Viel Lärm um ein historisches Erbe

Über viel Geld für Schlösser, Burgen und Gärten reden gerade viele Thüringer Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker. Über Konzepte für die historischen Kulturlandschaften redet fast keiner. Der eigentliche Schatz, die Museen und Sammlungen, wird oft vergessen.

In den Abgrund? Tolle Karikatur von RABE zu meinem Text. DANKe an R.B.

Freitag, 19. Juni, kurz vor 16 Uhr, dritter Sitzungstag im Thüringer Landtag in Erfurt. Der Tagesordnungspunkt 22 wird aufgerufen: „Kulturhoheit bewahren, Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten erhalten, Bundesmittel in Thüringen verwalten“. Anträge der AfD- und CDU-Fraktion liegen vor. Die Sitzung wird live im Internet übetragen und ist seitdem als Aufzeichnung über die Website des Thüringer Landtages abrufbar. Im Saal sitzen wenige Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder. Das öffentliche Interesse für das emotionsgeladene Thema scheint eher gering zu sein. Dabei sorgt das Kürzel „KMSG“ seit mehr als sechs Wochen für heftige, kontroverse Debatten unter Thüringer Bundes-, Landes- und Kommnunalpolitikern. Fachleute halten sich eher zurück. Einige sollen von ihren Dienstherren Maulkörbe verpasst bekommen haben. 

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke): „Erpressungsmethoden“
KMSG steht für „Kulturstiftung Mitteldeutschland Schlösser und Gärten“. Der Entwurf eines Staatsvertrages zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt ist Mitte Mai vom Bad Liebensteiner Bürgermeister Michael Brodführer öffentlich gemacht worden. In der Kommune des CDU-Politikers liegen Schloss und Park sowie die Burgruine Altenstein, verwaltet von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG). Es geht um viel Geld für Schlösser, Burgen, Gärten und Museen, insgesamt 880 Millionen Euro bis 2027. Nach Thüringen sollen 440 Millionen Euro für Investitionen und Betriebskosten fließen, hälftig von Bund und Land finanziert. Der Bund stellt dafür die Bedingung, eine gemeinsame Kulturstiftung KMSG mit Sachsen-Anhalt zu gründen. Am Ende der Debatte im Thüringer Landtag redet sich Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) in Rage, erregt sich darüber, dass „uns Bundespolitiker sagen, was wir tun sollen.“ Er spricht von „Erpressungsmethoden“ des Bundes. Von Anfang an sei er mißtrauisch gegenüber dem Konstrukt der neuen Kulturstiftung gewesen.

Die Landtagssitzung macht deutlich, dass der vorliegende Vertragsentwurf keine parlamentarische Mehrheit bekommen würde. Er solle nach- bzw. neuverhandelt werden, fordern Abgeordnete von CDU, SPD, Bündnis 90/Grüne, FDP und AfD. Sie favorisieren eine „schlanke Förderstiftung“ mit Sachsen-Anhalt oder Direktzahlungen des Bundes an die beiden Landesstiftungen. Schlecht informiert ist der kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion Jörg Kellner. Er bezweifelt, dass Betriebskosten von jährlich bis zu 30 Millionen Euro durch den Bund verbindlich zugesagt seien. Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke) verweist, emotional geladen, auf den beschlossenen Bundeshaushalt 2020, nennt Einzelplan und Titelgruppe, wo die Summen für Investitionen und Betriebskosten dokumentiert sind. Im Internet ist das alles frei zugänglich und recherchierbar.

Über das Potential von Museen und Sammlungen redet keiner
Fast alle im Landtag reden über Geld, fast keiner über Konzepte und den eigentlichen Schatz, der in den Schlössern und manchen Burgen schlummert: die Museen und ihre Sammlungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie bewahren und pflegen, in Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen einem großen Publikum vermitteln. Die kulturpolitische Sprecherin der Linken, Katja Mitteldorf, moniert in der Debatte, dass „die Nutzung der Gebäude mir viel zu kurz gekommen ist.“ Sie spricht von einer „touristischen, nachhaltigen Entwicklung“. Über das Potential von Museen und Sammlungen sowie das alltägliche Engagement der Beschäftigten als Kern einer ganzheitlichen Perspektive des historischen Erbes von Schlössern, Burgen und Gärten verliert auch sie kein Wort.

