben irrt die stumme Kattrin umher, die gestorben ist. Ein letzter, dröhnender Ton. Spielt mir das Lied vom Tod.

Nächste Vorstellungen: 14.09. | 02.10. | 23.10. | 13.11.2016

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