Von Kunst ist die Rede, nicht von Krise. Und nicht von den Schattenseiten, denn die Kunstsammlung Gera und die Museen der Stadt werden kaputtgespart.
In der Orangerie, Ort der Kunstsammlung Gera, drängen sich Hunderte von Gästen. Die Ausstellung „Sonnensucher! Die Kunstsammlung der Wismut – Eine Bestandsaufnahme“ wird eröffnet. Es ist wie bei einem Klassentreffen nach 25 oder mehr Jahren. Dutzende Besucher haben extra ihre Bergbau-Uniformen angezogen, sie begrüßen und erinnern sich. Die Wismut war und ist ihr Leben. Die zu eröffnende Ausstellung erzählt diese Geschichte und Geschichten in 150 Bildern, Grafiken und Objekten sowie auf langen Texttafeln.
Ist das Kunst? Das Vor-Urteil vom „Streitfall Kunst“ schwebt immer noch und immer wieder über jeder Ausstellung, die Bilder und Grafiken aus der DDR-Zeit ans Licht der Öffentlichkeit holt. Aber der distanzierte und differenzierte Blick auf Kunst und Künstler, auf die Umstände der Zeit und jenseits ideologischer Verklärung setzt sich langsam durch. Das Publikum kommt und schaut und diskutiert, manche Medien spitzen zu, Kunstwissenschaftler bewerten kritisch, aber sie verreißen oder verurteilen nicht mehr wie einst in der skandallösen Weimarer Schau 1999.
Renaissance von Kunst aus der DDR
Thüringens Kulturminister Christoph Matschie ist extra zur Eröffnung nach Gera gekommen, redet über die Renaissance von Kunst aus der DDR, die Identität stiftende Wismut-Sammlung und ein kulturelles Erbe, das es zu erhalten gilt. Er lässt sich, gemeinsam mit Geras Oberbürgermeisterin Viola Hahn und Wismut-Geschäftsführer Hardi Messing, vor dem monumentalen, propagandistischen Gemälde „Uran“ (1971) von Hans Hattop (1924-2001) fotografieren. Der Maler und Autodidakt aus Meiningen, nicht zu verwechseln mit seinem Onkel gleichen Namens, hat hier ein ideologisch aufgeladenes, im Stil des sozialistischen Realismus gemaltes, künstlich wirkendes Bild abgeliefert.
Ganz anders der Künstler Lutz R. Ketscher (geb. 1942 in Gera), dessen Bild „Schichtbus“ (1983), hinter dem Rednermikrofon des Ministers an der Wand hängend, eine andere Perspektive der Ausstellung deutlich macht. Müde, in sich zusammengesunkene Wismut-Kumpel im Bus. Dahinter rauchende Schlote inmitten der Bergbaulandschaft. Einzelne, aufflackernde Lichter. Mehrfache Spiegelungen durch das Fenster des Busses. Insgesamt eine düstere, melancholische Grundstimmung, die von dem Bild ausgeht. Beginnend in den 1970er-Jahren und danach noch stärker, werden Arbeitswelt und Arbeiter der Wismut kritischer, widersprüchlicher und vor allem künstlerisch (nicht künstlich) reflektiert.
Geschichte und Gegenwart künstlerisch hoch verdichtet
Die Ausstellung „Sonnensucher!“ war zuvor unter dem Titel „Schicht im Schacht“, in einer anderen Werkauswahl, in der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz zu sehen (Freies Wort berichtete), dort mit 6.500 Besuchern die erfolgreichste Schau der letzten zehn Jahre. In der kleinteiliger strukturierten Orangerie in Gera hängen mehr Gemälde, sind vor allem Künstler aus der näheren Region präsent. Wichtige Schlüsselwerke sind vertreten wie Bernhard Heisigs Historiengemälde „Die Geraer Arbeiter am 15. März 1920“ (1960/1984). Oder der „Boxer in den Seilen“ (1983) und weitere Bilder von Alexandra Müller-Jontschewa (geb. 1949, lebt in Weida), die Geschichte und Gegenwart künstlerisch hoch verdichtet gestalten.
Die grafischen Arbeiten in der Ausstellung scheinen etwas unterbelichtet präsentiert, aber hier kommt in der Regel die Kunst zu ihrem Recht. Die Künstlerliste umfasst viele Namen, die in der DDR gehandelt und geschätzt wurden, von den großen Leipziger bis zu den verbotenen Chemnitzer Künstlern.
Prekäre Lage der Museen in Gera
Was ist mit Krise in Gera, mit den Schattenseiten der „Sonnensucher“? Ein Indiz: Die Ausstellung ist fünf Tage die Woche nur 25 Stunden geöffnet. Normal waren bisher sechs Tage und 42 Stunden. Die Stadt muss mehr als 100 Millionen Euro binnen zehn Jahren einsparen, die Kultur muss das auch ausbaden. Die eintägige Schließung aller Museen und der Kunstsammlung in Gera am 7. November 2013 (geplant war viel länger) sorgte für einen Aufschrei in Deutschland und ein negatives Image, das Gera anhängt. Das sagt der Chef des Fördervereins der Kunstsammlung Ulrich Schütt. Der Einspareffekt durch verkürzte Öffnungszeiten sei gering und nicht lange durchzuhalten, meint er. Minister Matschie und OB Hahn verlieren kein öffentliches Wort über die Begleitumstände der Ausstellung und die prekäre Lage der Museen in Gera.
Kunst- und Museumslandschaft muss rekultiviert werden
Im Gegenteil. Sie wollen, dass die Sammlung Wismut-Kunst, rund 4.200 Werke, in Gera eine Heimstatt bekommt, wie OB Hahn zur Ausstellungseröffnung betont. Dabei soll das Museum für Angewandte Kunst Gera komplett geschlossen werden. Frei werdende Personalstellen in den Museen werden schon lange nicht mehr wieder besetzt, sie werden kaputtgespart. Einen Plan hat die Otto-Dix-Stadt nicht, wie sie mit ihren Museen, Sammlungen und Häusern umgehen will.
Die Wismut GmbH wirbt mit „Neuen Perspektiven. Für Mensch und Umwelt“ und rekultiviert die geschundene Landschaft. Die Kunst- und Museumslandschaft in Gera muss auch rekultiviert werden. (mip)
Ausstellung in der Orangerie Gera, Orangerieplatz 1
Laufzeit bis 21. April 2014
Geöffnet Mi-So und feiertags 12-17 Uhr
Umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Vorträgen, Filmen und Diskussionen:
Informationen über Dresdner Institut für Kulturstudien e. V.
Telefon: 0160-94804042 | E-Mail: claudia.petzold@tu-dresden.de
Empfehlenswerter Katalog zur Ausstellung:
224 Seiten; 241 Abbildungen; 19,90 Euro