Von der Drecksarbeit zur Digitalisierung

Gut, dass es diese Ausstellung im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt gibt. Künstlerinnen und Künstler widmen sich nur zurückhaltend industriellen Entwicklungen und ihren Brüchen, den Themen Arbeit und Arbeitsleben, Arbeitsorten und Industrielandschaften.

Rundgang durch die Ausstellung mit Direktor Wolf Eiermann.

„Moderne Zeiten“ gab und gibt es zu allen Zeiten. Der „Blick von Malerei und Fotografie“ auf die Industrie 1.0 bis 4.0 über einen Zeitraum von fast 200 Jahren ist in dieser kunst- und kulturhistorischen Ausstellung detailreich und doch aus einer einseitigen Perspektive zu besichtigen. Dazu später mehr.

Der erste Blickfang in der Ausstellung gilt einem großformatigen Gemälde von Carl Eduard Biermann von 1847 „Borsig´s Maschinenbau-Anstalt zu Berlin“. Künstlerisch kein Meisterwerk, aber voller bebilderter Geschichte und Geschichten, die sogar ironisch unterlaufen werden. Rauchende Schlote, mächtige Fabrikhallen mit ziegelroten Fassaden, ein Wasserturm im Zentrum. Auf dem Fabrikgelände sind Menschen, Pferde und eine Lokomotive unterwegs. Wo sind nur die Gleise? Hahaha. Acht Pferde ziehen die Lok über das Werksgelände. Achtmal ein PS ziehen eine Maschine, die eine industrielle Revolution signalisiert: von der Pferdekraft zum Maschinenantrieb.

Die Perspektive des Malers ist die des Eigentümers und Industriellen. Die Borsig-Villa liegt unmittelbar neben dem Fabrikgelände. Sie soll den engen Kontakt zur Arbeit und den Arbeitern herstellen. Das Gemälde ist eine Auftragsarbeit, die Borsig und sein Werk in ein gutes, positives Licht stellt. Museumsdirektor Wolf Eiermann deutet so das Bild bei einem Rundgang, wie fast alle frühen Bilder und Fotografien der Selbstdarstellung, Eigenwerbung und Imagepflege der Fabrikanten dienten.

Die Ausstellung konzipierte Ulrich Pohlmann (Münchener Stadtmuseum). Sie war zuerst im Bucerius Kunstforum in Hamburg zu sehen. Es fällt auf, dass längst nicht alle fast 200 Bilder und Fotografien, die im opulenten Katalog abgebildet sind, auch in der Schweinfurter Ausstellung zu sehen sind. Private Leihgeber zogen einige Objekte zurück. Das Schweinfurter Museum kompensierte so gut es ging mit Werken aus der eigenen Sammlung. Jetzt hängen 124 Bilder und Fotografien im Museum.

Im 19. Jahrhundert dominiert die anstrengende Drecksarbeit an Hochöfen und in Schmieden, in Zechen und weitläufigen Produktionshallen. Bahnhöfe, Eisenbahntrassen und Werften entstehen. Das Panorama industrieller Entwicklung dokumentieren, inszenieren und gestalten Maler und Fotografen bis zur Jahrhundertwende um 1900 oft frei von jeglicher Gesellschaftskritik an Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastung. Die „Arbeiterinnen“ von Hans Baluschek erscheinen vor dem Werktor wie eine geklonte Masse, nicht fröhlich nach der Arbeit, aber angemessen angezogen und frisiert.

Max Liebermanns „Weberei in Laren“ von 1897 aus der Schweinfurter Sammlung lässt erste Sozialkritik durchblitzen, bezieht sich auf Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“, das bei seinem Erscheinen 1892 und danach für Aufsehen sorgte. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Kritik an industriellen Entwicklungen und damit verbundenen Arbeitsbedingungen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der künstlerischen Reflexion eher selten sind. Die Ausstellung stellt „schöne“ Momente und Menschen heraus, die dynamisch ans Werk gehen, in die Kamera lächeln, sich inszenieren und posieren.

„Nach der Schicht“ und Drecksarbeit, fotografiert 1952
von Erich Angenendt.

Der wirtschaftliche Aufbruch im Westen nach 1945 wird bildstark dokumentiert: die Zechen und Fördertürme im Ruhrgebiet, Fotos von Bernd und Hilla Becher. Autoteile bei Volkswagen werden gekonnt in Szene gesetzt und fotografiert, wie auch Werks- und Industriearchitekturen in Köln, Hamburg und Duisburg. Die Industrialisierung in der globalisierten Welt treibt nach der Jahrtausendwende schon seltsame Blüten, wenn Robert Voit weltweit Bäume und Pflanzen als getarnte Sendemasten fotografiert, surreale Aufnahmen.

Leipziger Kammgarnspinnerei und Stadtsilhouette von Evelyn Richter.

Mittendrin in der Ausstellung hängen zwei Fotografien von Evelyn Richter (1930-2021), die großartige Fotografin aus dem Osten Deutschlands. Magdeburg 1968: eine Stadtsilhouette mit Schornsteinen im Hintergrund, vorn Straßenbahnschienen. Daneben ein Blick von 1970 in die Leipziger Kammgarnspinnerei und das Gesicht einer Arbeiterin. Hier wird ein Defizit dieser Ausstellung und Auswahl deutlich. Es ist der westliche, der westdeutsche Blick auf „Moderne Zeiten“, auf die Industrialisierung und ihre Begleiterscheinungen, der dominiert.

Zugleich wird ein anderes Defizit deutlich. Im Osten Deutschlands spielt die industrielle Entwicklung der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte in der künstlerischen Reflexion und in Kunstausstellungen eine untergeordnete Rolle. Da gibt es Kunstwerke und Sammlungen, die in Depots schlummern und schon lange nicht mehr öffentlich und in aktuellen Kontexten zu sehen waren. Die kulturhistorische Überblicksausstellung „Erlebnis Industriekultur“ in Thüringen liegt auch schon wieder vier Jahre zurück.

Der Ausstellungsbesuch in Schweinfurt lohnt in jedem Fall. Der offene, kritische Blick auf Bilder und Fotos macht Entwicklungen von Maschinen und Menschen deutlich, die wir in der Gegenwart anders und beschleunigter erleben.

Einladung in eine sehenswerte Ausstellung. Alle Fotos: miplotex

Ausstellung
„Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie“
Museum Georg Schäfer | Brückenstraße 20 | 97421 Schweinfurt
bis 9. Oktober 2022
geöffnet Di 10-20 Uhr | Mi-So 10-17 Uhr
An jedem ersten Dienstag im Monat freier Eintritt.
Katalog zur Ausstellung: 264 Seiten; 29,90 €

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