Einfach nur ärgerlich

Im Käfig verirrt und gescheitert

Die Sonderausstellung „Barfuß ins Himmelreich? Martin Luther und die Bettelorden in Erfurt“ verspricht viel und hält wenig. Sie verstört und verärgert viele Besucher.

Farbige Käfige und Gitter dominieren die Ausstellung und das sinnliche Erlebnis. Wo sind die authentischen Objekte, die Geschichte und Geschichten erzählen? Von den Erfurter Bettelmönchen und ihren Orden, von den Klöstern und der Stadt, in der Martin Luther studierte und in das Kloster der Augustiner-Eremiten eintrat? Der selbst gestellte Anspruch des Kurators Anselm Hartinger, Direktor der Geschichtsmuseen der Stadt Erfurt, ist hoch. Mit seiner ersten Sonderausstellung zweieinhalb Jahre nach Amtsantritt scheitert er inhaltlich, ästethisch und handwerklich.

Die Käfig-Architektur domniert die Ausstellung.
Die Käfig-Architektur domniert die Ausstellung.

Der zweite Blick im Stadtmuseum Erfurt fällt, jenseits der dominanten Käfige, auf eine große Wand mit viel Text, aber auf kein sinnlich erlebbares Objekt mit Signalfunktion. Wo fängt der Rundgang an, der die Bettelorden in Erfurt als eine Voraussetzung für Luthers Weg vom Mönch zum Reformator beschreibt? Luthers Eintrag in die Matrikel der alten Erfurter Universität ist unauffällig in einer Vitrine platziert, die von diesen Käfigen erdrückt wird. In einer Nische, die der Besucher finden muss, steht ein Schreibtisch mit Laptop, Metapher für Luthers Bildungshunger mit einem gewagten Brückenschlag in die Gegenwart.

Eine nachvollziehbare Geschichte erzählt die Ausstellung nicht.
Eine nachvollziehbare Geschichte erzählt die Ausstellung nicht. Alle Fotos: mip

Der Besucher irrt durch die Ausstellung im Stadtmuseum Erfurt. Sechs Themen werden ausgebreitet: Bettelorden, Mönchtum, Kloster, Ablasskritik, Reformation und ihre Folgen im Kontext der Stadtgesellschaft. Texte in Deutsch und Englisch informieren schlaglichtartig. Die dazugehörigen Exponate umfassen zum Teil kostbare Bücher, Flugschriften, prächtige Urkunden, liturgisches Gerät, Schnitzplastiken, Altarbilder, Alltagsgegenstände und archäologische Fundstücke von 28 Leihgebern, vor allem aus Thüringen. Der Hl. Thomas von Aquin, eine niederrheinische Schnitzplastik um 1480, der Hl. Bernhardin, ein Tafelgemälde Ende des 15. Jahrhunderts aus dem Schlossmuseum Arnstadt, eine Stadtansicht Erfurts von 1525 gehören zu den  visuell auffälligen Objekten.

Ärgerlich sind die Erläuterungen zu den Objekten in kleiner Schriftgröße, oft in Hüft- oder Kniehöhe des Besucher angebracht. Ärgerlich sind die schlechte Ausleuchtung der Objekte und Vitrinen, von denen einige Schlieren und Streifen aufweisen, nicht ordentlich gereinigt worden sind. Das ist peinlich für eine Sonderausstellung, mit der die Landeshauptstadt bei auswärtigen und ausländischen Besuchern punkten will.

Zum Davonlaufen auf eine Wand. Oder vor welchen Problemen?
Zum Davonlaufen auf eine Tür.

Der Rundgang im Stadtmuseum hält Überraschungen bereit. Ein funktionierendes Laufband aus einem Fitness-Studio als Metapher für…, na ja, das Davonlaufen vor Problemen. Ein inszeniertes Blitzlichtgewitter vor dem Eintritt Luthers in das Kloster wird begleitet von coolen Sprüchen. Schließlich kann der Besucher auf einen Sandsack mit den Konterfeis von Papst Leo X. und Martin Luther boxen. Ein interaktiver Epilog im Museum, der die Kraft des Besucher herausfordert.

Das Erfurter Stadtmuseum ist die erste und wichtigste Station der Sonderausstellung und eines Rundganges zu authentischen Orten der spätmittelalterlichen Stadt und von Luthers Wirken, wenn der (auswärtige) Besucher dorthin geführt wird. Das passiert leider nicht. Die Predigerkirche, verbunden mit dem Wirken des berühmten Dominikaners Meister Eckhart (spielt in der Ausstellung keine Rolle), und die Ruine der Barfüßerkirche (Franziskaner) sind einzigartige Zeugnisse der Bettelordensarchitektur im Zentrum einer mittelgroßen Stadt in Deutschland. Luthers Kloster, das berühmte Augustinerkloster (Augustiner-Eremiten) könnte im Juli als UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen werden. Die Serviten sind in Erfurt weitgehend unbekannt. Andere Klöster sowie authentische Luther-Stätten bleiben der Tourismus-Werbung vorbehalten. Wenigstens das.

Der Begleitband zur Ausstellung soll erst Ende Juni erschienen, noch so ein peinlicher Vorgang. Dabei hat das Thema „Bettelorden und Luther in Erfurt“ ein großes Publikum verdient, weil es auf historische Wurzeln und entscheidende Impulse der Reformation von 1517 aufmerksam macht, machen sollte. In Erfurt ist Martin Luther geistig und geistlich geprägt worden durch sein Studium an der alten Universität und seinen Eintritt in das Kloster der Augustiner-Eremiten. Diese Geschichte erzählen die Ausstellung und die mit ihr verbundenen authentischen Orte der Stadt für die Besucher nicht.

Der Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung Freies Wort und im Internet.

Der Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung Freies Wort und im Internet.

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