Geheime Erfurter Museumsperspektiven

Welche Zukunft haben die kommunalen Erfurter Museen?

Da gibt es im jüngsten Amtsblatt (Seite 18) die veröffentlichte Perspektive der Kulturdirektion der Landeshauptstadt Erfurt. Sie bezieht sich auch auf eine Veranstaltung in der Kunsthalle Erfurt und via Livestream zugeschalteten Gästen.

Da gibt es die Drucksache 2155/21 „Auf dem Weg zu einem Museumskonzept“ von fünf Stadtratsfraktionen (SPD, Linke, Grüne, Mehrwertstadt, Bunte) und eine in Details widersprechende Stellungnahme der Stadtverwaltung.

233 Seiten, geheim, 70.000 Euro Steuergeld.

Da gibt es vor allem den Abschlussbericht der Münchener Kulturberatungsgesellschaft actori „Kommunales Museumsentwicklungskonzept für die Stadt Erfurt“ vom Juli 2021, 233 Seiten lang und mit 70.000 Euro aus Steuermitteln bezahlt. Der Bericht unterliegt der „Geheimhaltung“  (Seite 233). Er entstand „in enger Abstimmung mit der Kulturdirektion und ist nicht abschließend“. Es handelt sich um eine „erste grobe Evaluation“ (Seite 17). Einer der beiden Projektleiter ist Dr. Tobias J. Knoblich, Kultur-Beigeordneter der Stadtverwaltung Erfurt (Seite 26).

Nicht öffentlich, nicht unabhängig

Bleibt festzuhalten: Der Abschlussbericht ist mit öffentlichen Mitteln finanziert worden und nicht öffentlich zugänglich. Er ist nicht unabhängig entstanden und nicht abschließend. Die actori GmbH übernimmt „keine Haftung“ (Seite 236) für die gemachten Aussagen und geht davon aus, dass die Daten und Auskünften der städtischen Partner richtig sind. Eine externe, unabhängige Prüfung von Daten und Fakten ist nicht erfolgt.

Eine öffentliche Debatte über die Zukunft der kommunalen Erfurter Museen gibt es bisher nicht. Sie kann es nicht geben, weil grundlegende Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Museen, die den Abschlussbericht von actori kennen müssten, äußern sich öffentlich nicht. Über die Gründe kann spekuliert werden.

Museen, Zoopark, ega-Park, Messe Erfurt und Bibliotheken gehören zu den meistbesuchten Kultureinrichtungen in Erfurt. Erst danach folgt das Theater Erfurt.

Die Museen in Erfurt gehören zu am meisten besuchten Kultureinrichtungen in der Landeshauptstadt, neben dem Thüringer Zoopark und ega-Park, der Messe Erfurt und den städtischen Bibliotheken. Das Theater Erfurt, dem Stadtrat und den Steuerzahlern lieb und teuer, folgt erst danach.

„Stadtrundgang mit Außenbetrachtung“

Zu Einzelheiten aus dem Abschlussbericht von actori, die im Amtsblatt und in der Stadtrats-Drucksache thematisiert werden. Die „Analyse der Erfurter Museumslandschaft ist abgeschlossen“, steht in der zweiten Überschrift im Amtsblatt. Das ist eine glatte Falschinformation, wie mehrfach im Bericht von actori nachzulesen ist (u. a. Seiten 17, 33).

Amtsblatt Erfurt informiert aus Sicht der Stadtverwaltung. Und desinformiert.

„Ergebnisse liegen vor“ (Amtsblatt), die „Geheimhaltung“ wird unterschlagen. Die „Vor-Ort-Besuche“ (Amtsblatt) von actori an zwei Tagen betrafen 13 Häuser und Museumsstandorte sowie einen „Stadtrundgang mit Außenbetrachtung sonstiger Standorte“ (Bericht Seite 21), darunter Alte und Kleine Synagoge, Mikwe, Barfüßerkirche, Neue Mühle. Welche Erkenntnisse konnten die beiden actori-Mitarbeiterinnen dabei gewinnen?

Depot und andere Defizite

Die „kritische Depotsituation“ (Amtsblatt) zu lösen, ist „Vorbedingung für eine nachhaltige Aufstellung der Museumslandschaft“ (Seite 10) in Erfurt. Mehrfach wird der dringende Handlungsbedarf im Bericht (Seite 102ff) betont. Eine Lösung könnte ein Neubau (!) auf dem Petersberg sein, wie der Kulturbeigeordnete Knoblich bei der Veranstaltung in der Kunsthalle Erfurt durchblicken ließ. Die defizitäre bauliche und infrastrukturelle Situation mehrerer Museen wird im Bericht beklagt (Seiten 102, 107) . Das Museum Neue Mühle und der Hohe Chor der Barfüßerruine sind deshalb seit vielen Jahren geschlossen.

