Diese Skulpturen treffen jeden Betrachter ins Herz. Weil sie tief in die Seele von Menschen blicken lassen. Lotta Blokkers Plastiken verzaubern auf dem Schlachtberg der Geschichte in Bad Frankenhausen.
Die Tänzerin ist eine alt gewordene Frau mit Falten im Gesicht. Fast lebensgroß scheint sie dem Betrachter entgegen zu schweben. Ihr Kleid weht und schlägt Falten. Die Anmut ihrer Bewegungen ist bis in die Fingerspitzen fühlbar. Die emotionale Kraft, die von dieser Plastik ausgeht, berührt den ganzen Menschen.
Lotta Blokker, geboren 1980 in Amsterdam, ist eine noch junge Künstlerin mit einem formvollendeten, ausgereiften künstlerischen Werk. Das mag man nicht glauben, dass sie so wahrhaftig Charaktere und Seelenzustände von Menschen formen kann. Diese Figuren muss man auf sich wirken lassen. Die Ausstellung im Panorama Museum Bad Frankenhausen „The hour of the wolf“, Wolfsstunde, vereint 25 Bronzen von 2003 bis heute, nahezu lebensgroße Ganzfiguren, auch Paare, dazu ein Dutzend Porträts.
Lotta Blokker ist spätestens seit 2010 in Bad Frankenhausen zu Hause. Auf dem Vorplatz des Panorama Museums stehen von ihr vier Plastiken aus der Serie „I am here now“ (Foto auf der Startseite). Suchende, ängstliche, unsichere, von der eigenen Last gebeugte Menschen. Bei dieser Gruppe handelt es sich vermutlich um das vom Land finanzierte größte Skulpturenprojekt im öffentlichen Raum in Thüringen seit 1990 – und es ist von großer künstlerischer Qualität. Museumsdirektor Gerd Lindner lernte Lotta Blokker 2001 während ihrers Studiums in Florenz kennen. Er erkannte ihre außerordentliche künstlerische Begabung. 2003 und 2005 stellte er sie bereits im Rahmen von Gruppenausstellungen in Bad Frankenhausen vor.
Jetzt ist ein künstlerisches Werk zu bestaunen, dass in seiner Formvollendung, handwerklichen Meisterschaft, vor allem aber in seiner emotionalen Wucht und Wahrhaftigkeit berührt und verzaubert. Lotta Blokker ließ sich als Schülerin im Musée Rodin in Paris anstecken von den großen und großartigen Plastiken des französischen Bildhauers Auguste Rodin. Im Panorama Museum ist diese Inspiration in der Bronze „Silhouette I“ zu spüren. Die Haltung assoziiert deutlich Rodins „Denker“. Und doch anders. Da hockt einer, in sich zusammengesunken, den Kopf abstützend, gedankenverloren, vielleicht zweifelnd. Das ist die „Wolfsstunde“, der Lotta Blokker eine Serie mit neun Bronzen gewidmet hat. Die Stunde, die Menschen schlaflos durch die Nacht treibt. Sie hat das selbst erlebt.
Lotta Blokker arbeitet „nach dem Leben“, wie im ausgezeichneten Katalog nachzulesen und anzuschauen ist. Das heißt, sie sucht sich ihre Modelle in der Wirklichkeit und formt nach ihnen ihre Figuren. Das setzt ein tiefes gegenseitiges Vertrauen und sich Öffnen voraus. Die künstlerische Meisterschaft vollendet diese Annäherung zwischen Blokker und ihren Modellen. Großartige Bilder im Katalog: von ihren Modellen, Szenen aus dem Atelier bei der Arbeit, eine Folge von 60 Fotos, wie die Figur„Secret“, ein Paar, entsteht, inspiriert wiederum von Rodin.
Sie lässt sich, immer wieder, von den ganz Großen der Kunst anregen: von Donatello, Lucian Freund, Käthe Kollwitz, von Ingmar Bergman, Andrej Tarkowski, Lars von Trier. Sie nähert sich an und schafft ganz eigene, kraftvolle Skulpturen. Sie ist „auf Wahrheitssuche ohne Erbarmen“, wie das Ralph Keuning formuliert. Der Direktor des Museums de Fundatie in Zwolle (Niederlande) schildert in Bad Frankenhausen, wie Blokkers Skulpturen wirken: „Leute haben geweint in der Ausstellung“ in seinem Haus, der ersten von drei Stationen (ab Juni im Kollwitz-Museum Berlin). Weil sie Glück, Verlust, Selbsterfahrung, Altern, Krankheit, Ausgestoßensein in den Figuren und, vielleicht, in sich selbst wiederfinden. Im Panorama Museum stehen die Leute nach der Vernissage Schlange, um mit der Künstlerin zu reden, den Katalog signieren zu lassen. Lotta Blokker ist wie ihre Skulpturen: Vertrauen erweckend, natürlich, wahrhaftig, von einer magischen Anziehungskraft.
Die Ausstellung ist wie eine Reise durch das Leben, die Gedanken- und Gefühlswelt von Menschen bis in das eigene Ich. Mit jeder Figur, jedem Paar, ist Zwiesprache möglich. Jeder wird diesen Dialog anders führen. Aber jeder Betrachter wird berührt sein. Unbedingt sehenswert.
Lotta Blokker „The hour of the world“
Panorama Museum Bad Frankenhausen
bis 14.06.2015
geöffnet Di-So 10-17 Uhr, ab April bis 18 Uhr
Katalog, 128 Seiten, viele Abbildungen und Fotos
PS. Den (hier bearbeiteten) Text habe ich Mitte März 2015 geschrieben. Er wurde am 02.04.2015 in der Tageszeitung Freies Wort (Print, ePaper, Website) veröffentlicht.