Im Winter 1521/22 übersetzte Martin Luther auf der Wartburg bei Eisenach das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Am authentischen Ort zeigt die Sonderausstellung „Luther übersetzt. Von der Macht der Worte“ historische und moderne Bibeln, inszeniert digitale Sprachspiele, erzählt über eine Medien- und Sprachrevolution, die mit Luthers Namen verbunden ist.
„Wir sind heute alle Übersetzer“, sagt Frau Burghauptmann Franziska Nentwig über den hohen Anspruch des Ausstellungsteams um Grit Jacobs, Übersetzen, Sprache und eine Medienrevolution ausstellen zu wollen. Das gelingt außerordentlich gut, ist sehr sehenswert und informativ. Es muss und darf viel gelesen werden, aber alle Sinne werden angesprochen. Besucher dürfen in modernen Bibeln blättern, digitale und analoge Spiele testen, selbst das Titelblatt der berühmten Wartburgbibel nachdrucken.
Die neue Sonderausstellung knüpft nahtlos an die Schau vom letzen Jahr an, als „Luther im Exil. Wartburgalltag 1521“ das 500. Jubiläum seines Wartburg-Aufenthaltes thematisierte. Das Thüringer Themenjahr der Touristiker lautet 2022 „Welt übersetzen“. Die Wartburg mit der Lutherstube ist der authentische Ort, wo Weltgeschichte geschrieben wurde.
Der Ausstellungsrundgang beginnt am Palaseingang und führt durch die Dauerausstellung. Mit sogenannten Interventionen wird auf Luthers Übersetzung 1521/22 aufmerksam gemacht. Da konnte sogar noch ein neuer Luther-Kopf im Depot „ausgegraben“ werden, eine leicht lädierte Büste aus dem 19. Jahrhundert mit Luther als Junker Jörg. Sie wurde offenbar in den 1950er-Jahren, wie viele andere Objekte auch, aus der Lutherstube entfernt, berichtet Grit Jacobs. So sind immer wieder einzelne Objekte im Wartburg-Rundgang gekennzeichnet, die einen Bezug zu ihm als Bibel-Übersetzer herstellen können.
Im Sonderausstellungsraum dominieren mehrere historische Handschriften und Bibeln den ersten Blick. Über „Das Newe Testament Deutzsch“, das sogenannte Septembertestament von 1522, sind die Ausstellungsmacher besonders glücklich. Dieser Erstdruck der Luther-Übersetzung aus dem Bestand der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena erschien am 21. September 1522 in einer Auflage von 3.000 Exemplaren rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse, war rasch ausverkauft. Bereits im Dezember 1522 folgte eine zweite Auflage. Die Bibel war und ist ein Weltbestseller bis heute.
Bei einem kurzen Besuch im Dezember 1521 in Wittenberg wurde Luther vermutlich von seinem Freund Melanchthon angeregt, die Bibel ins Deutsche zu übertragen. In nur elf Wochen übersetzte er den griechischen Urtext ins Deutsche, nur ausgestattet mit seinem Kopf und Verstand, Feder, Tinte und Papier. Er orientierte sich an der zeitgenössischen Sprache der einfachen Leute. Sie sollten die Bibel verstehen. Melanchthon prüfte und redigierte die Übersetzung Luthers. Ob und wie er eingriff in die Übersetzung, ist unbekannt, weil das Urmanuskript nicht mehr existiert.
Die Lutherstube liegt am Ende des empfohlenen Rundganges, der authentische und magische Ort auf der Wartburg überhaupt. Da fliegt kein Tintenfass, aber die Manuskriptseiten auf dem Schreibtisch werden wie von Geisterhand umgeblättert. Als ob der einsame Übersetzer gerade am Werk ist.
An Bibelübersetzungen wurde über die Jahrhunderte immer wieder gefeilt, gestritten, revidiert, neu formuliert und interpretiert. In der Sonderausstellung werden Einzelfälle vorgestellt. Die Bibelrevision von 1975 war mit einer scharfen Kontroverse verbunden. „Mord an Luther?“ lautet eine Schlagzeile in der Ausstellung. Der berühmte Sprachforscher Walter Jens setzte ein fettes Ausrufezeichen hinter Luther und die überarbeitete Bibelfassung.
Da finden sich auch skurrile Formulierungen. Wer weiß, was ein Scheffel ist? In der Ausstellung ist einer an der Wand platziert, daneben ein Eimer. Die strittige Bibelübersetzung, „das Licht nicht unter den Scheffel stellen“ wurde revidiert, „unter den Eimer stellen“. Die Revision des Neuen Testaments von 1975 hatte ihren Spottnamen weg, „Eimertestament“. Schon 1977 wurde alles zurückgenommen, der „Eimer in die Tonne gehauen.“
Heftige Sprach- und Übersetzungskonflikte reichen bis in die Gegenwart. Ein Beispiel in der Ausstellung: Amanda Gorman trug zur Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten Joe Biden am 20. Januar 2021 ein Gedicht vor, das sie weltberühmt machte. Aber wer durfte den Text in andere Sprachen übersetzen? Das Gedicht könne doch nur von einer jungen, schwarzen Frau und Aktivistin übersetzt werden. Ist das dem Zeitgeist geschuldet? Was steckt noch dahinter? Die „Ausstellungssprache“ und der Rundgang mit den Kuratoren zeigte ebenfalls „Unsicherheiten“. Da ist zu lesen und zu hören von „Übersetzenden“, „Übersetzungsperson“, „Übersetzer“ und „Übersetzerinnen und Übersetzer“. Irgendwo klang auch das stark betonte Binnen-I durch den Raum.
Geh drucken! Eine nachgebaute historische Druckmaschine produziert das Titelblatt der Wartburgbibel. Ringsherum erzählt die Ausstellung 500 Jahre Mediengeschichte. Geh spielen! In einer Übersetzungswerkstatt im historischen Gewölbekeller können neun analoge und vor allem digitale Spiele ausprobiert werden. Das ist eine Lust, mit Sprichworten, Euphemismen (Was ist das gleich?) und Word Invaders (Schon gehört?) zu spielen. Ob Martin Luther da mitgespielt und übersetzt hätte?
Sonderausstellung bis 6. November 2022 täglich
geöffnet 09:00-17:00 Uhr | www.wartburg.de
Begleitpublikation mit Essays und Abbildungen aller Exponate, 192 Seiten, 15 Euro
Korrespondierend erscheint eine zweite Auflage des Katalogs der Sonderausstellung von 2021 „Luther im Exil. Wartburgalltag 1521“