So ein Theater! Erfurter Stadträte kritisieren Kulturminister Benjamin Hoff heftig für seine Nachsicht gegenüber den Weimarer Nachbarn. Notizen über eine bemerkenswerte Vorstellung.
Vorgestern Abend, öffentliche Sitzung des Werkausschusses Theater Erfurt und des städtischen Kulturausschusses. Eingeladen ist Kulturminister Benjamin Hoff, der über die „Perspektive 2025“ für das Theater Erfurt infomieren und dazu befragt werden soll.
Kultur-Bürgermeisterin im Urlaub
Berichten soll laut Tagesordnung für die Stadtverwaltung Erfurt Kultur-Bürgermeisterin Tamara Thierbach. Sie macht gerade Urlaub. Ihre Vertreterin, Umwelt-Dezernentin Hoyer, hat nichts zu sagen. Die Stadtverwaltung schweigt zu einem Thema, bei dem es um rund 100 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren für das Theater Erfurt geht. Ein Jahresbudget beträgt rund 25 Millionen, hat Generalintendant Montavon anlässlich der Spielplan-Pressekonferenz mitgeteilt. Das Schweigen der Erfurter Verwaltungsspitze zu so einem Anlass und mit dem eingeladenen Gast ist bemerkenswert.
Also muss Benjamin Hoff gleich ran und reden. Er ist darüber für einen kurzen Moment sichtbar irritiert. Und reflektiert noch einmal das Papier Perspektive 2025, die öffentlichen und internen Diskussionen seit August 2015. Das blende ich hier mal aus, weil vieles bekannt ist.
20 Minuten Bahnfahrt zwischen zwei Welten
Minister Hoff redet über die Ansage der Weimarer Nachbarn, die von ihm erwarten, dass er nicht mehr über das Holding-Modell eines Staatstheaters Weimar-Erfurt nachdenken und reden soll. Hoff lässt sich aber Gedanken und Mund nicht verbieten. Hoff redet darüber, dass er als Berliner nicht verstehe, wie 20 Minuten Bahnfahrt zwischen Erfurt und Weimar, von einem zum anderen Theater, ein Hindernis sein können für eine Kooperation. Na ja (mein Kommentar aus Erfurter Sicht), das Weimarer Selbstbewusstsein und die Antipathie gegenüber Erfurt sind über Jahrhunderte gewachsen. Nicht umsonst gibt es (gab es?) die Bezeichnung „Kosmos Weimar“ für eine andere große Weimarer Kulturinstitution.
„Wir lassen uns von Weimar nicht mehr veralbern“
Die Absage der Weimarer Stadträte und des Deutschen Nationaltheaters über eine institutionelle Kooperation beider Bühnen kritisieren Erfurter Stadträte scharf: „Ist ein Stadtrat bockig, setzt er sich durch.“ „Wir stehen vor den Trümmern der ursprünglichen Pläne des Landes“, sagt Kulturausschuss-Vorsitzender Wolfgang Beese. Er spricht über das „Erfurter Trauma“ der letzten 20 Jahre. Immer wieder lehnte Weimar eine vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit ab. Das Philharmonische Orchester Erfurt baute 20 Stellen ab. Das Erfurter Schauspiel wurde komplett abgeschafft. „Wir lassen uns von Weimar nicht mehr veralbern“, kommentiert ein anderer Stadtrat.
Im großen Ratssitzungssaal brennt die Luft. Viele Stadträte und berufenen Bürger beider Ausschüsse sind angefressen, emotionalisiert, frustriert, formulieren das deutlich an die Adresse des Ministers, den sie eingeladen haben. Der Weimarer Kulturausschuss hatte vor Wochen Minister Hoff erst zu sich eingeladen und dann kurzfristig wieder ausgeladen, nur mal so am Rande bemerkt.
