In der „Rubrik Schnee von gestern“ veröffentliche ich Texte, die ich irgendwann über irgendwen und irgendwas mal geschrieben habe. Sie sind in irgendwelchen Archiven deponiert und hier ans Licht geholt.
Bernd Kauffmann feiert heute seinen 70. Geburtstag. Der Unruhestifter hat von 1992 bis 2001 das kleine Weimar und das kleinteilige Thüringen verändert. Ein bisschen.
Die beiden Texte erschienen im Mai 2001 in der Tageszeitung Freies Wort.
Lust auf grüne Wiese
Abschied in Belevedere: Schöne Aussicht für Bernd Kauffmann
Nietzsche steht in der Ecke. Auf dem Sockel. Aus dem Keller und Vergessen holte ihn vor neun Jahren Bernd Kauffmann. Eine schwere Last musste damals bewegt werden. In Tonnen und in den Köpfen.
Die Episode erzählt Bernd Kauffmann in Weimar in seinem Büro im Schloss – und Nietzsche auf dem Sockel schaut zu. Der andere, der „tonnenschwere“ Nietzsche, steht als Stein des Anstoßes, für alle Besucher sichtbar, unten im Schlossfoyer. Und liegt manchen noch immer auf der Seele. Nietzsche in die Stadt und das öffentliche Bewusstsein wieder geholt zu haben, gehört zu den bleibenden Spuren, die Bernd Kauffmann in der hassgeliebten Stadt hinterlässt. Genauso selbstverständlich führen heute die Spuren von Buchenwald in die Stadt Goethes und Schillers, Herders und Wielands. Das war im Sommer 1992, zum Amtsantritt Kauffmanns als Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, längst nicht so. Nun geht der charismatische Querkopf in die Hauptstadt und die brandenburgische Sandbüchse von Neuhardenberg. Das neue Büro dort, die neue Spielwiese da.
Blick zurück auf Thüringen, Weimar, die Klassikstiftung, das Kunstfest, die Kulturpolitik, die Leute, die Erfolge und Niederlagen. Der Rollplatz, der einst mit Kunst von Daniel Buren bespielt werden sollte und noch immer mit Blechkarossen besetzt ist. Die, auch persönliche, Niederlage sieht Kauffmann als Erfolg an. Weil sich das Interesse von Menschen an dieser Stadt, an ihrem Schicksal teilzuhaben, im Widerstand gegen die Stelen Burens manifestiert habe. Kauffmann ist traurig, dass immer noch, entgegen den Versprechungen der Stadt, an diesem Ort Autos parken. Wo damals, bei den verbalen Gemetzeln, Öl ins Feuer gegossen wurde, tropft es heute in den Boden des Rollplatzes.
Die „Zeitschneise“ zwischen Ettersburg und Buchenwald, dem einstigen Musenhof und dem einstigen Schlachthof, droht zu verwuchern. Als ob Gras über die Sache wachsen soll. Für diesen frei geschlagenen Weg hat sich Kauffmann eingesetzt. Im Kulturstadtjahr 1999 einer der nachhaltigen Pfade, auf denen „Tausende von Menschen immer wieder durchgegangen sind“, wie sein Geburtshelfer mit stiller Freude beobachtet hat. Und jetzt scheint die Zeitschneise im Zuständigkeitsgestrüpp von Forst-, kommunalen und Landesverwaltungen zuzuwachsen. „Kein Interesse“, konstatiert frustriert Kauffmann.
Dieses Desinteresse, oder sollen wir es Dialog- und Entscheidungsunwilligkeit von gewählten oder berufenen Amtspersonen nennen?, hat Kauffmann über und über satt. Das sagt er nicht, aber das schwingt in seinen Antworten unausgesprochen mit. Zum Beispiel, wenn die Rede auf das Kunstfest kommt, dessen Intendant Bernd Kauffmann seit 1993 war. Und noch immer ist. Sein Letztes, das im kommenden August beginnt? Eine ausweichende Antwort: „Ich weiß nicht, ob es Sinn hat, dass ich weiter mache.“ Die Zukunft des Kunstfestes überhaupt? „Das müssen sie die Zuwendungsgeber Stadt und Land fragen.“ Punkt.
Kauffmann hat über viele Jahre Kontakte geknüpft, gepflegt, internationale Künstler und Persönlichkeiten nach Weimar verführt. Große Namen. Daniel Barenboim mit seinem „West-Östlichen Divan“, mehr als nur ein Orchester und gemeinsame Konzerte. Ein Dialog der Kulturen und Religionen, über Grenzen und Berührungsängste hinweg. Lew Dodin und Klaus-Michael Grüber, Maurice Bejart und Robert Altmann, Rebecca Horn und Maria Abramovic. Sie haben in Weimar gearbeitet, Weltläufigkeit in die kleine Stadt gebracht, für frischen Wind und notwendige Unruhe gesorgt. Und Publikum weit über die Grenzen Weimars und Thüringens hinaus angezogen. „Was ich nicht mehr tun werde, Kontakte irgendwelchen Leuten anzuempfehlen. Ich gehe nicht wie ein Bauchladenvertreter herum und biete Kontakte feil.“ Wieder spürt der Fragesteller in der Antwort, da gibt es ein beharrliches Desinteresse in Weimarer und Erfurter Amtsstuben.
