Im Jahr 2029 könnte in der ehemaligen Defensionskaserne auf dem Petersberg in Erfurt ein Landesmuseum öffnen, das die Thüringer Geschichte über 400.000 Jahre bis zur Neuzeit erzählt. Gestern wurden erste Ideen vorgestellt.
Bagger und andere Baumaschinen beherrschen gegenwärtig das Areal auf dem Erfurter Petersberg. Hier soll im Jahr 2021 einer von drei Hauptstandorten der Bundesgartenschau entstehen. Ursprünglich war auch mal davon die Rede, in dem Jahr ein Thüringer Landesmuseum zu eröffnen, erinnerte gestern der ehemalige Oberbürgermeister Erfurts, Manfred Ruge, an hochfliegende Pläne vergangener Landesregierungen. Der aktuelle Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nannte gestern eine neue politische Zielmarke: das Jahr 2029. Seine Vision sei es, an diesem historischen Ort die ganze Thüringer Landesgeschichte zu erzählen und zugleich auf viele andere Museen, Sammlungen und archäologische Fundorte im Lande aufmerksam zu machen. Besucher sollten dort den originalen Objekten begegnen können. Im künftigen Thüringer Landesmuseum sollten „Objekte digital vermittelt“ und „einzelne Objekte lebendig gemacht“ werden.
Ausdrücklich erwähnte Ramelow, dass die Geschichte Thüringens „bis zur Neuzeit“ präsentiert werden solle, also auch Kaiserzeit, Arbeiterbewegung, kulturelle Phänomene wie Kleingarten und Kindergarten, die Heiligen Radegunde und Elisabeth. Fürstengräber und andere archäologische Funde gehörten ebenso in ein solches Landesmuseum. Grundlage dafür bildeten die Sammlungen des Thüringer Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege (TLDA), die mit aktuell fünf Millionen Objekten angegeben werden, Tendenz stark wachsend. Also ein archäologisches Landesmuseum? Eindeutig nein, versicherte der Ministerpräsident.
Zu den gestern genannten Fakten gehörendie ca. 4.000 Quadratmeter museale Ausstellungsfläche bei einer Gesamtnutzfläche von etwa 10.000 Quadratmeter. Depots, Labors und Werkstätten sowie die Weimarer Dependance des TLDA könnten künftig in der ehemaligen Defensionskaserne in Erfurt unterkommen. Über die Kosten eines solchen Landesmuseums konnte oder wollte Bodo Ramelow gestern nichts sagen, nur so viel, das sei „ein ziemlich großer Geldbetrag.“ Experten gehen von einer Summe für Bau, Ausstattung und weitere Kosten von über 100 Millionen Euro aus. Ramelow nannte in dem Zusammenhang ausdrücklich das Weimarer Museum für Ur- und Frühgeschichte, das gegenwärtig vom TLDA betrieben wird. Es soll modernisiert und erweitert, vielleicht an einen anderen Standort umgesetzt werden. Ein Gutachten im Auftrag der Landesregierung vom März 2015 veranschlagte eine Investitionssumme von 23 Millionen Euro.
Die politische Entscheidung über ein zu errichtendes Landesmuseums für Thüringer Geschichte soll im Jahr 2020 der neue Landtag treffen, gab Ramelow gestern als Zielmarke aus. Spätestens dann müssen auch Kostenschätzungen für Bau, Ausstattung und Betrieb eines solchen Großprojektes vorliegen.
Vor allem aber sollte ein wissenschaftlich fundiertes Museumskonzept vorliegen, das gestern nur beispiel- und lückenhaft präsentiert wurde. Die Münchener Kulturberatungsgesellschaft actori stellte ihre Ideen für den Betrieb eines modernen Landesmuseums vor. Die Schwerpunkte sollen auf Besucherorientierung, Bildung und Vermittlung liegen. Ein Museum im 21. Jahrhundert verstehen die Kulturberater als einen Begegnungsort von Menschen für Menschen: partizipativ, vernetzt, digital und unterhaltsam. Alle spannenden Geschichten im Museum sollten konsequent aus heutiger Perspektive erzählt werden. Das Museum sollte als „dritter Ort“, neben Wohnen und Arbeiten, entwickelt werden. Die Berater betonten den Erlebnis- und Spielcharakter eines modernen Museums für unterschiedliche Zielgruppen.
Die Fragen aus dem eingeladenen Publikum aus Politik, Kultur und Medien zielten vor allem darauf, was denn in dem neuen Landesmuseum ausgestellt und erzählt werden soll. Welche Objekte werden zu sehen sein? Originale? Oder virtuelle Präsentationen? Mehr als archäologischen Objekte? Wie steht es um den Schau- und Erlebniswert der Objekte? Werden beispielsweise Cranach-Gemälde zu sehen sein? Woher sollen die kommen? Die „ganze Landesgeschichte“ in ihrer Einmaligkeit und Vielfalt wurde gestern nachgefragt. Weitere Stichworte fielen wie Reformations- und Industriegeschichte, die natürlich in so einem Museum ihren Platz haben müssen.
Eine andere, gestern nicht gestellte Frage, lautet: Wie kann ein 200 Jahre alter Festungsbau mit kleinteiliger Struktur und einer Bausubstanz, die garantiert noch Überraschungen bereithält, den Anforderungen eines modernen Museums genügen?
Gegenüber der ehemaligen Defensionskaserne wird gerade die größte romanische Basilika Thüringens, die Kirche St. Peter und Paul, teilrestauriert und -saniert. Dafür stehen knapp fünf Millionen Euro zur Verfügung. Sie soll zur Bundesgartenschau 2021 als Ausstellungs- und Veranstaltungsort eröffnet werden. Sie könnte künftig einen Teil des Landesmuseums für Thüringer Geschichte aufnehmen. Aus dieser Perspektive betrachtet, könnte 2021 als Geburtsjahr des Thüringer Landesmuseums in die Geschichte eingehen. Oder 2029. Oder später. Bei 400.000 Jahren Landesgeschichte, die im Museum zu erzählen sind, ist das eine Marginalie.