„Vielleicht bin ich eine Verhandlungspfeife“
Warum setzt Minister Hoff nicht die Finanzhebel gegenüber Weimar ein? Das Land zahlt, also gibt es auch die Richtung vor, lauten eine andere Frage und Forderung der Erfurter Stadträte. Hoff reagiert gereizt, er könne nicht falsche Entscheidungen der Vergangenheit korrigieren. Bei einem Staatstheater sei der Verhandlungsspielraum nicht so groß. „Vielleicht bin ich eine Verhandlungspfeife“, bemerkt er rhetorisch.
Stadtrat Beese, auch ehrenamtlicher Vorsitzender des Theater-Freundeskreises, bringt die alte Idee eines Kooperationsfonds ein, also zusätzliches Geld des Landes für eine Zusammenarbeit zwischen Theatern, nicht nur zwischen Weimar und Erfurt. Hoff hält dagegen und meint, die Einnahmen aus der gemeinsamen Inszenierung der „Meistersinger“ sollten in so einen Topf Weimar-Erfurt fließen. Da spielt aber keiner mit, weil das die Methode linke Tasche – rechte Tasche ist. Die Einnahmen fließen ja in den Haushalt jedes Theaters ein, die damit rechnen.
Das Land zahlt an alle Theater zusätzlich 12 Millionen
Immer wieder fällt der Begriff „Finanzierungsgerechtigkeit“. Die Stadt Erfurt zahlt etwa 11,6 Millionen Euro jährlich für sein Theater, das Land gibt 7,35 Millionen. Die Eigeneinnahmen des Theaters Erfurt erreichten 2015 die neue Rekordhöhe von 3,7 Millionen Euro. (Angemerkt: Da kommen in der Summe keine 25 Millionen für den Gesamtetat pro Jahr zusammen, den das Theater noch Stunden zuvor verkündete).
Andere Theaterträger bekommen anteilig wesentlich mehr vom Land als Erfurt, andere aber auch weniger. Das Ansinnen von Erfurt einer fünfzigprozentigen Landesförderung (jetzt sind es ca. 40 Prozent) weist Hoff strikt zurück. Ab 2018 wird das Theater Erfurt 200.000 Euro vom Land zweckfrei verwenden können, ein Teilbetrag, der bisher an die Thüringen Philharmonie Gotha durchgereicht wurde. Das Land finanziert künftig zu 50 Prozent die Tarifsteigerungen für alle Thüringer Theater und Orchester, auch wenn die Träger ihren Anteil nicht dazuzugeben. Das Land steigert seine Theaterförderung von jetzt 66 Millionen Euro auf 78 Millionen bis 2020. Dem künftigen Zuwachs von 12 Millionen steht ein Zuwachs von 5 Millionen in der aktuellen, vergleichbaren Finanzierungsperiode gegenüber.
Ein Vertragsentwurf, den fast keiner kennt
Am Ende der 100-minütigen Sitzung haken Stadträte bei Minister Hoff hart nach. Tatsächlich, ein Vertragsentwurf des Landes zur künftigen Finanzierung des Theaters Erfurt liegt der Stadtverwaltung, der Kultur-Bürgermeisterin, vor. Das ist eine echte Neuigkeit für die meisten im Ratssitzungssaal. Den Inhalt des Vertragsentwurfes kennen weder Stadträte, die darüber irgendwann abstimmen sollen, noch das Theater selbst. Denn das frage ich die Verwaltungsdirektorin des Theaters Erfurt, Angela Klepp-Pallas, die neben mir in der letzten Reihe sitzt. Generalintendant Montavon, der einen Platz weiter sitzt, verfolgt die Vorstellung schweigend, fast ohne Mimik und Gestik. Stadträte bestätigen mir auf Nachfrage, dass sie den Vertragsentwurf ebenfalls nicht kennen.
Für das Land bestehe kein Verhandlungsbedarf mehr, stellt Benjamin Hoff abschließend klar. Für die Stadträte schon.
Nachverhandeln oder nicht?
