Stadt.Kultur.Erfurt

Schwarzer Kaffee und schwarzes Loch

Wird die Kultur in Erfurt kaputt gespart? Existiert ein kultureller Notstand in der Thüringer Landeshauptstadt? Ist das alles nur dummes Geschwätz? Fakt ist, in der Erfurter Kulturszene brodelt es.

Parteien spitzen zu, um ihre Position deutlich zu machen. Die Erfurter CDU meint, die Kultur wird kaputt gespart. Die Erfurter SPD ruft den „kulturellen Notstand“ aus. Die linke Kulturbürgermeisterin Erfurts widerspricht vehement. Das Gute daran, endlich haben wir eine öffentliche Diskussion. Und hoffentlich führt die zu notwendigen Veränderungen.

Das „Kaffee schwarz“ öffnet letzten Samstag um 9:00 Uhr mit Blick auf den Domplatz, das Herz der Stadt. Die CDU Erfurt diskutiert mit Gästen die eingangs formulierte Frage, die schon die Antwort suggeriert. Doch so einfach ist das nicht. Steffen Raßloff und ich sind von der Erfurter CDU-Vorsitzenden Marion Walsmann eingeladen worden, um unsere Positionen darzustellen und mit den Frühstücksgästen zu diskutieren.

Im "Kaffee schwarz" über Kultur in Erfurt reden.
Im „Kaffee schwarz“ über Kultur in Erfurt reden.

Raßloff ist ein in Thüringen bekannter Historiker, Autor, Publizist und streitbarer Geist. „Erfurt sitzt in der Residenzfalle“, formuliert er eloquent. Seit einer Woche läuft die Thüringer Landesausstellung „Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa“ in Weimar und Gotha. Rassloff zitiert sich selbst: „Zwischen dem Kosmos Weimar und dem Barocken Universum liegt das Schwarze Loch Erfurt.“ Er meint das historisch, preußisch, geografisch, metaphorisch und, vielleicht, ein bisschen fatalistisch.

Ich bin falsch gebrieft worden und rede zehn Minuten über Vielfalt und Qualität der Kultur in Erfurt: über Kunst, Architektur, Museen, Bibliotheken, zeitgenössische Impulse, Anregungen von außen, alles Stichworte und verpackt in einen imaginären Rundgang um den Domplatz. Der Journalist in mir erzählt eine Kurzgeschichte, die so richtig keiner hören will.

Wir diskutieren mit den Gästen, das ist gut so. Erfurt geht mit seinem kulturellen Potenzial nicht so um, wie das notwendig und möglich wäre, lautet eine Kritik. Gemeint ist vor allem seine großartige, widersprüchliche, gebaute und gelebte Geschichte seit dem Mittelalter, Martin Luther und die Reformation, die preußische Zeit, Erfurt als Bürgerstadt. Das ist was dran. Nächstes Jahr ist das 500. Reformationsjubiläum, Martin Luther hat als Student und Mönch prägende Jahre in Erfurt verbracht. Das Augustinerkloster und andere Luther-Stätten in Erfurt werden, wenn nicht noch ein Blitz einschlägt, 2017 zum Weltkulturerbe erklärt.

Aber im Reformationsjahr 2017 wird in Erfurt, in den Luther-Stätten und überhaupt in der Stadt, so gut wie nichts passieren mit diesem Jubiläum. Ganz nebenbei: die Stadt Erfurt wird 1275 Jahre alt. Ist das im Rathaus schon angekommen? Die Kritik ist mehr als berechtigt, wie Erfurt mit dieser Geschichte nicht umgeht.

In dem Zusammenhang kommt ein Konflikt zur Sprache, der schon einige Zeit öffentlich diskutiert wird: der Konflikt zwischen der Erfurter Stadtverwaltung und dem Erfurter Stadtrat. Als Bürger der Stadt habe ich den Eindruck, die Stadtverwaltung bestimmt, wo es in Erfurt langgeht, vor allem gegenüber dem gewählten Stadtrat. Das Totschlagargument der Verwaltung lautet: Wir haben im städtischen Haushalt kein Geld für Kultur und für anderere, wünschenswerte Projekte.

Das Erfurter Angermuseum, abgetaucht in der Nacht. Fotos: mip
Das Erfurter Angermuseum, abgetaucht in der Nacht. Fotos: mip

Das ist die Crux. Stadtverwaltung, vielleicht auch Teile des Stadtrates, denken vom Geld her. Aber am Anfang stehen Ideen, Initiativen, vielleicht Visionen, jedenfalls Projekte und Konzepte – sollte man meinen. Das ist leider nicht so, nicht nur in Erfurt. Das frustriert und demotiviert die Kreativen, die Kulturmacher, aber auch Mitarbeiter in der Erfurter Kulturdirektion und in den städtischen Kultureinrichtungen. Das scheint ein gravierendes Problem zu sein: das Denken vom Geld her und die damit einhergehende Demotivation.

Dabei ist genug Geld da, sagt Marion Walsmann, Thüringer Landesministerin a. D., sie sitzt im Stadtrat und im Landtag. Einzelne Informationen sprechen dafür, harte Fakten gibt es für Erfurt leider nicht. Deutschland und Thüringen geht es wirtschaftlich so gut wie noch nie seit 1990, im Bund sprudeln die Steuereinnahmen nur so, im März 2016 um plus 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Stadtverwaltung Erfurt, der Oberbürgermeister und die Kämmerin, behaupten, dass es eine Decklungslücke von bis zu 30 Millionen Euro im städtischen Haushalt gibt. Deshalb stellen sie keinen Haushalt auf. So kann OB Andreas Bausewein „durchregieren“, ohne den gewählten Stadtrat fragen und sich Mehrheiten für seine Projekte organisieren zu müssen. Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Fakt ist, Erfurt muss sich als Kultur- und Bürgerstadt stärker profilieren, eigene Ideen kommunizieren und umsetzen. In der Kulturszene der Stadt, vor allem bei freien Künstlern und nicht institutionell geförderten Einrichtungen, brodelt es gewaltig. In den etablierten städtischen Kultureinrichtungen ist der Leidensdruck offenbar sehr hoch.

Was tun? Eine Bürger-Demo ist am 25. Mai vor dem Rathaus geplant, wenn der Stadtrat zusammentritt. Eine Initiativgruppe organisiert das. Der Stadtrat selbst muss die Initiative gegenüber der nicht gewählten, der dienenden Stadtverwaltung zurückgewinnen, so anstrengend das für ehrenamtliche Stadträte auch sein mag. Dafür haben sie sich wählen lassen. Schließlich muss die öffentliche Diskussion weitergehen. Welche Kultur wollen, können, müssen wir uns in Erfurt leisten?

Das „schwarze Loch“ ist physikalisch, vereinfachend formuliert, ein Kraftzentrum. Selbstbewusste Erfurter Bürger und Kulturmacher müssen ihre Kraft und Energie mobilisieren, um die Stadt in ihrem Sinne zu verändern.

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