Die Klassik Stiftung Weimar will sich noch mehr ihren Besuchern öffnen und sie aktiv einbeziehen. Im Bauhaus-Jahr 2019 besuchten über eine Million Gäste die Museen und Einrichtungen, so viele wie zuletzt im Europäischen Kulturstadtjahr 1999.
Die neue Präsidentin Ulrike Lorenz, seit sechs Monaten im Amt, verkündete gestern tolle Besucherrekorde, aber erst am Ende ihrer Präsentation. Am Beginn der Jahrespressekonferenz der Klassik Stiftung Weimar stand die neue Strategie, die Neuausrichtung oder, wie sie sagte, der „Perspektivwechsel“ der zweitgrößten öffentlich-rechtlichen Kulturstiftung in Deutschland. Ein Schwerpunkt bleibt die Klassik, die Moderne hat mit dem Bauhaus-Jahr 2019 einen enormen Schub bekommen. In diesem Jahr wird „Nietzsche Superstar“ im „Parcours der Moderne“ aufschlagen.
Der Gesellschafts- und Gegenwartsbezug der Stiftung mit all ihren Ressourcen, Sammlungen, Häusern, Parks und Gärten, vor allem mit ihren Mitarbeitern und deren Schaffen, soll deutlich und öffentlich wahrnehmbar einen Schwerpunkt bilden und kommuniziert werden. Ideen, Konzepte, Projekte und deren geplante Umsetzung stellte die Präsidentin gestern vor, die einen weiten inhaltlichen, finanziellen und zeitlichen Horizont bis ins Jahr 2030 umfassen.
Alle Bereiche der Klassik Stiftung „sollen sich wirklich öffnen“, das Publikum an Ausstellungen und Programmen, in den Museen und Häusern beteiligt werden, kündigte Ulrike Lorenz gestern an. Da passiere schon ganz viel, das solle weiter entwickelt und ausgebaut werden. Sie strebe zwischen Besuchern und Stiftung einen „ganz neuen Austausch auf hohem Niveau“ an, eine Verständigung und wechselseitige Kommunikation, um sich verständlich zu machen und zu verstehen.
Im vergangene Jahr, dem 100. Geburtstag des in Weimar gegründeten Bauhauses, hat das offenbar hervorragend funktioniert. Die drei neuen bzw. neu eröffneten Museen besuchten in knapp neun Monaten fast 400.000 Besucher, jeder Sechste kam aus dem Ausland. In alle 19 Häuser zusammen und zu den Veranstaltungen kamen 1.018.323 Gäste. Zwei Häuser sind gegenwärtig geschlossen (Schlossmuseum, Schiller-Museum Bauerbach). Das ist in der Summe fast eine Verdoppelung der Besuchszahlen im Vergleich zu 2018. Hinzu kommen zwei auswärtige Ausstellungen der Klassik Stiftung in Bonn (Goethe) und Paris (Deutsche Romantik) mit zusammen 185.000 Besucher. Ganz nebenbei stiegen die Einnahmen auf mehr als das Doppelte auf fast fünf Millionen Euro.
In diesem Jahr setzt die Klassik Stiftung drei inhaltliche Schwerpunkte: mit Nietzsche und vielen verschiedenen Veranstaltungsformaten, mit einer Kunstausstellung zur Deutschen Romantik und mit den Weimarer Kontroversen, die sich der „Macht der Sprache“ widmen. Helmut Heit, der Leiter des Nietzsche-Kollegs, stellte ein vielfältiges Programm vor um „das faszinierende Scharnier Nietzsche“, gemeint von der Klassik zur Moderne. Eine neue Dauerausstellung im Nietzsche-Archiv, weitere Ausstellungen, künstlerische Installationen und Interventionen, Lesungen und Gespräche, Workshops, Konferenzen und am 120. Todestag, am 25. August 2020, eine Gartenparty. So viel Nietzsche war lange nicht in Weimar präsent.
„Die Macht der Sprache“, eröffnet von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (wir berichteten) lockt große Geister und Redner nach Weimar. Das nächste Gespräch „Ist der Mensch domestizierbar?“ führen am 29. April zwei große, alte Denker: der Philosoph Peter Sloterdijk und der Kulturhistoriker Manfred Osten. Weitere Vorträge, Ausstellungen und ein „Schwarzmarkt des Wissens“ folgen. Die „Deutsche Romantik – Farbe und Linie von Caspar David Friedrich bis Moritz Schwind“ ist die hochkarätige Kunstausstellung des Jahres, die in veränderter Form im vergangenen Jahr sehr erfolgreich in Paris gezeigt wurde.
Die Stiftung ist eine permanente Baustelle. Ulrike Lorenz versteht die beiden großen Infrastrukturobjekte im ganzheitlichen Sinne: von der baulichen Hülle bis zu den Inhalten, die dort präsentiert werden sollen. Das Stadtschloss soll bis spätestens 2030 saniert, eingerichtet und in Etappen eröffnet werden. Die zusätzlichen 50 Millionen Euro des Bundes sollen mit zusätzlichen 50 Millionen des Freistaats kofinanziert werden. Das politische Chaos in Erfurt (die Stiftung hat aktuell keinen Stiftungsratsvorsitzenden, weil es keinen Kulturminister gibt) treibt die Präsidentin schon um. Sie hofft, dass die Vernunft in Erfurt bald siegt. Das andere große Projekt betrifft den Komplex Goethe-Wohnhaus mit Garten und Goethe-Nationalmuseum. Vor allem das Wohnhaus ist dringend sanierungsbedürftig. Auch hier ist ein Gesamtkonzept in Arbeit, Finanzierung und Zeitplan sind noch offen.
Die Klassik Stiftung treibt die Provenienzforschung (Herkunft der Objekte) unter dem Titel „Kulturgutentziehung nach 1945“ weiter voran. Die NS-Zeit ist fast aufgearbeitet. Ein weiterer Schwerpunkt ist die digitale Transformation der Klassik Stiftung: als Forschungseinrichtung mit einer virtuellen Infrastruktu (digitales Labor) sowie als digitale Kommunikation auf vielen Kanälen und Plattformen. Da konnte gestern die Präsidentin beeindruckende Nutzungszahlen präsentieren. Die Online-Besuche auf der neuen Website stiegen 2019 zu 2018 um mehr als das Doppelte auf rund 750.000. Der ambitionierte Blog wurde fast 47.000 mal besucht. Die neue App „Bauhaus+“ ist eine der erfolgsreichsten digitalen Anwendungen in einem deutschen Museum mit fast 42.000 Downloads in neun Monaten. Bei Facebook folgen über 13.300 Freunde. Die anderen Social-Media-Kanäle nutzen Tausende Interessenten.
Die Klassik Stiftung Weimar schrieb 2019 eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Das Jahr 2020 markiert einen Aufbruch in eine neue Zeit.