Das Technische Museum Neue Mühle ist seit 2016 geschlossen, eine Lösung nicht in Sicht.

Der Hohe Chor der Barfüßerruine könnte für die „überschaubare Summe“ von 500.000 Euro „museumstauglich“ gemacht werden (Bericht Seite 150). Der politische Wille dazu fehlt nach meiner Auffassung. Über Defizite bei Budget und Personalausstattung in den Museen nur so viel: In neun Museen plus neun Nebeneinrichtungen sind 42 Stellen besetzt. In der Kulturdirektion sind 30 Stellen besetzt, darunter 19 Stellen im Kulturmanagement inklusive Marketing und Infrastruktur (Seite 99). Die Stellenzahl in der städtischen Kulturverwaltung dürfte sich in den letzten zehn Jahren mindestens verdoppelt haben.

Neues Museum in der Defensionskaserne

Die Defensionskaserne auf dem Petersberg soll als möglicher künftiger moderner Museumsstandort für ein neues Stadt- und Kulturgeschichtliches Museum erschlossen werden. Das empfiehlt actori unter mehreren Standortszenarien und prognostiziert „sehr hoher Investitionsbedarf“ (u. a. S. 192), ohne Summen zu nennen. Hinzu kämen Kosten für Miete und den laufenden Betrieb. Eine seriöse Kostenschätzung exsistiert nicht. Als die ganze Defensionskaserne mit ca. 10.000 m² Nutzfläche noch für ein Landesmuseum im Gespräch war, wurde unwidersprochen mit 100 Millionen Euro allein für Investition und Erstausstattung gerechnet.

Im Hintergrund links die Defensionskaserne, ein möglicher Museumsstandort.

Der vermeintliche Handlungsdruck auf Stadtverwaltung und Stadtrat steigt, weil bis Ende März 2022 ein Mietvertrag mit dem neuen, privaten Eigentümer der Defensionskaserne über eine Teilnutzung (ca. 3.000 m²) abgeschlossen werden soll. Das sieht eine Option zugunsten der Stadt im Kaufvertrag des neuen Eigentümers vor. Diese Konstellation ist u. a. Gegenstand der eingangs erwähnten Drucksache 2155/21, über die der Stadtrat am 15. Dezember 2021 entscheiden soll.

Zur Kenntnis nehmen

„Der Stadtrat nimmt den Abschlussbericht von actori vom Juli 2021 zur Kenntnis“, steht in der zu beschließenden Drucksache 2155/21. Damit erhält die Stadtverwaltung eine Generalvollmacht für den favorisierten neuen Museumsstandort Defensionskaserne. Die von den fünf Stadtratsfraktionen beantragte Machbarkeitsstudie für ein Stadt- und Kulturgeschichtliches Museum im Haus zum Stockfisch, dem angestammten Standort des Stadtmuseums und im Eigentum der Stadt, wollen CDU-Fraktion und Stadtverwaltung ausdrücklich nicht. Überhaupt nicht zur Diskussion steht der Neubau eines Universalmuseums in Erfurt.

Amtsblatt, Stadtrats-Drucksache, vor allem actori-Bericht: Hier werden viele Details von praktischer Museumsarbeit, Standorten und zum Teil desaströsen Rahmenbedingungen ausgebreitet. Eine überzeugende inhaltliche Idee, eine Erzählung, was Museen in Erfurt für die Bürger und Gäste der Stadt künftig sein und leisten sollen, gibt es (noch?) nicht. Die actori GmbH konnte und wollte das nicht leisten.

Die meisten städtischen Museen bleiben Antworten mit Blick auf ihre Zukunft schuldig. Gibt es aktuelle Museumskonzepte der Häuser? Existieren Sammlungskonzepte? Gibt es aktuelle (analoge, digitale) Bestandskataloge? Welche Rolle spielen Digitalität, moderne Bildung und Vermittlung, Wissenschaft und Forschung? Im actori-Bericht gibt es keine Hinweise und Quellenangaben aus den Häusern auf belastbare Konzepte.

Museen sind für die Menschen da

Die Museen sind für die Menschen da. Freundeskreise und Fördervereine, interessierte Bürger und Museumsbesucher müssen an der Debatte beteiligt werden, eigene Ideen und Vorschläge einbringen können. Der Abschlussbericht von actori muss veröffentlicht und frei zugänglich gemacht werden.

Beginn einer Debatte über die Zukunft der kommunalen Museen in Erfurt, mehr nicht. Kulturbeigeordner Knoblich referiert in der Kunsthalle Erfurt über den actori-Bericht.
Alle Fotos/Screenshots: miplotex.

Es geht um die Zukunft der kommunalen Erfurter Museen, um überzeugende Ideen und Konzepte, um einen Zeithorizont von Jahrzehnten, um Investitionen im zweistelligen Millionenbereich. Dafür lohnt jede Anstrengung.

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