Die Stiftung Weimarer Klassik, dieser Koloss, der an Fahrt gewinnen, sich nach außen öffnen muss. Den letzten Auftrag des Stiftungsrates hat Kauffmann erfüllt. Das Zukunftskonzept entworfen. Was daraus wird? „Mir ist unklar, ob der Stiftungsrat darüber entscheiden wird.“ Wieder eine Antwort, die keine ist. Aber das liegt nicht am Präsidenten, dessen letzte Amtstage laufen. Aus dem Erfurter Kunstministerium ist zu hören, dass Konzept sei kassiert worden. Vorerst. Weil der Nachfolger natürlich darauf Einfluss nehmen will. Über dem Namen des neuen Präsidenten, der vermutlich morgen in Erfurt berufen wird, liegt nicht mehr der Mantel des Schweigens. Aus der anderen Goethe-Stadt kommt er wohl, wie die Auguren berichten.
Endlich reden wir über Berlin und die brandenburgische Sandbüchse, Kauffmanns Zukunft. Die Lust auf die grüne Wiese treibt ihn dort hin. Etwas zu gestalten und zu profilieren, was es noch nicht gibt. Unter sehr positiven äußeren Bedingungen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hat dort mit Millionenaufwand ein neues Tagungszentrum, eine Denkfabrik, eine zu besetzende Kunstoase etabliert. „Das ist spannend, etwas in Gang zu setzen, was der kulturellen Beglaubigung der EU-Erweiterung nach Osten dient“, blickt der Denkschöngeist voraus. Die Aufgeregtheit des Ballungsraumes Berlin, die Ruhe und Konzentration Neuhardenbergs. Diese Gegensätze ziehen ihn an.
Worüber sich Bernd Kauffmann zuletzt gefreut habe? Was für eine blöde Frage. Das sagt er aber nicht. Erst belanglose Antworten, das Wetter und so. Dann: „Ich habe mich gefreut, dass ich den von mir außerordentlich geschätzten Herrn Schuchardt noch einmal getroffen habe.“ Der Thüringer Kulturminister a. D. und der Kulturmanager haben in den letzten Jahren regelmäßig den Gedankenaustausch gepflegt. „Das war eine gute Zeit mit Schuchardt. Sie war feinfühlig, sachbezogen, verlässlich und gerade.“ Das sagt Kauffmann ganz direkt, ein bisschen pathetisch, aber ohne jeden Hintersinn.
Und sonst? „Ich freue mich, dass es ein Ende hat.“ Am kommenden Samstag folgt der letzte offizielle Akt im Weimarer Schloss Belevedere. Das bedeutet soviel wie „schöne Aussicht“. Die folgt, ganz bestimmt. Eine gute Zeit, Bernd Kauffmann. Und danke für die gute, unruhige Zeit mit Weimar.
Hinter dem Horizont
Am Meer? Nicht mehr: Mit Nietzsche nach Neuhardenberg
Kauffmann kommt mit Krawatte. Ausnahmsweise. Die letzte Aufführung. In Belvedere. Schöne Aussicht.
Das Stück, das gegeben wird, trägt den Titel „Verabschiedung des Präsidenten der Stiftung Weimarer Klassik Bernd Kauffmann“. Ein Staats-Theater in vier Akten mit musikalischem Vor-, Zwischen- und Nachspiel. Was ist echt? Was gespielt? Was echt gespielt?
Erster Akt. „Sie wollen uns verlassen. Schade.“ Die Kunstministerin hat schön geredet. Hat Kauffmanns neue Sichten, hinter dem Horizont, auf alte Themen gelobt. Und Nietzsche geschenkt. „Menschliches Allzumenschliches“, ein Buch für freie Geister, eine bibliophile Ausgabe von 1900.
Zweiter Akt. Eine distanzierte Dankesrede des Weimarer Oberbürgermeisters. Kurz und gut.
Dritter Akt. Der Ministerpräsident bemüht Goethes Zitatenschatzkästlein. „Lasst den Anfang mit dem Ende sich in eins zusammenziehen.“ Von Sympathie und Schmerz geht die Rede. Und: „Sie müssen sich sagen lassen, Sie haben sich um Weimar und Thüringen verdient gemacht.“ Der Satz hat Konsequenzen. Der Ministerpräsident hängt Kauffmann, ein letzes Mal, was an. Das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Vierter Akt: Kauffmann ist rat- und sprachlos. Und redet doch drauf los. Über das Verdienst mit dem Kreuz. Und das Kreuz mit den Verdiensten. Über die 1. Klasse redet er nicht. Ist Weimar noch erstklassig? Der Denkschöngeist, der so oft für Vergnügen und Missvergnügen sorgte, dankt. Den Mitarbeitern der Stiftung, des Kunstfestes und vielen anderen, die ihn andauernd ausgehalten haben. Der Frau in seinem Vorzimmer, Kerstin Jäger, macht er ein besonderes Kompliment. „Das Lächeln am Rande des Schreibtisches.“
Bernd Kauffmann dankt. Für Wort, Kreuz und Verdienst. Und ab. Mit Nietzsche nach Neuhardenberg. Letzte Worte in Weimar. Natürlich vom Alten Meister. „Mehr Licht!“ Mehr nicht. Weimar liegt am Meer. Am Meer? Nicht mehr.