Erworben. Verloren. Wieder zurück.

Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle/Saale rekonstruiert und präsentiert seine vor 100 Jahren entstandene Sammlung der Klassischen Moderne als physische und virtuelle Ausstellung. Als „Sahnehäubchen“ gibt’s Meisterwerke von fünf Bauhausmeistern dazu.

Die Ausstellung endet am 12. Januar 2020 nach fast vier Monaten Laufzeit.

Klappern gehört zum Handwerk und zur Kunst. Das Kunstmuseum Moritzburg schafft es immer wieder, mit gut vermarkteten und einzigartigen Ausstellungen öffentlich auf sich aufmerksam zu machen – weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Das aktuelle Großprojekt mit gleich drei Ausstellungen steht dafür. Und es zeigt Grenzen des Möglichen und Machbaren auf. Doch der Reihe nach.

Sie haben in Halle einen cleveren Titel gefunden: „Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback.“ Der 100. Geburtstag des Bauhauses stiftet den Anlass. Der englische Titel verspricht Internationalität. Eine aufwändige digitale Präsentation, die ihre Tücken hat, kommt hinzu. Das Comeback, der große Hauptteil der Schau, versammelt auf über 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche knapp 300 Werke der Klassischen Moderne, das sind Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen und Kunsthandwerk. Das Besondere und sehr Verdienstvolle: Das Kunstmuseum rekonstruiert seine vor über 100 Jahren entstandene Sammlung, erzählt die Geschichten einzelner Bilder, berichtet über Museumsdirektoren, Bürgermeister und Bürger, Sammler und Unternehmer, die Werke ankauften und schenkten bzw. Ankäufe ermöglichten. Das sind Lehrbeispiele bürgerschaftlichen und politischen Engagements, die bis in die Gegenwart nachwirken.

Der erste Museumsdirektor der Moritzburg, Max Sauerlandt, kaufte in den 1900er-Jahren als Erster moderne Bilder von Künstlern, die noch nicht im Kunstbetrieb etabliert waren – mit politischer Rückendeckung des Hallenser Oberbürgermeisters. Das sind Porträts, Landschaften, Alltagsszenen u. a. von Max Slevogt, Lovis Corinth und Max Beckmann. Von Max Liebermann sammelte das Museum 13 Werke, die „gingen 1938 bis 1942 verloren“ steht auf dem Wandtext in der Ausstellung. Die Formulierung irritiert ein wenig, weil hier die Aktion „Entarte Kunst“ von 1937, die Beschlagnahmung und der Zwangsverkauf moderner Kunst, ins Spiel kommt. Im Falle von Liebermann tauchte der Name des Kunsthändler Hildebrand Gurlitt auf. Von den 13 „verlorenen“ Arbeiten Liebermanns kehren jetzt drei Werke zeitweilig in die Ausstellung zurück.

Dieses Schicksal teilen andere Kunstwerke und Künstler aus der Sammlung. Das Kapitel Sammlungs- und Kunstgeschichte haben Wissenschaftler und Kuratoren des Museums recherchiert und aufgeschrieben. Christian Rohlfs´ Gemälde „Weiden im Frühjahr“ von 1904, für das Museum 1914 angekauft durch einen einheimischen Unternehmer, wurde 1937 als „Entartete Kunst“ beschlagnahmt. Heute befindet sich das Bild im Clemens Sels Museum in Neuss. Wie es dahin kam? Die Besucher im Museum wollen vor allem Bilder sehen, nicht unbedingt die zu Ende recherchierte Geschichte lesen oder hören.

Der Aktion „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten fielen 147 Kunstwerke aus dem Museum zum Opfer, 15 konnten bis heute zurückerworben werden. In der aktuellen Ausstellung sind weitere 40 dieser einst beschlagnahmten Arbeiten zu sehen, alles Leihgaben aus öffentlichen und privaten internationalen Sammlungen aus den USA, Japan und europäischen Ländern.Dazu gehören expressionistische Gemälde von Emil Nolde, Franz Marc u. a. Künstlern aus der ehemaligen Sammlung Fischer, ein Konvolut von 24 Bildern, eine großzügige Schenkung von 1924.

Die kubistischen Halle-Gemälde von Lyonel Feininger (unten) das virtuelle rekonstruierte Modell der „Hängenden Gärten“ von Walter Gropius (oben). Fotos: miplotex

Der Höhepunkt des Ausstellungsrundganges durch die Klassische Moderne ist die Halle-Serie kubistischer Gemälde von Lyonel Feininger. Der damalige Museumsdirektor Alois J. Schardt beauftragte den Bauhausmeister, Stadtansichten von Halle zu malen und zu zeichnen, verschaffte ihm von 1929 bis 1931 ein Atelier in der Moritzburg. Der Künstler ließ sich auf das Angebot ein. Das Museum kaufte den Zyklus mit 11 Gemälden und 29 Kohlezeichnungen. Die Bilder wurden 1937 konfisziert und verkauft. Jetzt hängen nach über 80 Jahren wieder sieben Gemälde für die Dauer der Ausstellung im Halbrund nebeneinander: Hallesche Kirchen, der Rote Turm, der Dom. Besucher sprechen von der „Seele von Halle“.

Ein Projekt der Moderne wurde niemals ausgeführt, die „Hängenden Gärten“ auf „Lehmanns Felsen“, die Stadtkrone von Halle. An dem Architektenwettbewerb beteiligte sich 1927 auch Walter Gropius mit einem Entwurf für ein Kunstmuseum, Sportforum und eine Stadthalle. In der Ausstellung werden ein physisches und ein virtuelles Modell des Gebäudekomplexes sowie Entwurfszeichnungen gezeigt. Sie sind mit dem kühnen, durch nichts belegten Kommentar versehen, das wäre „vermutlich ein Schlüsselwerk der Moderne“ geworden. Es ist bekannt, dass Entwürfe, die Gropius zugeschrieben werden, sowohl große Qualität darstellen, als auch grobe Bau- und Gestaltungsmängel aufweisen.

Das nicht gebaute Kunstmuseum von Gropius in Halle haben Studenten der Kunsthochschule Burg Giebichenstein als begehbares Virtual Reality (VR) Modell rekonstruiert und darin mehr als 400 Werke moderner Kunst integriert. Bei unserem Besuch im Museum waren nur eine, dann zwei VR-Brillen nutzbar, das virtuelle Gropius-Museum nur als unscharfe Raum- und Bildlandschaft erkennbar. Die Aufsichtskräfte waren hilflos ob dieser Situation, die hygienischen Bedingungen der Brillen nicht akzeptabel, weil sie nach einer Benutzung nicht desinfiziert werden.

Das „Sahnehäubchen“ der dreiteiligen Schau ist die „Schatz-Box“ in der Moritzburg mit jeweils fünf bis acht Meisterwerken von den Bauhausmeistern Lyonel Feininger, Wassily Kandisky, Paul Klee, Georg Muche und Oskar Schlemmer. Das ist eine sehr schöne, sehr eindrucksvolle Inszenierung zum Abschluss des Ausstellungsrundganges.

PS. Der Beitrag wird hier erstmals veröffentlicht. Er datiert von Mitte November 2019 und sollte laut Absprache in einer Tageszeitung gedruckt werden. Dazu ist es leider während der Ausstellungslaufzeit (bis 12.01.2020) nicht gekommen.

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