Von Albrecht Dürer hat wohl jeder Kunstfreund Bilder im Kopf: der Feldhase, das Rasenstück, die betenden Hände. Im Kunsthaus Apolda Avantgarde sind jetzt berühmte Druckgrafiken des herausragenden Künstlers zu sehen.
Er hat eine Kunstepoche geprägt, gilt als ein Superstar, wie im September 2019 eine Dokumentation im ZDF titelte: „Albrecht Dürer Superstar – der erste moderne Künstler?“ In der ZDF-Mediathek und über YouTube kann der 45-Minutenfilm noch geschaut werden. Im Kunsthaus Apolda Avantgarde stellen sie einen Avantgardisten aus, der vor 500 Jahren als Maler und Grafiker neue künstlerische Maßstäbe setzte, die Druckgrafik zu einer eigenständigen künstlerischen Form entwickelte und seine Blätter in großen Auflagen (500 bis 1.000 Stück) geschäftstüchtig vermarktete.
Mit „Albrecht Dürer. Meisterwerke der Renaissance“ eröffnen sie in Apolda das Ausstellungsjahr 2020 in Thüringen mit einer hochkarätigen und vermutlich publikumswirksamen Schau. Aus der Sammlung des Zisterzienserklosters Stift Stams in Tirol (Österreich) kommen die 118 Blätter, die alltägliche, biblische und mythologische Szenen umfassen. Darunter befinden sich die berühmten „Drei Grossen Bücher“ Albrecht Dürers: „Apokalypse“, „Marienleben“ und die „Passion“ Christi. Die von der Kunsthistorikerin Susanne Flesche kuratierte Schau, sie gibt ihr Debüt am Kunsthaus Apolda, ist in elf Themenbereiche gegliedert und gibt einen guten Überblick über das druckgrafische Werk Dürers. Bemerkenswert für die rund 500 Jahre alten und fragilen Papierarbeiten ist die lange, dreimonatige Laufzeit der Ausstellung, verbunden mit strengen Auflagen (Klima, Licht) der Leihgeber.
Albrecht Dürer (1471-1528) lebt in einer Zeit voller Veränderungen, Umbrüche und Entdeckungen. Die Epoche der Renaissance besinnt sich wieder auf die Antike, stellt den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt, ein weltliches und wissenschaftliches Ordnungsprinzip hält Einzug. In seiner Geburtsstadt Nürnberg lernt der junge Dürer in der Werkstatt seines Vaters Goldschmied, legt die Grundlagen für seine handwerkliche Meisterschaft, die seine herausragenden künstlerischen Fähigkeiten begründen. Es folgt eine Ausbildung als Maler bei Michael Wolgemut und eine vierjährige Wanderschaft als Malergeselle, u. a. in Basel, Colmar und Straßburg. Bei zwei Italienreisen lernt er das „Mutterland“ der Renaissance kennen.
Zwischen 1496 und 1498 entsteht der erste große Zyklus „Die Apokalypse“, eine Folge von 15 Holzschnitten, die komplett im Kunthaus Apolda zu sehen ist. Der junge Künstler gestaltet kraftvoll, technisch perfekt und dramatisch-leidenschaftlich die Vision des Johannes aus dem letzten Buch des Neuen Testaments: Naturkatastrophen, Kriege und Seuchen. „Die vier Apokalyptischen Reiter“ sind wohl das berühmteste Blatt aus der Holzschnittfolge. Sie verkörpern Sieg, Krieg, Not und Teuerung. Dieses Bild besitzt eine ungeheure Spannung und Dramatik, eine faszinierende Raum- und Tiefenwirkung. Der Betrachter kann und muss sich in diese Szene hineinversenken. Und ist erschüttert. Das ist große Kunst. „Die Apokalypse“ Dürers assoziiert beim Betrachter unwillkürlich Bilder von aktuellen Kriegen, Krisen und Chaos, vom scheinbar unaufhaltsamen globalen Klimawandel als Weltuntergangsszenario.
„Adam und Eva“ ist ein anderes berühmtes Blatt in der Ausstellung. Sie stehen für Dürers Studien zur Proportions- und Perspektivlehre, mit denen er die Kunst seiner Zeit revolutionierte. Der aufmerksame Betrachter wird in der Ausstellung immer wieder über die Raum- und Tiefenwirkung der Blätter staunen, über das oft vielköpfige „Personal“ in Bewegung und Veränderung, die feine Linienführung , unterschiedliche Schraffuren der Blätter, das Hell und Dunkel. In der Ausstellung werden die verschiedenen Drucktechniken (Holzschnitt, Kupferstich) gut nachvollziehbar erläutert.
Nicht zu übersehen, weil auf einer großen, raumhohen Folie aufgezogen, ist die Kopie der „Ehrenpforte“ Kaiser Maximilians I., die den Stammbaum und die Geschichte der Habsburger verherrlicht. Die ausgekoppelten und im rechten Winkel dazu platzierten 24 Blätter Dürers, ein „autorisierter Nachdruck“ von 1559, erzählen von der Macht des Kaisers, seinen Kriegen und Siegen, von Schlachten und Rebellion, vom Herrscherhaus und seinen Protagonisten. Die „Ehrenpforte“ war das größte Druckwerk seiner Zeit. Die 195 Druckstöcke wurden auf 36 großformatigen Papierbögen gedruckt.
In der Ausstellung begegnet der Kunstfreund weiteren bekannten, ja berühmten Blättern, die er vielleicht bei früheren Ausstellungen in Thüringen (Meiningen 2012, Weimar 2000) schon gesehen hat. Dazu gehören die Meisterstiche „Die Melancholie“, „Herkules“ oder „Ritter und Landsknecht“. Die einstigen Kunstsammlungen zu Weimar, heute zur Klassik-Stiftung gehörend, besitzen ein sehr großes Konvolut von Druckgrafik von Albrecht Dürer: 247 Blätter von 294 registrierten Druckwerken des Meisters. In manchen Thüringer Sammlungen schlummern Schätze, die schon lange nicht mehr öffenlich zu sehen waren.
Die Ausstellung in Apolda mit Dürers spektakulären Druckgrafiken ist unbedingt sehenswert. Sie sollte auch gelesen werden, weil die informativen Texte zu den jeweiligen Blättern das Schauvergnügen noch vergrößern.