Alltagsdesign in der DDR

FREIA von Ernst Fischer aus Suhl

Ein zeitlos schönes, zuverlässiges Rührgerät. Ein knuddeliges Rupfentier als therapeutisches Spielzeug. Eine Koffernähmaschine, die heute noch näht. Kultobjekte von Formgestaltern aus der DDR in einem Dokumentarfilm des MDR-FernsehensAlle drei Alltagsgegenstände entwarfen Formgestalter für Betriebe in Suhl und Sonneberg. Über das RG 28 aus dem Elektrogerätewerk Suhl lief gerade sehr erfolgreich ein neuer Film. Die legendären Rupfen-Spielfiguren von Renate Müller aus Sonneberg stellen das Museum of Modern Art MoMA in New York und das Deutsche Spielzeugmuseum in Sonneberg aus. Die Koffernähmaschine FREIA entwarf Ernst Fischer aus Suhl bereits 1948. Sie soll heute noch in manchem Haushalt genutzt werden.

Der 45minütige Dokumentarfilm von Anna Schmidt und Tom Fugman, produziert im Auftrag des MDR, ist eine liebevoll kritische Hommage auf die Formgestalter und die gute Form von Alltagsobjekten, die nach 1945 in der DDR entstanden. Die Autoren erzählen quasi im Überflug die Geschichte von „Schwalbe und Plastikschüssel – Alltagsdesign in der DDR“, von den Produkten und den Produktgestaltern, den Verhältnissen, unter denen sie kreativ sein konnten und mussten sowie den Vorgaben von Politikern und den begrenzten materiellen Bedingungen.

Kultobjekt RG 28, das heute noch in manchen Haushalten rührt. Screenshot: mip
Kultobjekt RG 28, das heute noch in manchen Haushalten rührt. Screenshot: mip

Die einfallsreichen Gestalter sollten „Produkte für das Leben“ entwerfen, „langlebig, funktional, ressourcenschonend“. Schön sollten sie auch noch sein. Der Design-Papst der DDR, Rudolf Horn, formuliert im Film den Anspruch, eine „kulturelle Identität“ schaffen zu wollen, was immer er damit verband. Seine berühmte Hellerau-Schrankwand MDW ist ein herausragendes Beispiel für gediegene, exquisite und dabei individuell nutzbare Möbel. Langlebigkeit galt als „ethisches Prinzip“, postuliert Horn, aber auch geschuldet der Mangelwirtschaft. Warum etwas gut gestaltet war, die Qualität von Design, wird immer wieder gut ins Bild gesetzt, etwa am Beispiel einer Tülle an einer Kanne von Christa Petroff-Bohne, eine der legendären Gestalterinnen in der DDR.

Der Film versucht historisch-chronologisch die Geschichte des DDR-Designs zu erzählen, was nur überblicksweise gelingen kann. Das heutige Thüringen spielt dabei eine prägnante Rolle, was sowohl die Traditionen vom Bauhaus kommend, die Produkte und die Gestalter betrifft. Beispiele im Film sind der Wartburg 353, Simson S50, Spielzeug aus der Sonneberger Region. Die Autoren mussten leider weglassen: Kellner-Spielfiguren aus Tabarz, Uhren aus Ruhla, Jenaer Glas, Porzellan aus Kahla, Büromaschinen aus Sömmerda und Erfurt und noch einiges mehr. Von den Gestaltern kommen u. a. zu Wort: Renate Müller, Karl Clauss Dietel (Wartburg 353-Gestalter), erwähnt wird der legendäre Weimarer Gestalter Horst Michel.

Der Film versucht, den ideologischen, kultur- und wirtschaftspolitischen Kontext von Design-Entwicklung in der DDR herzustellen. Das kann nur ansatzweise gelingen. Wer kennt die Formalismus-Diskussion und -Doktrin aus den 1950er-Jahren? Oder das Amt für Industrielle Formgestaltung, das zentralistisch förderte und forderte, kontrollierte und reglementierte? In den 1980er-Jahren musste „Kitsch für Quelle“ für die alte Bundesrepublik produziert werden. Die DDR brauchte Devisen.

Mehrfach im Film kommt Günter Höhne zu Wort, der Experte für DDR-Design, ehemaliger Chefredakteur der einzigen Design-Fachzeitschrift in der DDR und Autor des Standardwerkes „Penti, Erika und Bebo Sher. Die Klassiker des DDR-Designs“, erschienen 2001. Der Mann steckt voller Geschichten, kann kompetent und pointiert erzählen. Er beschreibt das RG 28 „als sympathische Kumpeline“ und „Ich rühre, so lange ich noch kann.“ Sie rührt noch heute in Suhl und anderenorts.

Der Film von Anna Schmidt und Tom Fugmann kann ich der Mediathek des MDR abgerufen werden, ebenso umfangreiches Hintergrundmaterial (Texte, Fotos, Videos, Audios).

Der Text erschient zuerst im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort Suhl (Bezahlschranke).

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