Fünf wertvolle Gemälde alter Meister sind 40 Jahre nach dem dreisten Diebstahl aus dem Schlossmuseum in Gotha wieder aufgetaucht. Wo waren sie all die Jahre? Wann werden sie in Gotha wieder zu sehen sein?
Das für heute Abend lange geplante öffentliche Schlossgespräch zu „40 Jahre Gothaer Kunstraub 1979“ fällt aus. Die Stiftung Schloss Friedenstein hofft, die fünf Bilder bald in Gotha zeigen zu können. „Vielleicht im Frühjahr“, gibt sich Stiftungssprecher Marco Karthe zuversichtlich. Bis dahin müssen noch viele Fragen beantwortet werden. Zunächst: Handelt es sich bei den fünf Gemälden überhaupt um jene Bilder, die Originale, die in der Nacht vom 13. zum 14. Dezember 1979 aus dem Schlossmuseum Gotha gestohlen worden sind? Die Untersuchungen laufen in einem Berliner Labor. „Sehr wahrscheinlich“, so Karthe, handelt es sich um die fünf Originale.
Original, Kopie und Werkstattarbeit
Originale? Na ja, da muss man schon differenzieren. Kunstwissenschaftler unterscheiden da sehr genau. Bei dem in dieser Zeitung am vergangenen Sonnabend veröffentlichten „Selbstbildnis mit Sonnenblume“ handelt es sich laut Stiftung Schloss Friedenstein um eine Kopie nach Anthonis van Dyck. Das Original hängt heute in der privaten Sammlung des Duke von Westminster. Bei dem Gemälde „Alter Mann“ von Jan Lievens handelt es sich um eine Rembrandt-Kopie. Das „Brustbild eines unbekannten Herrn mit Hut und Handschuhen“ stammt aus der Werkstatt von Frans Hals, nicht von des Meisters eigener Hand. Die beiden anderen Bilder werden eindeutig Hans Holbein d. Ä. und Jan Brueghel d. Ä. zugeschrieben. Die „Landstraße mit Bauernwagen und Kühen“ von Brueghel ist kunsthistorisch zweifellos das bedeutendste Bild. Es gelangte unter Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg in die Kunstkammer. Das Gemälde des niederländischen Meisters würde auf dem Kunstmarkt vermutlich einen sehr guten Preis erzielen.
Wie viel? Das ist spekulativ. Durch die Öffentlichkeit geistern seit Tagen Millionen-Summen, die angeblich die fünf Bilder auf dem Kunstmarkt erzielen würden. Fakt ist, nach dem größten Kunstdiebstahl zu DDR-Zeiten 1979 in Gotha wurde die Summe von fünf Millionen DDR-Mark in die Welt gesetzt. Ganz schnell wurden daraus 5 Millionen D-Mark. Aktuell spekulieren Medien mit der Summe von 50 Millionen Euro. Dieser spekulative Marktwert steht im Zusammenhang mit Forderungen der anonymen Besitzer, die im Juli 2018 über eine Vertrauensperson der Stiftung Schloss Friedenstein die fünf Bilder angeboten haben.
„Finderlohn“? „Entschädigung“? Rückkauf?
Wir sind an einer „gütlichen Einigung mit den Menschen interessiert, die die Bilder für uns bisher aufbewahrt haben“ betonte Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch gegenüber dem MDR. Kreuch verhandelte als damaliger Stiftungsratsvorsitzender von Schloss Friedenstein 15 Monate lang mit der Vertrauensperson der Besitzer der Bilder. Er mußte die ganze Zeit schweigen, nur beraten durch Martin Hoernle, den Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung. Neben der fachlichen und juristischen Expertise unterstützt diese Stiftung Museen und Sammlungen beim Erwerb verlorengegangener Kunstwerke. Und finanziert auch solche Rückkäufe. Im Fall der fünf Gothaer Gemälde geht es aber höchstens um einen „Finderlohn“ bzw. um eine „Entschädigung“ an die ehemaligen Besitzer. Ein Rückkauf ist ausgeschlossen, weil die Stiftung Schloss Friedenstein die fünf Altmeister-Gemälde weiterhin als ihr Eigentum ansieht. Im besten Fall fließt überhaupt kein Geld und die Bilder hängen künftig im Herzoglichen Museum in Gotha.
Noch ein Umstand in dem Fall lässt staunen. Die Besitzer kannten offenbar die Herkunft der Bilder aus Gotha, weil sie sich gezielt an die Stiftung Schloss Friedenstein wandten und die Gemälde anboten. Und tatsächlich übergab die Vertrauensperson der Besitzer am 30. September die Bilder zur fachlichen Begutachtung an Knut Kreuch, also an den Vertreter der Eigentümer. Die fünf Gemälde werden wohl vorläufig in der Obhut der Stiftung Schloss Friedenstein verbleiben und nicht an die Anbieter zurückgegeben, davon ist auszugehen. Die Stiftung ist der Eigentümer, der dreiste Diebstahl vor 40 Jahren ist eine unwiderlegbare Tatsache. Oder doch nicht?
Wo waren die fünf altmeisterlichen Gemälde die letzten 40 Jahre aufbewahrt? Wer waren 1979 die Diebe? Handelten sie im Auftrag? Wer steckte dahinter? Ob dieser Kunstkrimi jemals erzählt werden kann? Die Provenienz der Bilder, also ihre Herkunft und „Lebensgeschichte“, bietet zuweilen Stoff für Thriller und Spekulationen, vor allem aber für akribische wissenschaftliche Recherchen und Forschungen. Über die über 300 Jahre alten Gothaer Kunstsammlungen gibt es zwei gedruckte Verlustkataloge von 1997 und 2012 sowie laufend aktualisierte Einträge in nationale und internationale Kunstdatenbanken.
Verkauft. Verbrannt. Gestohlen. Kunst als Kompensation.
Die allein im 20. Jahrhundert erlittenen Verluste der Gothaer Kunstsammlungen gehen zurück auf legale Verkäufe, Brand, Diebstahl und „Kunst als Kompensation“ durch die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Münchner Glaspalast verbrannten 1931 drei Gemälde aus Gotha, darunter ein Bild von C. D. Friedrich. Etwa 70 Bilder wurden 1932 versteigert, um aus dem Erlös einen Kapitalstock für die Herzogliche Kunststiftung aufzubauen. Von den so genannten Kriegsverlusten sind 122 Gemälde betroffen, der Hauptteil der Sammlung, darunter 17 Bilder von Cranach. Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass während der amerikanischen Besatzungszeit in Gotha bis zum 2. Juli 1945 Plünderungen stattfanden. Herausragende Gemälde von Rubens und Rembrandt wurden 1945/46 nach Coburg verbracht. Das alles und noch viel mehr recherchierte in über 20-jähriger Forschungsarbeit die ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Schloss Friedenstein, Allmuth Schuttwolf.
Seit 1990 kehrten mehrere Dutzend verlorene Kunstwerke nach Gotha zurück. Die fünf altmeisterlichen Bilder gehören jetzt dazu. Ein Glücksfall. Hoffentlich sind sie bald in Gotha zu sehen.