Besucher haben Bilder und Begegnungen im Kopf und auf dem Smartphone. Bauhaus-Liebhaber schleppen dicke Kataloge nach Hause. Digital affine Gäste gehen online. Das Bauhaus feierte 2019 seinen 100. Geburtstag mit analogen und digitalen Fest-Geschenken.
So viel Bauhaus war noch nie. Die berühmteste Kunst-, Design- und Lebensschule des 20. Jahrhunderts strahlte an ihrem 100. Geburtstag weltweit aus. Zu ihren „Lebzeiten“ von 1919 bis 1933 in Weimar, Dessau und Berlin war sie umstritten, wurde vertrieben und geschlossen. Sie war eine internationale Kunstschule und Ideenschmiede, zog kluge Köpfe und Kreative aus aller Welt an. Am Bauhaus wurde gelebt und geliebt, produziert und intrigiert. Das war viel Stoff, um im Jubiläumsjahr zu feiern und ein bisschen Zukunft zu wagen.
Bleiben wir in Weimar, Dessau und Berlin. Weimar feierte pünklich zum 100. Geburtstag am 5. April 2019 die Eröffnung des neuen Bauhaus Museums. Seitdem strömen Tausende Gäste aus aller Welt in die neue Dauerausstellung. Wer clever ist, schaut vor dem Besuch auf die neue Website des Museums, informiert sich und kauft online Eintrittskarten, um garantiert und an der Warteschlange vorbei hereingelassen zu werden. Die Klassik Stiftung Weimar hat mit dem neuen Bauhaus Museum und den beiden neu eröffneten Museen zur Bauhaus-Geschichte, dem Neuen Museum und dem Haus Am Horn, einen digitalen Quantensprung vollzogen.
Die Website macht Lust auf einen Besuch, bietet Informationen und Service, die der Gast erwartet. Digital affine Besucher können sich zu Hause oder spätestens vor Ort die Museums-App „Bauhaus+“ auf ihr Smartphone herunterladen und damit durch die Ausstellung flanieren. Sie bietet Bilder, Texte, Audios und Videos, ist im besten Sinne ein multimedialer Museumsführer. Im Bauhaus Museum gibt’s freien W-LAN-Zugang, auch im benachbarten Neuen Museum, wo die Vorgeschichte des Weimarer Bauhauses erzählt und gezeigt wird. Nur das Haus Am Horn, der ersten Bauhaus-Architektur weltweit, gibt’s den Service leider nicht. Wer die Museums-App extensiv nutzt, braucht Stunden und „verläuft“ sich in der virtuellen Welt.
Wer ganz klassisch „schwarz auf weiß“ etwas mit nach Hause mitnehmen möchte, der kann vier handliche Museumsbücher kaufen. Kurze Texte und exklusive Bilder erzählen und zeigen alles, was der interessierte Besucher erwartet: die Geschichte und einige Geschichten des Bauhauses, der berühmten Meister und meist unbekannten Studenten im Kontext der Zeitgeschichte. Das sind gediegene gedruckte Bücher, wie sie zum Standart eines jeden mittleren und großen Museums gehören sollten. Bauhaus-Liebhabern und Experten sei die im September 2019 freigeschaltete und frei zugängliche Datenbank „Bauhausbiografien“ der Universität Erfurt empfohlen. Wer kannte vor der ZDF-Serie „Die neue Zeit“ den Namen der Bauhaus-Studentin Dörte Helm? Fast 1.500 Menschen studierten, lehrten und arbeiteten am Bauhaus: vom Gründungsdirektor Walter Gropius bis zu unbekannten Mitarbeitern und Studenten. Das digitale Personenlexikon „bauhaus.community“ ist eine Fundgrube für alle, die fast alles über alle Personen am Bauhaus wissen wollen.
In Dessau hatten die Bauhaus-Kuratoren die Qual der Auswahl. Der 520 Seiten starke Katalog, großformatig und schwergewichtig, bebildert und beschreibt 407 Objekte aus der Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau. Die umfasst insgesamt ca. 49.000 Objekte, vor allem von Studenten. Gesammelt wird in Dessau erst seit 1976. Was ist das für ein schönes Buch! Weißer Leineneinband mit Prägedruck. Die typografische und grafische Gestaltung ist vornehm zurückhaltend, übersichtlich und in sich logisch. Schriftart und -größe sowie die großzügigen Bildformate machen Lust auf die klassische Lektüre: Papierseiten fühlen und umblättern, lesen und verweilend schauen. Nur die Fotos der Dessauer Bauhaus-Bauten sind leider viel zu klein geraten.
Das neue Bauhaus Museum in Dessau bietet online Informationen und einen Besucherservice, wie das von einem solchen Haus mit internationaler Ausstrahlung zu erwarten ist: moderne Website, eine App, mehrsprachig, analoge und digitale Vermittlungsangebote. Auf der Startseite bauhaus-dessau.de kommt gleich die Empfehlung, Karten online wegen des Besucheransturms zu bestellen und die kostenfreie App „Bauhaus Dessau“ auf das Smartphone zu laden. Die wird permanent erweitert und überrascht mit einem „Bauhaus-Sound“. Über 100 Klangelemente, entwickelt aus Aufnahmen von Räumen, Werkstätten, Designobjekten und historischen Materialien, werden nach dem Zufallsprinzip immer wieder neu kombiniert und komponiert. Das gibt’s eine experimentelle Klangkulisse auf die Ohren.
Die Berlinische Galerie ist bis 27. Januar 2020 der Ort für die große Sonderausstellung „original bauhaus“ in Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Archiv, Museum für Gestaltung. Der im Jubiläumsjahr begonnene Erweiterungsneubau des Museums wird voraussichtlich 2022 eröffnet, in Berlin eine Zeitangabe ohne Gewähr. Die Ausstellung am dritten Bauhaus-Ort will „die Schule“ und die „hohe Kunst des Unterrichtens“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Das geschieht interaktiv und multimedial, anfassen und ausprobieren sind ausdrücklich erwünscht. Übungen aus dem Bauhaus-Vorkurs sind für eine interaktive Medienstation digital übersetzt worden. Vorkurs-Übungen können unter professioneller Anleitung in Workshops auch physisch in den Bereichen Tanz, Fotografie, Papierkunst, Architektur oder Atemtechnik selbst erprobt werden.
Den Bauhaus-Besucher aus Thüringen faszinieren die sieben (von insgesamt acht) Tee-Extraktkännchen von Marianne Brandt, die aus den Museen der Welt von New York bis Weimar in dieser Ausstellung vereint sind. Diese Bauhaus-Ikonen, so gleichartig und doch verschieden, umweht eine Aura im klassischen Sinne. Das ist ein sinnliches und emotionales Erlebnis, das nur von den physischen Originalen ausgehen kann.
Weimar, Dessau und Berlin. Die drei Bauhaus-Ausstellungen bzw. Museen und die sie begleitenden analogen und digitalen Informations- und Vermittlungsangebote und Medien beweisen eindrücklich, wie Museen im 21. Jahrhundert ganz unterschiedliche Besucher ansprechen und erreichen können. Der Museumsbesuch vor Ort bleibt das Ziel.