Drei Stunden im Irrenhaus verbracht. Sie brüllen, kreischen, johlen und lassen die Hosen runter. Auf der Interimsbühne des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Notizen über einen Alptraum nach Shakespeare.
Vorspiel vor der Premiere. Der Intendant redet und dankt und dankt und dankt. Und ab. Gefühlte 15 Minuten Monolog. Die Interimsbühne Redoute des DNT Weimar an der Straße zum Ettersberg ist binnen 100 Tagen für vier Millionen Euro theatertauglich gemacht worden. Für 100 Tage wird sie jetzt öffentlich bespielt, dann Probebühne. Das Weimarer Staatstheater ist dem Freistaat Thüringen lieb und teuer.
Shakespeare ist seit 400 Jahren tot. Der dritte Weimarer Klassiker, er steht abseits im Ilmpark auf dem Sockel, wird gefleddert. Er kann sich nicht mehr wehren. „Ein Sommernachtstraum“, seine populärste und „tieftragische Komödie“ spielt in drei Welten. Der Weimarer HausregisseurJan Neumann erfindet noch zwei Parallelwelten hinzu. Und eine dritte, die Parallelwelt des Schreiberlings dieser Zeilen.
Das klingt verwirrend. Und ist es auch. Shakespeares Traum, Wald und Wirklichkeit treffen auf Weimarer Schauspieler und Publikum. Und eine Minderheit im Parkett, die sich im falschen Film wähnt.
Sie sitzen auf der Bühne am Tisch, wo gerade noch der Intendant monologisierte. Leseprobe der Schauspieler, das Textbuch in der Hand. Sie spielen sich selbst, sprechen und laufen sich warm. Wie auf einer richtigen Probe. Nur, es ist Premiere. Alle sind sie irgendwie genervt. Der den Oberon (und noch andere) spielt, Sebastian Kowski, flüchtet von der Truppe. Er sucht das Weite. Das ist glaubwürdig. Über den ganzen Abend distanziert er sich räumlich und mental von dieser Krawalltruppe.
Der erste Running Gag heizt die Stimmung auf der Bühne und im Parkett an. Der arme Schlucker, Christoph Heckel, muss permanent schlucken, immer an der richtigen, falschen Stelle. Ach ja. Shakespeares Text irrlichtert immer wieder auf, wie Puck, Friedolin Sandmeyer, der Minuten vor Premierenbeginn noch ernsthaft im Parkett mit Bekannten plaudert. Auch so verschieben sich Realitäten.
„Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare, übersetzt von Frank Günther, ist als gesprochener Text rational gerade noch erkennbar. Wenn man den Plot kennt oder das Stück gelesen hat. In Weimar ist das der Steinbruch für den Regisseur, wo er sich bedient. Oder ganz böse formuliert, wo er die 400 Jahre alte Leiche fleddert.
Der Regisseur vertraut auf die Macht medialer Bilder, Reflexe und Moden. Dem originären Zauber des Theaters vertraut er nicht. Die Schauspieler unterwerfen sich dem einfallslosen Regisseur. Sie toben, brüllen, turnen, schreien, kreischen, johlen, stöhnen. Sie spielen Verwirrte, Verirrte, Verrückte. Sie versuchen sich im Breakdance und Musik zu spielen, was sie technisch und handwerklich nicht so richtig können.
Das sind ein tumber Spaß, fauler Zauber, Blödeleien aus der untersten Schublade. Drei Stunden lang. Das grenzt an Psychoterror. Das Publikum wird geschickt manipuliert. Warum fliehe ich nicht spätestens in der Pause aus dieser Irrenanstalt? Weil ich selbst schon wahnsinnig geworden bin?
Letzte notwendige Notiz. Der nackte Arsch, die wackelnden Pobacken auf der Bühne lassen meine mittelalte, wohlgenährte Nachbarin im Parkett orgiastisch kreischen. Und nicht nur sie allein. Das ist des Pudels Kern, was die Welt im Innersten zusammenhält. In Weimar im Parkett an diesem Abend in der Redoute, die ein Tollhaus ist. Das ist eine Parallelwelt, ein Kreischen, Schreien und Klatschen im Takt hunderter Hände. Ende eines Premierenabends mit Schrecken.
Der Rest ist Schweigen.
Den Text habe ich am Vormittag nach der Premiere geschrieben. Erstmals veröffentlicht am 20. April im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort und auf der Website insuedthueringen.de