Kommunalpolitiker mischen sich in die öffentliche Debatte ein, machen Vorschläge, weil sie um ihr historisches Erbe vor der Haustür fürchten, falls es von Halle/Saale aus verwaltet werden sollte. Bad Liebensteins Bürgermeister Michael Brodführer lässt wenige Stunden vor der Landtagssitzung am 19. Juni einen offenen Brief verbreiten. Darin schlägt er Direktzahlungen des Bundes für Investitionen an die jeweiligen Landesstiftungen vor. Die zugesagten Betriebskosten könnten an eine zu gründende Mitteldeutsche Kulturförderstiftung fließen. Dem Politiker geht es um das kommunale Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht. Ähnliche Forderungen formuliert letzte Woche in einem offenen Brief der Landrat von Saalfeld-Rudolstadt, Marko Wolfram (SPD). Der Stiftungssitz müsse in Rudolstadt dauerhaft festgeschrieben, das Thema Museen müsse explizit im Staatsvertrag geregelt werden. 

Die Lösung des Problems liegt in Berlin bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und dem Haushaltsausschuss des Bundestages. Sie müssten ihre Bedingung revidieren, dass die Bundesförderung an eine gemeinsame Kulturstiftung KMSG von Thüringen und Sachsen-Anhalt fließt, die bisher eigenständigen, strukturell aber so unterschiedlichen Landesstiftungen unter dem Dach der neuen Stiftung fusionieren. Hier sind die Thüringer Bundestagsabgeordneten der Regierungsfraktionen von CDU und SPD gefordert, zu vermitteln.

Keine Zugeständnisse aus Berlin zu erwarten
Der aus Erfurt stammende einflussreiche Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, erklärte letzten Donnerstag laut Deutscher Presse-Agentur, Thüringen solle die einmalige Chance einer gemeinsamen Schlösserstiftung mit Sachsen-Anhalt nicht verspielen. Notfalls könne die Stiftung ohne Thüringen gegründet werden. Der veröffentlichte Staatsvertragsentwurf sei nicht mit der SPD-Bundestagsfraktion abgestimmt worden und finde auch nicht deren Zustimmung, erklärte Schneider. Diese Aussagen lassen keine Zugeständnisse aus Berliner Sicht erkennen, die Millionen des Bundes direkt oder an eine schlanke Förderstiftung auszureichen.  

Es geht um viel Geld, noch viel mehr aber um eine Perspektive für ein historisches Erbe Thüringens als Ganzes. Da müssen jetzt Gespräche zwischen allen Beteiligten geführt, im Land und in den Kommunen noch Hausaufgaben erledigt werden. Die Zeit drängt, um eine Lösung im Interesse der Thüringer Schlösser, Gärten und Museen, im Interesse der Menschen zu finden.

Der Text erschien zuerst in der Tageszeitung Freies Wort online, gedruckt und als E-Paper.
Er wird hiermit erstmals frei zugänglich veröffentlicht. Screenshots: miplotex


Kommentare zu “Viel Lärm um ein historisches Erbe”

  1. Ich bin auch der Meinung, dass beide Stiftungen unabhängig voneinander erhalten werden sollten. Die Voraussetzungen, die beide in eine gemeinsame Stifung einbringen würden, sind zu unterschiedlich. Und, dass sich mit einer gemeinsamen Verwaltung ggf. Kosten sparen ließen, dieser Effekt ist nach kurzer Zeit vepufft, da die komplexen Aufgaben trotzdem vorhanden sind, und sich da meist nicht viel zusammenlegen läßt. Bleibt nur die “Zusammenlegungs-Prämie“ des Bundes als einziges Argument, das übrig bleibt und dafür spechen würde. Mir ist dies als Argument zu dürftig. Da ist es echt besser, die Mittel ohne den Zwang einer Zusammenlegung an die beiden bestehenden Stiftungsstrukturen jeweils anteilig auszureichen und damit in ihrer Arbeit zu stärken. Aus diesem Grund werde ich auch die Petition E-290/20 an den Thüringer Landtag unterstützen, die für den Erhalt der Eigenständigkeit der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten inklusive deren Sitz in Rudolstadt eintritt.

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