Visionärin und Macherin

Die Frau liebt Widersprüche, Herausforderungen, komplexe Zusammenhänge, das Denken und Handeln in Gegensätzen. Sie will überraschen. Die neue Präsidentin der Klassik Stiftung, Ulrike Lorenz, stellte sich und ihre Visionen gestern in Weimar vor.

Der „Stein des guten Glücks“ en miniature als Metapher und Glücksbringer.

Zur gestrigen Pressekonferenz bringt Ulrike Lorenz eine Miniaturausgabe vom „Stein des guten Glücks“ mit und nimmt sich das erste Wort. Ihr Dienstvorgesetzter neben ihr, Stiftungsratsvorsitzender Benjamin-Immanuel Hoff, der Kulturminister Thüringens, muss erstmal schweigen. Sie wolle eine neue Ära einleiten, sie liebe die Medien und freue sie sich auf eine vielfältige Zusammenarbeit. Dann aufmerksame Begrüßung ihres Chefs, der ihre fachliche Kompetenz, Führungs- und Kulturmangerinqualitäten in den höchsten Tönen lobt. „Der Stiftung geht es gut“, jetzt müsse die „nächste Entwicklungsphase“ in Angriff genommen werden. Hoff nennt abstrakte Stichworte: die inhaltliche Arbeit und Baumaßnahmen, unter anderem das Stadtschloss, dessen Sanierung gerade begonnen hat.

Die neue Präsidentin kann schnell denken und sprechen, entwickelt eine Energie, Ausstrahlung und Empathie, die beeindrucken. Kurze biografische Vorstellung: geboren 1963 in Gera, Studium der Kunstgeschichte und Archäologie in Leipzig, Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar. Von 1990 bis 2004 Direktorin der Kunstsammlung und des Stadtmuseums in Gera. Sie wechselt als Direktorin des Kunstforums Ostdeutsche Galerie nach Regensburg. 2009 wird sie Direktorin der Kunsthalle in Mannheim. Dort verantwortet sie die Generalsanierung des Altbaus und den Neubau der Kunsthalle mit einem Investitionsvolumen von 70 Millionen Euro, darunter einer Spende von 50 Millionen eines Mäzens. Budget und Termin werden eingehalten, das ist längst nicht selbstverständlich. Sie spricht in Weimar von ihrer „bereichernden doppelten Existenzerfahrung“ in Ost und West.

Im Schnelldurchlauf formuliert sie ihre Haltung: „Es geht immer weiter“ und „funktionieren muss es“ und ihre Unzufriedenheit, die sie umtreibt. Die Stiftung stehe für „Humanität und Bestialität“ in Weimar, an dem Widerspruch müsse sie sich abarbeiten. Vom „Kosmos Weimar“, den die Stiftung 2007 als Überschrift ihres Masterplanes erfand, will sie den „Mikrokosmos Weimar“ in der globalen Welt etablieren und erden mit allem, was eine so komplexe Institution ausmacht.

Die Klassik-Stiftung ist nach der viel größeren Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Nummer 2 unter den öffentlich-rechtlichen Kulturstiftungen in Deutschland mit mehr als 27 Museen, Schlössern, historischen Dichter-, Denker- und Künstlerhäusern, ihren Sammlungen der Kunst und Literatur. Zwölf Museen, Häuser und Parks gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Klassik Stiftung verfügt über ein Jahresbudget inklusive Eigeneinnahmen von kanpp 30 Millionen Euro (ohne Projekt- und Investitionsmittel). Sie beschäftigt 419 Mitarbeiter, davon 40 Prozent befristet.

Amtseinführung auf der Baustelle Stadtschloss Weimar.

Dann wird Ulrike Lorenz konkreter. Die starke Mitte der Stiftung, das Stadtschloss, „darf keine Investruine werden“. Gegenwärtig werden 40 Millionen Euro in die Sanierung von Kernbereichen, in das halbe Schloss, investiert. „Das reicht nicht aus“, aber „wir können auch nicht 50 Jahre warten, bis das Schloss fertig wird.“ Sie wolle auch mit Wirtschaftsführern reden, öffentlich-private Partnerschaften schließen, um Finanzlöcher zu schließen. In dem Kontext macht sie deutlich, dass die notwendige Generalsanierung des Goethe-Wohnhauses vermutlich zeitlich aufgeschoben wird, die ganze Kraft vorerst dem Schloss gehört. Die digitale Strategie der Klassik Stiftung macht sie zur Chefinsache. Die anzustrebende Stiftungskultur beschreibt sie mit den Stichworten Leistung, Betriebsamkeit und Verantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters, der persönliche Ergebnisse abrechnet.

Der Blick- oder Perspektivwechsel der Stiftung richtet sich aus einer über 500-jährigen Kultur- und Sammlungsgeschichte in die Gegenwart und Zukunft. Globale Fragen wie Demokratie und Klimawandel  sollen eine Rolle spielen. Die Stiftung mit ihren geistigen und materiellen Ressourcen soll sich zu einem Thinktank, einer Denkfabrik für Politik und Gesellschaft, zu einem Zentrum sozialer und transdisziplinärer Debatten in Deutschland entwickeln. Sie soll geistig und kulturell orientieren. „Alles, was wir tun, ist politisch“, formuliert die neue Präsidentin einen neuen Ansatz und Anspruch.

„Quartier der Moderne“ mit Bauhaus-Museum, ehemaligem Gauforum, Info-Kiosk.

Ganz pragmatisch nachgefragt: Was erwartet das Publikum aus Weimar und der Welt künftig an Ausstellungen und anderen Angeboten? Das „Quartier der Moderne“ um das ehemalige Gauforum herum, mit Bauhaus- und Neuem Museum, will sie in Weimar vorantreiben, die Partner vernetzen. Die hochkarätige, aber in Weimar nicht sichtbare Rauminstallation „Konzert für Buchenwald“ der weltberühmten Künstlerin Rebecca Horn soll einen anderen, angemessenen Ort finden. Große und großartige, von der Klassik-Stiftung konzipierte und kuratierte Ausstellungen wie zuletzt in München, Paris und Bonn soll es künftig auch in Weimar geben. Die Ausstellungsflächen gibt es nicht in Weimar, sie werde „stark darüber nachdenken“, das zu ändern, sagt die neue Präsidentin.

Ulrike Lorenz  sprudelt nur so vor Ideen, Visionen, Ansprüchen an sich selbst und ihre Mitarbeiter. Der „Stein des guten Glücks“, den sie in Miniaturform zur Pressekonferenz gestern mitbringt, steht in natura im Garten von Goethes Gartenhaus im Weimarer Ilmpark. Da am Rande des Gartens öffnet sich die kleine und die große Welt, die der Mikrokosmos Weimar in sich vereint. Die soll ausgemessen, beschritten, erorbert werden.

Viel Glück auf dem Weg.

Zuerst veröffentlicht in der Tageszeitung Freies Wort. Fotos/Screenshot: miplotex


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