Alleingelassen. Rausgeworfen | Theater Erfurt Update 4

Sie kämpft vor dem Arbeitsgericht um ihren Job als Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Erfurt. Er kämpft um seinen Job als Oberbürgermeister der Stadt, der wiedergewählt werden will. Die Erfolgsaussichten sind für Beide, nun ja, unklar.

Er als Dienstvorgesetzter hat sie als herausgehobene Mitarbeiterin der Stadtverwaltung im Spätherbst 2023 wegen vermeintlicher Dienstvergehen im Amt rausgeworfen, pardon, entlassen. Gleich drei Mal gekündigt. Es muss ja alles seinen bürokratischen Gang gehen.

Zur Erinnerung: Mary-Ellen Witzmann hat den „Erfurter Theaterskandal“ öffentlich gemacht. Darüber habe ich ausführlich berichtet, ebenso über das Umfeld. Der Skandal schlägt in der Kultur- und Theaterbranche und unter Gleichstellungsbeauftragten bundesweit hohe Wellen.

Mary-Ellen Witzmann und ihre Anwälte vor dem Arbeitsgericht Erfurt.

Der Reihe nach. Mary-Ellen Witzmann, ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, klagt vor dem Arbeitsgericht Erfurt auf Wiedereinstellung. Oberbürgermeister Andreas Bausewein, der sie rausgeworfen hat, will sie nicht mehr im Rathaus beschäftigen. „Es geht um ein Arbeitsverhältnis“, stellt die Vorsitzende Richterin am Arbeitsgericht Erfurt klar.

Die juristische Lage des Falles ist komplex und kompliziert. Die Richterin zitiert das Klischee von drei Juristen und drei Meinungen. Für mich als Nicht-Juristen und Journalisten mit diverser Medien- und Menschenerfahrung sind Nebensätze und Nebengeräusche während der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht von besonderem Interesse.

Mary-Ellen Witzmann schildert die Lage im Sommer 2023. Vertraulicher Anruf einer Künstlerin des Theaters Erfurt. Da schildert eine Betroffene sexuelle Übergriffe, Macht- und Machogehabe. Die Gleichstellungsbeauftragte ist die Einzige in der Stadtverwaltung für solche Fälle und Konflikte. Es gibt zu der Zeit keine weitere Mitarbeiterin in ihrem Amtsbereich, mit der sie sich beraten kann. Sie ist völlig überlastet und, so habe ich den Eindruck, auch ein Stück überfordert, mit dieser Ausnahmesituation im Theater und in ihrem unterbesetzten Amt umzugehen.

Hilferufe an die Gleichstellungsbeauftragte von Künstlerinnen aus dem Theater Erfurt.

Nächster vertraulicher Anruf einer Theatermitarbeiterin, ein Hilferuf. Unternehmen Sie was, das ist hier nicht mehr zum Aushalten. Mary-Ellen Witzmann telefoniert vertraulich mit dem Kulturbeigeordneten der Stadt Tobias Knoblich, schildert die dramatische Situation, ohne vertrauliche Informationen, vor allem Namen von Betroffenen, preiszugeben. Knoblich will einen schriftlichen Bericht mit Fakten und Namen. Den kann und will Witzmann nicht liefern, denn das Einverständnis von Betroffenen aus dem Theater liegt nicht vor. Oberbürgermeister Bausewein wird auch vertraulich informiert.

Mary-Ellen Witzmann führt Tage später ein persönliches Gespräch mit Theater-Generalintendant Guy Montavon. Darüber gibt es ein Protokoll. Sie sagt vor dem Arbeitsgericht nichts über Inhalt und Atmosphäre des Gesprächs. Es vergehen Tage und Wochen. Ende August 2023 ein Gespräch mit Oberbürgermeister Bausewein. Der besteht auf einem Bericht mit Fristsetzung. Witzmann bekommt keine Freigabe von Betroffenen der mutmaßlichen Übergriffe. Sie kann also nichts liefern.

