Koalitionsvertrag r2g

Kultur spielt ´ne nette Nebenrolle

Wünschen. Träumen. Aufwachen.
Nach der Lektüre des Koalitionsvertrages ist klar: Das weite Feld der Kultur spielt in der angekündigten Politik von Rot-Rot-Grün in Thüringen eine nette Nebenrolle.

In der Präambel des Koalitionsvertrages, auf Seite 1, kommt das Wort KULTUR gleich zweimal vor. Eine „neue Kultur des Zuhörens und Mitmachens“ wollen die drei Parteien etablieren. Ein paar Zeilen weiter ist zu lesen, wie in Stein gemeißelt: „Die reiche kulturelle Landschaft Thüringens ist ein Alleinstellungsmerkmal, das wir bewahren und entwickeln wollen.“ Das unterschreibt jede politische Partei und jeder nur ein bisschen an Kultur interessierte Bürger. Das stimmt so wie „Im Osten geht die Sonne auf.“

Die ersten dreieinhalb Seiten des Koalitionsvertrages, die Präambel, geben die grundsätzliche Richtung der künftigen Regierungspolitik von Rot-Rot-Grün in Thüringen vor. Mit vier Leitprojekten setzen die Parteien Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen politische Prioritäten. Das zweite Leitprojekt „Gute Bildung“ beginnt mit dem Satz: „Wir verstehen die Umsetzung notwendiger Weiterentwicklungen im Bildungs- und Kulturbereich … als Weg, den wir gemeinsam mit allen Akteuren gehen wollen und für den wir Gelingensbedingungen schaffen.“

Uff! Das muss man mindestens zweimal lesen, um den Inhalt vielleicht zu verstehen. Sprachlich ist das, na ja, gruselig. In dem Absatz des Koalitionsvertrages geht es konkret um Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen, um Bildungsprogramme. Im dritten Leitprojekt „Starke Kommunen“ verliert sich die Aussage: „Das kulturelle Erbe Thüringens werden wir erhalten.“ Den Satz kann auch jeder Politiker und Bürger unterschreiben, wenn man die ländlichen Räume, nicht nur die Städte, mitdenkt.

Das ist tröstlich
Das Fazit aus der Präambel des Koalitionsvertrages und den vier Leitprojekten: Kultur kommt vor als politischer Allgemeinplatz. Das ist tröstlich, Kultur spielt eine nette Nebenrolle.

Oder doch nicht? Schließlich widmen die Koalitionäre der Kultur-, Medien- und Netzpolitik ein eigenes Kapitel in ihrem Vertrag. Auf fünfeinhalb Seiten werden mehr oder weniger konkrete Aussagen zur Kultur gemacht. „Die Kulturausgaben des Freistaates Thüringen werden verstetigt.“ Das soll heißen und ist auch so aus Verhandlungskreisen von Rot-Rot-Grün zu hören: die Ausgaben des Landes für Kultur von zuletzt 155 Millionen Euro pro Jahr  werden politisch garantiert. Gibt es Zuwächse? Vermutlich nicht, weil Kultur keine politische Priorität genießt, die absehbare Haushalts- und Finanzlage des Landes wenig Spielräume für Wohltaten lässt.

Kultur in der Praxis, im Kulturhaus in der Provinz. Foto: mip
Kultur in der Praxis, im Kulturhaus in der Provinz. Foto: mip

Das Kulturkonzept der bisherigen Landesregierung soll fortgeschrieben, der Dialog mit Kulturschaffenden, ihren Verbänden und weiteren Partnern fortgesetzt werden. Neu ist die Ansage im Koalitionsvertrag, ein „Gesetz zur Förderung und Entwicklung der Kultur, der Kunst und der kulturellen Bildung“ verabschieden zu wollen. Das ist ein Lieblingsprojekt der Partei Die Linke, es „soll für mehr Transparenz, Verlässlichkeit und Planungssicherheit sorgen.“ Und hoffentlich für weniger Bürokratie in der Kulturförderung.