Wird die Stadtverwaltung mit dem Land den Vertragsentwurf nachverhandeln? „Das müssen sie die Kulturdezernentin fragen, nicht mich“, antwortet ihre Vertreterin aus dem Umweltdezernat. Die Kultur-Bürgermeisterin macht aber gerade Urlaub.
Wie geht’s weiter? In Erfurt werden sich mehrere Ausschüsse des Stadtrates mit dem Vertragsentwurf beschäftigen, wenn sie ihn endlich von der Verwaltungsspitze des Rathauses zugestellt bekommen. Danach wird der Stadtrat diskutieren und abstimmen. Noch sind viele Fragen offen.
PS. Der Text oben ist eine stark erweiterte Fassung eines kurzen Berichtes, der zuerst im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort erschien.
Danke für diesen umfassenden Stimmungsbericht.
Der Minister verhandelt mit der Verwaltung der Stadt und denkt er redet mit der Stadt. Die Verwaltung informiert weder Theater noch Stadträte. Es fehlen Millionen, aber keiner redet darüber wo die herkommen sollen. Die zuständige Referentin ist genau an dem Termin im Urlaub, Ihre Stellvertreterin ist nicht instruiert und hat nichts zu sagen. Der Minister wundert sich, die Stadträte wundern sich, die Intendanten wundern sich.
So produziert man KommunikationsGAUs und -Chaos, auf das keiner mehr durchblicke. Politische Strategie? Unfähigkeit?
Wann greift endlich mal jemand Bausewein an? Die linke Kultuerelite der Stadt läßt sich verarschen, weil Sie denkt der OB sei einer der Ihren? Aber so langsam muss man sich mal entscheiden.
Ich denke das Grundproblem ist, dass der Minister keine echten Vorschläge gemacht hat.
Um die Finanzierung des Theater langfristig zu sichern muss mehr Geld fließen, den eunsparen kann man nichts mehr. Es sind alle Sparten schon entweder komplett abgewickelt worden (Schauspiel, Ballett) oder auf ein unwürdiges Minumum zusammengespart (Musiktheater). Erfurt hat durch gescheiterte Fusionen (Gotha, Weimar) immer verloren, und leider lässt sich der Stadtrat immer wieder aufs Glatteis führen, und zwar immer von der Landesregierung, die meint mit einer Zusammenlegung Erfurt-Weimar wären alle Probleme gelöst.
Richtig ist eine andere Lösung: Schwerpunkte setzen! Die Oper in Erfurt läuft sehr gut, man sollte hier investieren und den Opernschwerpunkt in Mittelthüringen hier setzen. In Weimar ist das Schauspiel eher der Schwerpunkt, die Zahl der Opernproduktionen am DNT ist deutlich geringer als in Erfurt, auch dass sollte man sehen.
Die Staatskapelle hätte das Zeug zum Vorzeigeorchester mit überregionalen Aufgaben und könnte die Weimarer Oper nebenbei bespielen.
Für den Opern und Konzertbetrieb in der Landeshauptstadt müsste man das Erfurter Orchester nur um 10-15 Stellen aufstocken, das ist wirklich nicht viel.
Mit diesen Maßnahmen könnten langfristig stabile Strukturen geschaffen werden, und mit etwas Planungsgeschick hätte man dafür nur minimale Mehrkosten.
Die Landesregierung kennt leider nur eun Ziel: möglichst viele Stellen abbauen, und damit hat sie ihr Ziel verfehlt, debb mit reinem Abbau macht man keine Strukturreform sondern verschlimmert die vorhandenen Probleme.
Der Stadtverwaltung kanb man nur vorwerfen, dass sie nicht vom ersten Tag an eine faire Beteiligung des Landes an der Theaterfinanzieung gefordert hat, sondern sich wieder an eine zu scheitern verurteilte Fusion mit Weimar geklammert hat.
Schade, wieder eine Chance vertan!