Der gläserne Baukörper imponiert. Die Ausstellung fasziniert und inspiriert. Besucher sollen sich im besten Sinne verführen lassen. Das am Sonntag eröffnete neue Bauhaus-Museum Dessau präsentiert die Vielfalt der weltberühmten Schule, ihrer Schüler und Meister.
Der erste Eindruck: Was ist das nur für ein mächtiger, gläserner Riegel. 105 Meter lang, 25 Meter breit, 12 Meter hoch. Von außen dringt kein Blick durch die spiegelnde Fassade nach innen. Umgekehrt ist ganz viel Durchsicht und Transparenz auf die Innenstadt, den Park und die Leute vor der Tür möglich. Einige drücken sich an der gläsernen Haut die Nasen platt. Was für ein UFO ist da im Herzen der Stadt gelandet?
Der Stiftung Bauhaus Dessau als Bauherrin ist gemeinsam mit vielen Partnern und den Geldgebern von Bund und Land Sachsen-Anhalt ein großes Wunder gelungen. In nur knapp zweieinhalb Jahren entstand der moderne Museumsneubau. Der Kostenrahmen ist mit knapp 30 Millionen Euro eingehalten worden. Zum Vergleich: Der Neubau des Bauhaus-Museums in Weimar benötigte viel mehr Zeit, er war zur Eröffnung im April 2019 noch nicht voll funktionstüchtig. Der Erweiterungsneubau des Bauhaus-Archivs, Museum für Gestaltung, in Berlin hat gerade begonnen, nach 16 Jahren Vorlaufzeit. Er soll voraussichtlich Ende 2022 eröffnet werden.
Den jungen spanischen Architekten von addenda architects aus Barcelona ist ein klarer, schlichter und prägnanter Entwurf gelungen. Ein Haus im Haus, umgeben von einer dreifach verglasten Hülle, die alle Funktionen erfüllt (Wärme-, Sonnenschutz, Sicherheit, Vogelschutz). Im Erdgeschoss schwebt fünf Meter über den Köpfen der Besucher eine 99 Meter lange und 18 Meter breite Black Box, die wie eine Brücke konstruiert ist. Darin wird die Dessauer Sammlung präsentiert, ohne Tageslicht, effektvoll und farbintensiv, wie eine offene Studiensammlung inszeniert.
Das Erdgeschoss, die „Offene Bühne“, ist kostenfrei öffentlich zugänglich. Sie bietet auf 600 Quadratmetern Platz für Wechselausstellungen und viele Veranstaltungsformate (Theater, Konzert, Tanz, Film, Diskussionen, Vorträge etc.). Die „Arena“ von Rita McBride als skulpturale Adaption einer halbkreisförmigen Zuschauertribüne ist ein Ort für künstlerische Programme und Interventionen. Das „Lichtspielhaus“ von Lucy Raven besteht aus verschiedenfarbigen, raumhohen Glaspanelen, die sich über 15 Meter parallel zur Glasfassade des Museums verschieben lassen. Farben und Licht ergeben spannende, weil permanent wechselnde atmosphärische Stimmungen. So eingestimmt, kann der Besucher das eigentliche Herz des Hauses, die Black Box, erkunden.
Die 49.000 Objekte umfassende Sammlung des Bauhauses Dessau, die nach Berlin Zweitgrößte, schlummerte bisher in Depots, wurde gelegentlich und vor allem weltweit mit nur wenigen Exemplaren ausgestellt. In Dessau, wie in Weimar, fehlte bisher ein exklusiver Ort, um die Schätze der Bauhaus-Schüler und Meister öffentlich und angemessen zu präsentieren. Das Kuratorenteam mit Regina Bittner, Dorothée Brill und Wolfgang Thöner erzählt die Geschichte und Geschichten der Blütezeit des Bauhauses in Dessau von 1926 bis 1932. Die Schülerinnen und Lehrer an der „Versuchsstätte Bauhaus“ entwarfen und verwarfen Ideen, entwickelten und experimentierten mit Modellen und Mustern, produzierten Kunst und Gebrauchsartikel, arrangierten sich mit Handwerk und Industrie. Von der Teetasse bis zur Bauhaus-Siedlung in Dessau-Törten reichte das Repertoire. Schülerinnen und Meister lebten und liebten in einer Stadt, in der die Avantgarde umstritten, die Bauhäusler nicht von allen Bürgern gelitten und geschätzt wurden.
Die Sammlung in Dessau geht auf einen spektakulären Ankauf 1976 in der Galerie am Sachsenplatz in Leipzig zurück. Auf drei Schreibmaschinenseiten, die den Ausstellungsteil „Aufbau der Sammlung“ eröffnen, werden ca. 80 Objekte von Bauhaus-Schülern und -meistern aufgelistet, die für knapp 200.000 DDR-Mark den Grundstock bilden. Bis 1990 wächst die Sammlung auf 9.000 Positionen, neben Ankäufen vor allem Schenkungen und Dauerleihgaben von Bauhaus-Familien und privaten Sammlern. Der zentrale Ausstellungsraum, die „Horizont Fabrik“, überrascht mit einem ca. 70 Meter langen, orangefarbenen Regal, in dem die Produktpalette des Bauhauses Dessau ausgestellt ist. Links und rechts davon stehen, liegen und hängen auf Tischen und an Wänden Entwürfe und Modelle, oft im Kontext von Schülerin und Lehrer gestellt und erzählt.
Die Erfurter Bauhaus-Absolventin Margaretha Reichardt ist mit Stoffentwürfen, einem großen Wandteppich und einem der seltenen Bauhauskleider hervorragend vertreten, gemeinsam mit ihrem Lehrer Wassily Kandinsky. Die Präsentation in Dessau ist so etwas wie ein musealer Ritterschlag. Von Alfred Arndt sind Entwürfe, Zeichnungen und historische Fotos vom Haus des Volkes in Probstzella zu sehen, der größten Bauhaus-Architektur im heutigen Thüringen. Der Bauhäusler Franz Ehrlich, von ihm stammt der Schriftzug „Jedem das Seine“ am Lagertor des KZ Buchenwald, ist mit Entwürfen für das Bau-Ensemble des DDR-Rundfunks in Berlin, Nalepastraße, vertreten. So kann der Besucher Entwicklungen nachvollziehen, Geschichten schauen und lesen. Natürlich stehen auch Ikonen des Bauhauses im Regal: Stühle, Möbel, Geschirr und Leuchten. Vielfalt und Fülle bestimmen die Qualität der Sammlung.
Der Besucher bekommt leider nur eine Stunde Zeit, um die Dessauer Bauhaus-Sammlung im neuen Museum zu erleben. Die Besuchszeit ist limitiert, weil ein großer Ansturm erwartet wird. Bis Jahresende sind alle Termine für Besuchergruppen ausgebucht. Einzelbesucher sollten vorab via Internet Zeitkarten erwerben, um nicht anstehen zu müssen. Multimedial kann die App „Bauhaus Dessau“ auf den Besuch einstimmen. In Dessau laden die Meisterhäuser zum Besuch ein, das Schul- und andere Bauhausgebäude, die Siedlung Törten, in der Region mit dem Wörlitzer Gartenreich und den Lutherstätten Wittenberg zwei weitere UNESCO-Welterbestätten.
So viel Weltkultur auf so begrenztem Raum. Der Besuch lohnt sich.
Bauhaus-Museum Dessau
täglich geöffnet 9-18 Uhr,
ab 1.11.2019 10-17 Uhr