Walter Gropius wird am 1. April 1919 zum Direktor des Staatlichen Bauhauses in Weimar berufen. Er macht aus dem Bauhaus eine Weltmarke und einen Mythos. Eine neue Biografie über Gropius wirft dunkle Schatten auf eine Lichtgestalt.
So viele Zufälle. So viel Glück. So viele Empfehlungen für einen, der zweimal das Studium der Architektur abbricht, der nicht zeichnen, der keinen akademischen oder sonstigen Abschluss als Architekt oder Künstler vorweisen kann. Um Walter Gropius ranken sich Legenden, die er virtuos selbst gestrickt oder in Auftrag gegeben haben soll. Ein Kritiker kratzt am glänzenden Lack von Leben und Werk.
Der Publizist und Künstler Bernd Polster ist ein sehr kritischer Leser und Rechercheur der schier unübersichtlichen Materialfülle, die über Gropius und von ihm selbst in Archiven in Form von Publikationen, Fotos, Filmen und Dokumenten überliefert ist. Zum 100. Geburtstag des Bauhauses veröffentlicht der Carl Hanser Verlag eine Biografie von Bernd Polster „Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms“. Ein Denkmal soll vom Sockel gestoßen, ein Mensch als Hochstabler niedergemacht werden.
Der Autor Bernd Polster stellt berechtigte Fragen, macht auf Widersprüche und Brüche im Leben von Gropius aufmerksam. Er benennt Umstände, Förderer, Mäzene und Netzwerke, die Gropius konsequent nutzt, aufbaut, pflegt und hinter sich lässt, wenn sie ihm auf seinem Weg zu Ruhm und Anerkennung nichts mehr bringen. Polster informiert, spekuliert und interpretiert, vermischt Fakten und Fiktion. Das Sachbuch (?) spürt dem Leben und Lebenswerk von Gropius in zeitlich-chronologischer Folge nach, ist mit einem sehr umfangreichen Anhang ausgestattet, das einen wissenschaftlichen Charakter suggerieren soll. Bei der anstrengenden Lektüre des Buches ist gesunde Skepsis geboten.
Eine der Fragen von Polster lautet: Wie konnte Walter Gropius Gründungsdirektor des Staatlichen Bauhauses in Weimar werden? Er wird am 18. Mai 1883 in Berlin geboren, verlebt eine „überaus behütete Kindheit“, erlebt „Drill und Pauken“ in der Schule. „Was Musik, Kunst oder Literatur anging, hat er keine Talente entwickelt“, behauptet der Autor. Menschlich prägen ihn Mutter Manon und Onkel Erich, die Großstadt Berlin und das ostelbische Hinterpommern. Das Architekturstudium in München und Berlin bricht er nach viereinhalb Semestern ohne Abschluss ab. Er macht Erfahrungen als Bauleiter im boomenden Berlin, unternimmt Reisen, u. a. nach Spanien, wo er seinen Förderer Karl Ernst Osthaus kennenlernt. Der bringtihn 1907 als Praktikant im renommierten Berliner Architektenbüro von Peter Behrens unter, dem „Chefdesigner“ des AEG-Konzerns. Gropius bezeichnet Behrens Jahre später als „Lehrmeister“ und sich als „Meisterschüler“, beides trifft wohl nicht zu.
1910 gründet Gropius ein „Architektengeschäft“ mit Adolf Meyer als „unsichtbaren“ Mitarbeiter. Der hochqualifizierte Architekt und Designer ist für das Tagesgeschäft zuständig. Er folgt Gropius 1919 ans Bauhaus nach Weimar. Gropius knüpft Kontakte und akquiriert Aufträge. Hier etabliert er ein „Geschäftsmodell“, das er lebenslang praktizieren wird. Der „Menschenfänger“ und „Macher“ Gropius lässt andere, hoch talentierte Architekten, Künstler und Designer für sich arbeiten, verkauft und vermarktet deren Ergebnisse als seine Erfolge. Zu Recht fragt Bernd Polster nach „Entwürfen“ von „der Hand“ Gropius´, der nicht zeichen kann. Zu Recht fragt Polster nach der Urheberschaft von Bauten, die heute Weltkulturerbe sind und Gropius zugeschrieben werden, etwa das Fagus-Werk in Alfeld oder das Hochschulgebäude des Bauhauses in Dessau, aber auch von vielen anderen Bauten, die mit seinem Namen verbunden sind. Ist Gropius deshalb ein Hochstabler und Plagiator, wie Polster rigoros urteilt und verurteilt?
Für Henry van de Velde wird 1915 ein Nachfolger als Direktor der Kunstgewerbeschule in Weimar gesucht. Osthaus insistiert, van de Velde schlägt Gropius vor, der auf der Kölner Werkbund-Ausstellung 1914 mit einer spekatkulären Musterfabrik, entworden von Adolf Meyer, für Aufsehen sorgt. Der Erste Weltkrieg verhindert die Berufung nach Weimar. In der Umbruchzeit1918/19 unternimmt Gropius einen neuen Versuch, verbunden mit einem radikalen Gesinnungswandel. Der linke „Arbeitsrat für Kunst“ ist die geistige Plattform und Empfehlung. Der Schriftsteller Ernst Hardt, Intendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, vermittelt vor Ort Kontakte. „Niemand weiß, wie das (entscheidende) Gespräch genau abgelaufen ist“, schreibt Bernd Polster. Die provisorische Regierung beruft Walter Gropius mit Wirkung vom 1. April 1919 zum Direktor des 12 Tage später so benannten Staatlichen Bauhauses Weimar.
Das Bauhaus soll alles, nur „nichts Kleines“ werden, schreibt Gropius an seine Mutter. Der machtbewußte Menschenfänger mit seinen offenbar überragenden rhetorischen und organisatorischen Fähigkeiten, mit seinen Netzwerken und Förderern, leistet ein riesiges Arbeitspensum, agiert diplomatisch und pragmatisch. Walter Gropius wird zum unumschränkten Manager des Bauhauses.
Die Biografie von Polster zeichnet einen äußerst widersprüchlichen Charakter von Gropius, dem der Autor ein „selektives Weltbild“ unterstellt. Gropius und die Frauen, die er liebt und ausnutzt, die ihn anregen und aufregen, sind ein eigenes Buch wert. Gropius und die Giganten seiner Zeit aus Politik, Gesellschaft und vor allem dem brodelnden Kulturleben sind Episoden gewidmet. Gropius wandert 1937 in die USA aus, wird amerikanischer Staatsbürger und Professor in Havard an der berühmten Graduate School of Design. Mit der Bauhaus-Ausstellung 1938 im Museum of Modern Art in New York, mit der ungeheuren Fülle von Bauhaus-Exponaten, macht Walter Gropius das Bauhaus zur globalen Marke.
Nach 1945 besucht er regelmäßig Deutschland, wird mit Preisen und Ehrungen überhäuft. Die Legendenbildung hat längst begonnen, der Mythos Bauhaus lebt. Gropius stirbt am 5. Juli 1969. Sein Tod wird mit einem fröhlichen Fest gefeiert, wie er das wollte.
Der 100. Geburtstag des Bauhauses wird am 5. April in Weimar mit der Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums gefeiert. Das sind ein Ort und Anlass, Fragen zu Leben und Werk von Walter Gropius zu stellen und vielleicht zu beantworten.