Dann gibt es eine weitere Erzählung. Die Lokalzeitung bekommt, vermutlich aus dem Theater, einen Tipp. Eine Betroffene will mit Namen und Fakten auspacken. Es kommt zu einem Gespräch mit dem verantwortlichen Redakteur, mutmaßt der Anwalt von Frau Witzmann vor dem Arbeitsgericht. Ein Bericht oder dergleichen wird nicht veröffentlicht. Dafür erreicht eine Anfrage des Redakteurs direkt die Gleichstellungsbeauftragte. Die Fragen machen deutlich, sagt Witzmann vor dem Gericht, dass der Redakteur über vertrauliche Informationen und Fakten verfügt. Wie soll sie mit dieser Medienanfrage umgehen?

Jetzt kommt der Teil, über den vor dem Arbeitsgericht Erfurt gestritten wird. Darf eine Gleichstellungsbeauftragte mit Medienmenschen reden, eigenständig und unabhängig von der Pressestelle der Stadtverwaltung Informationen weitergeben? Die Stadt sagt, das geht gar nicht. Frau Witzmanns Anwälte sagen, ja, das geht.

Mary-Ellen Witzmann gibt im März 2023 der Lokalzeitung ein langes Interview zu ihren Aufgaben als damalige amtierende Gleichstellungsbeauftragte der Stadtverwaltung Erfurt. Sie sagt u. a.: „Wenn ich komme, freuen sich nicht alle. In den vergangenen zehn Jahren habe ich lernen müssen, dass nicht jeder versteht, wozu es eine Gleichstellungsbeauftragte braucht. Herumgesprochen hat sich mittlerweile, dass ich auf Grundlage des Thüringer Gleichstellungsgesetzes arbeite. Ich bin die Einzige in der Stadtverwaltung Erfurt, die von Weisungen frei ist. Ich habe ein Klagerecht und könnte beispielsweise beim Oberbürgermeister Veränderungen einfordern. Man wird mich nicht los.

Ist dieses Interview vor Erscheinen vom Oberbürgermeister freigegeben worden?

Im September und Oktober 2023 folgen weitere Medienanfragen, die auf interne Informationen des Redakteurs schließen lassen. Mary-Ellen Witzmann antwortet der Lokalzeitung. Daraus zitiert die Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung vom 23. Oktober 2023. Mary-Ellen Witzmann schreibt von einem „nachhaltig etablierten System (im Theater), in dem Vorgesetzte das weibliche Personal scheinbar selbstverständlich mit Verhaltensweisen konfrontieren, die als grobe Verletzung der sexuellen Integrität empfunden werden …“ Der Stadtverwaltung als Rechtsträger des Theaters macht sie schwere Vorwürfe, sie sei seit Jahren untätig in der Sache.

„Es geht um ein Arbeitsverhältnis“ vor dem Arbeitsgericht Erfurt. Alle Fotos: miplotex

Am 23. Oktober 2023 „ist das Fass übergelaufen“, sagt die Rechtsanwältin, die die Stadtverwaltung Erfurt vor dem Arbeitsgericht vertritt. Da erscheint in der Lokalzeitung ein zweiter Beitrag zum „Theaterskandal“. An dem Tag erhält Mary-Ellen Witzmann die erste ihrer drei Kündigungen. So schnell geht das, wenn es sein muss, mit dem Rauswurf der Gleichstellungsbeauftragten Mary-Ellen Witzmann durch die Stadtverwaltung und Oberbürgermeister Bausewein.

Der mit schweren Vorwürfen konfrontierte Generalintendant des Theaters ist seit 1. Februar 2024 freigestellt und erhält seine vollen Bezüge. Der Stadtrat Erfurt verhindert, dass Montavon mit einer von Bausewein bereits unterschriebenen Aufhebungsvereinbarung juristisch entlastet und finanziell großzügig abgefunden wird.

Oberbürgermeister Bausewein kämpft aktuell auch um seinen Job, um Wählerstimmen am 26. Mai 2024. Erfurter Bürger können frei entscheiden, ob sie Bauseweins „Vertrag“ als OB verlängern wollen. Ausgang offen.

Mary-Ellen Witzmann muss befürchten, dass sie juristisch am 12. Juni 2024 vor dem Arbeitsgericht Erfurt endgültig ihren Job verliert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

+ 22 = 31

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.