Auf den Seiten 54 bis 59 des Koalitionsvertrages, der auf den Internetseiten der drei Parteien dokumentiert ist und heruntergeladen werden kann, stehen viele konkrete und unkonkrete Vorhaben, Wünsche, vielleicht auch Träume der Koalitionäre. Die Kulturakteure und -verbände in Thüringen reagieren darauf ganz unterschiedlich. Der Bühnenverein in Thüringen ist alarmiert über die Aussage: „Die Koalition strebt den Erhalt aller Thüringer Theater und Orchester in ihrer bestehenden Form, Struktur und Bandbreite an.“ „Strebt an“, das ist wachsweich formuliert, anders als im Papier nach den Sondierungsgesprächen der drei Parteien. Da stand noch „werden wir erhalten“. Diese Formulierung hatte unter den anderen Kulturverbänden in Thüringen zu erheblichem Unmut geführt, weil ihrer Meinung nach Theater und Orchester vom Freistaat privilegiert behandelt werden.

Evaluieren. Kooperieren. Qualität bewerten.
Andere Kulturbereiche und -institutionen in Thüringen werden evaluiert, zu Kooperationen und Fusionen gedrängt, nach Qualitätskriterien bewertet. Sie erhalten im Vergleich zu Theatern und Orchestern eine eher bescheidene finanzielle Förderung. Aktuell fließen 65 der 155 Millionen Euro Landesmittel in Theater und Orchester, insgesamt über 105 Millionen Euro mit Zuschüssen aus weiteren öffentlichen Kassen. Die neun öffentlichen Theater mit 60 Spielstätten in Thüringen verfügen über eine Platzkapazität, die dreieinhalb mal so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt, nachzulesen im Kulturkonzept des Freistaats Thüringen von 2012.

Verhaltene Freude unter den Kulturakteuren lösen Ansagen im Koalitionsvertrag aus, die in die Zukunft weisen: ein Volontärsprogramm für die Museen, der Anschluss aller Bibliotheken an das landesweite Netz ThürBibNet, mehr dauerhaft beschäftigte Lerhrkräfte an kommunalen Jugendkunst- und Musikschulen, mehrjährige Förderung von Projektmanagern, eine kuratierte Landeskunstausstellung. Ausführlich werden Vorhaben aus dem Bereich Erinnerungs- und Gedenkkultur beschrieben und angekündigt. Das sind nur Beispiele von Projekten, Programmen und möglichen Perspektiven.

Da sind wir bei der Krux des Koalitionsvertrages, nachzulesen auf Seite 99, gültig für alle Politikbereiche, die politischen Prioritäten sind ja gesetzt. Im Kapitel „Nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik“ ist zu lesen: „Der Koalitionsvertrag beschreibt in den Themengebieten die angestrebten und gewünschten Entwicklungen für den Freistaat Thüringen.“ Das ist eindeutig: angestrebt und gewünscht.

Zuerst veröffentlicht in Freies Wort am 25.11.2014. Screenshot: mip
Zuerst veröffentlicht in Freies Wort am 25.11.2014. Screenshot: mip

Der designierte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) nannte letzte Woche vor Studierenden der Uni und FH in Erfurt eine Zahl. Der Landeshaushalt in Thüringen sinkt künftig Jahr für Jahr um 100 Millionen Euro. Die Zahl steht nicht im Koalitionsvertrag. Aber die „schwarze Null“, keine Nettoneuverschuldung des Landes, soll Jahr für Jahr stehen. Vor diesem Hintergrund: Wünschen und Träumen ist schön. Die Kulturakteure, und nicht nur sie, werden ganz schnell aufwachen im Alltag in Thüringen.

PS. Leicht bearbeitete Fassung des Beitrages, der zuerst am 25.11.2014 in der Tageszeitung Freies Wort veröffentlicht wurde.

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