"Hamlet" am DNT Weimar

Verrückt sein oder nicht verrückt sein

Hamlet ist verrückt. Oder spielt er das nur? Hamlet sinnt auf Rache. Tatsächlich? „Hamlet“ am Deutschen Nationaltheater Weimar quält sich und das Publikum. Premierennotizen von #derhofbeobachter.

Im Anfang ist das Wort. Die Wachen tragen Schutzmasken oder wie die Dinger heißen. Sie nuscheln so über die Bühne. Nichts ist zu verstehen. Aber wir ahnen die Geschichte. Irgend so ein König von Dänemark hat sich ins Jenseits verabschiedet. Hat da jemand nachgeholfen?

WE DNT Hamlet Cover 2017-02-26
Hamlet-Collage mit Programmheft-Cover und Premierenkarte. Foto: mip

Regisseur Robert Schuster hat große Lust, das Publikum zu quälen oder zumindest zu verstören. Die reale Gegenwart ist ihm nicht genug. Die unübersichtliche Welt des 21. Jahrhunderts mit den Irren und Verwirrten, die regieren und dekretieren, kippt er aus auf der Bühne des Deutschen Nationaltheaters in Weimar. Wer kann im Parkett all diese Sinneseindrücke sortieren, dechiffrieren, aushalten? Das Private ist politisch, das Politische ist privat. Hamlet soll nach England abgeschoben werden. „Hinter uns die Ruinen von Europa“ lautet eine Losung im fahlen Licht der Hinterbühne. Der Brexit scheint auf aus einer anderen Perspektive.

Jetzt reicht es aber mit der großen Unübersichtlichkeit der Verhältnisse, der Menschen und der Macht. Bei Shakespeares „Hamlet“ ist der Vater und König tot, der neue König ist der Onkel-Vater und die Mutter jetzt Tante. „Wer seinen Vater verliert braucht einen Freund“, nur wen? Es ist was faul im Staate Dänemark, der neue Slogan lautet „Dänemark nach vorn“. Später twittern die Könige (welcher war‘s?) auch noch „Dänemark first“.

Sind Sie, der mir liebe, teure  Leser, jetzt auch schon genug verwirrt und verstört? Nerve ich als #derhofbeobachter? Gut, ich bringe ein bisschen Ordnung in den Premierenabend, wie ich ihn wahrgenommen habe. Die uniformen Typen vom Anfang pellen sich aus ihren Overalls. Aus Monstergestalten werden Menschenkinder, manche sogar richtige, meistens zwielichtige Charaktere.

Also Hamlet, ein junger Prinz, den spielt Jonas Schlagowsky. Er wirkt manchmal ein wenig angestrengt. Spielt er verrückt? Spielt er den verrückten Hamlet? Liebt er Ophelia oder spielt er das nur? Er spielt eine Rolle, er ist stark weiß geschminkt im Gesicht in diesem riesigen, roten Guckkasten (Bühne und Kostüme von Sascha Gross). Zum farbigen Kontrastprogramm gehört der schwarze Strich unterm rechten Auge. Eine vergossene Träne über den toten Vater? Auf Hamlet fallen Schatten. Er sinnt nach Rache, weil der Onkel-König den Vater-König ins Jenseits befördert hat, um die Mutter und Tante in sein Bett zu ziehen. Und ein bisschen Macht kommt auch dazu. Ist das so?

Der neue König, Krunoslav Šebrek, und die alte, neue Königin, Dascha Trautwein, sind ein Paar, das nicht zusammenpasst. Machtbesessen? Liebestoll? Nichts davon. Am Ende, als fast alle sterben, aber nicht nach dem Plan von Claudius, guckt der ein bisschen blöde durch die Gegend. Pech gehabt mit dem Mordplan, ist halt schiefgegangen.

Die Nebenrollen haben es in sich, weil sie schauspielerisch herausragen. Polonius, Bernd Lange, oberster Staatsrat, ist der Oberstudienrat mit gut gemeinten und ernst zu nehmenden Ratschlägen für Tochter Ophelia und König Claudius. „Hamlet“, von Frank Günther übersetzt, enthält akrobatische Wortgirlanden, Zungenbrecher, die Bernd Lange brillant spricht und spielt. Elke Wieditz in der kleinen Rolle als Schauspielerin tut es ihm gleich. Horatio, Max Landgrebe, ist der jüdische Freund Hamlets, spielt  so schön traurig Cello und klärt auf über jüdische Trauerrituale. Ein komischer Typ irrlichtert über die Bühne. Die Pressesprecherin (!) von Fortinbras, Julius Kuhn, ist ein Transsexueller mit politischen Botschaften, noch so ein verwirrender Eindruck.

Die Wutrede Hamlets an die Elterngeneration lasse ich hier weg, die steht nicht im Textbuch bei Shakespeare. Die Echtzeit- und Archivbilder, Videos, von Bahadir Hamdemir HMDMR geben eine schöne Oberfläche ab, zoomen auf teilnahmslose Gesichter von König und Königin, lassen mich ratlos zurück, weil ich die Massenszenen nicht dechiffrieren kann. Selber schuld. Das virtuell auflodernde Twittergewitter, da taucht auch #derhofbeobachter auf, ist ein netter Spaß, der Offliner nur nervt.

Am Ende ist Dröhnen. Äh, die Drohne fliegt wieder. Über die Bühne. Endlich Abflug aus dem Parkett. „Das ist zu lang“, senkt Oberstudienrat Polonius symbolisch den Daumen noch vor Mitternacht. Da ist er schon längst erstochen worden hinterm Vorhang.

HMDMR twittert nach der Premiere. Screenshot: mip
HMDMR twittert nach der Premiere. Screenshot: mip

Minuten nach der Premiere zwitschert HMDMR „was vom #hamlet bleibt“: der Regisseur, der Bühnenerfinder, der Videospezialist, das Theater DNT. Dazu ein schemenhaftes Foto mit den Toten auf der Bühne.

Schon verrückt, die Welt bei Shakespeare und die Gegenwart und die Verrückten. Und ich Verrückter habe zugeschaut.

WE DNT Hamlet in FW 2017-02-27Der Beitrag erschien zuerst und gekürzt im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort Suhl.

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