Noch bis 31. Mai 2015

Kunstschatz im eigenen Bestand

Er gehört zu den herausragenden Künstlern der Klassischen Moderne. Das Museum Gunzenhauser in Chemnitz zeigt noch bis zum 31. Mai 73 Werke von Ernst Ludwig Kirchner aus allen künstlerischen Entwicklungsphasen. So eine Ausstellung mit opulentem Katalog und Begleitprogramm gehört zum Kerngeschäft eines jeden Museums: die eigenen Schätze öffentlich machen und einem breiten Publikum vermitteln. „Ernst Ludwig Kirchner in den Kunstsammlungen Chemnitz“, so schlicht der Titel der Ausstellung klingen mag, sie schlägt einen Bogen über das gesamte künstlerische Œuvre Kirchners (1880-1938). Die Ausstellung berichtet davon, dass Kirchners handwerklich-künstlerisches Fundament in Chemnitz gelegt wurde. Die ausgestellten Kunstwerke Kirchners erzählen traurige und beglückende Geschichten von Verlusten und Gewinnen.

Das Museum Gunzenhauser zeigt fast den gesamten eigenen Bestand: 73 von 76 Arbeiten von 1904 bis 1929, darunter 11 Gemälde, einige auf beiden Seiten bemalt, fünf der Gemälde hängen im Museum am Theaterplatz. Zu sehen sind Aquarelle, Zeichnungen und ca. 50 Druckgrafiken. Sie bilden das lebenslange Kunstschaffen Kirchners fast komplett ab: Akte im Atelier und der Natur, Stadt- und Berglandschaften (Chemnitz, Dresden, Berlin, Davos mit Schweizer Bergen), Porträts, Tanz und Varieté, Stillleben, Gebrauchsgrafik.

Mit zehn Jahren kommt Kirchner 1890 mit seinen Eltern von Aschaffenburg nach Chemnitz, besucht hier das Gymnasium, erhält bei seinen Lehrern Max Rudolf Fischer und Robert Rudolf Hoffmann Kunstunterricht, lernt Kopieren und künstlerische Techniken. Der Schülerklub „Vulkan“ bietet Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff von 1902 bis 1905 Anregungen mit Theaterstücken, Lesungen und Ausstellungen. Dostojewski, Strindberg und Kierkegaard werden literarische Vorbilder. 1905 gehören Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff zu den Mitbegründern der legendären Dresdner Künstlervereinigung „Brücke“.

Kuratorin Anja Richter vor  Kirchers "Sitzender Akt mit Fächer" von 1911.
Kuratorin Anja Richter vor Kirchers „Sitzender Akt mit Fächer“.

Die Chemnitzer Ausstellung ist zeitlich-chronologisch und thematisch in zwei Sälen gehängt, hinzu kommen historische Fotos und biografische Texttafeln. Die Gemälde sind natürlich magische Anziehungspunkte. „Sitzender Akt mit Fächer“ von 1911 ist auf dem Katalogcover reproduziert. „Erich Heckel und Dodo im Atelier“, 1910/11, gehört ebenfalls zu den herausragenden Schaustücken der Ausstellung. Die ersten Holzschnitte entstehen 1904/05 und sind Karikaturen, weitere Holzschnitte expressiv, ästhetisch und emotional ansprechende Akte. Die Großstadt Berlin brodelt bei Kirchner, ist hektisch, lebendig, verrucht. Die Moritzburger Akte in der Natur sind gut vertreten. Eine „Jenenser Landschaft“ von 1915 verarbeitet Traumata und Exzesse des Ersten Weltkrieges, die Kirchner durchlebt.

Generaldirektorin Ingrid Mössinger im Interview, dahinter Kirchners Gemälde "Erich Heckel und Dodo im Aterlier". Fotos: mip
Generaldirektorin Ingrid Mössinger im Interview, dahinter Kirchners Gemälde „Erich Heckel und Dodo im Aterlier“. Fotos: mip

Die Davoser Bergwelt mit Bauern, Kühen und alpinen Landschaften führt Kirchner zurück zur Natur. Kräftige Farben kommen ins Spiel: lila, rosa und grün. Kirchner arbeitet wie ein Besessener, schreibt unter Pseudonym  über seine eigene Kunst, kommt 1925/1926 nach Deutschland zurück, besucht Chemnitz. Er trifft Schmidt-Rottluff wieder und Henry van de Velde. Die berühmte winterliche Stadtansicht „Chemnitzer Fabriken“ entsteht.

Die geistige und politische Lage in Deutschland beunruhigt Kirchner mehr und mehr, sein Gesundheitszustand bleibt prekär. Er ist verzweifelt und erschießt sich 1938 in der Schweiz. Durch Beschlagnahme, Verkauf und Tausch verlieren die Chemnitzer Kunstsammlungen nach 1933 fast 1.000 Werke, darunter 31 Arbeiten Kirchners, unter anderem vier unersetzbare Gemälde.

In den letzten Jahren konnten die Kunstsammlungen Chemnitz dank ihrer sehr gut vernetzten Generaldirektorin Ingrid Mössinger durch großzügige Leihgaben, Schenkungen und Ankäufe eine eigene Sammlung mit 76 Werken von Ernst Ludwig Kirchner wieder aufbauen. Dieser Schatz ist jetzt erstmals öffentlich zu sehen. Am Jahresende folgen Ausstellungen aus dem eigenen Bestand mit ca. 500 Werken von Karl Schmidt-Rottluff und mit etwa 120 Arbeiten von Erich Heckel. Die drei großen Expressionisten und „Brücke“-Künstler kommen aus Chemnitz. Die Stadt ist für Kunstfreunde ein angesagtes Reiseziel.

Nachtrag: Der bestellte Text lag 100 Tage auf der Festplatte einer Zeitungsredaktion herum, ohne veröffentlicht zu werden. Da hat ein Redakteur gewaltig gepennt. Zum Glück läuft die verlängerte Ausstellung noch bis 31.05.2015 im Museum Gunzenhauser in Chemnitz.

Kommentare zu “Kunstschatz im eigenen Bestand”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

12 + = 13

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.