Sammelsurium moderner Kunst

Die Ausstellung in der Kunstsammlung Jena vermittelt Bezüge zwischen der legendären Berliner STURM-Bewegung, dem Bauhaus und der städtischen Kunstförderung vor 100 Jahren. Die Vielfalt der Kunstwerke dominiert.

Werbebanner vor blauem Horizont.

Der Jenaer Kurator Erik Stephan ist froh, im Bauhaus-Jahr 2019 noch die eine oder andere Leihgabe aus deutschen und europäischen Museen und Sammlungen bekommen zu haben. Seine Ausstellung ist sehr ambitioniert. Er will ein Netzwerk europäischer Kunstentwicklungen und -förderung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts freilegen, dabei Berlin, Bauhaus und Jena in einen Kontext bringen. Das gelingt und doch nicht so, wie es vielleicht unter anderen zeitlichen und finanziellen Bedingungen möglich gewesen wäre.

Blick in die Ausstellung, vorn rechts das „Porträt Eberhard Grisebach“ von E. L. Kirchner.

Die Ausstellung „Das stärkste, was Morgen heute bietet. Der Sturm in Jena“ greift ein Urteil von Herwarth Walden über die Kunst von Wassily Kandinsky auf. Der ist in der Jenaer Ausstellung gar nicht vertreten, aber Waldens Programmatik soll mit dem Zitat deutlich werden. 33 Künstler versammelt die Schau, darunter Klassiker der modernen Kunst , u. a. sieben Bauhaus-Meister. Zu sehen sind ca. 140 Werke: Gemälde, vor allem Zeichnungen und Druckgrafik, einige Skulpturen und Architektur-Modelle. Die Vielfalt der Kunstile und -strömungen vor 100 Jahren dominiert. Erik Stephan benutzt selbst den Begriff „Sammelsurium“ für eine Ausstellung, die er unter großen Kraftanstrengungen konzipiert und organisiert hat. Der Katalog wird erst Ende September erscheinen können.

Herwarth Walden (1878-1941) ist das Pseudonym für einen legendären Berliner Schriftsteller, Verleger, Galeristen, Musiker und Komponisten. 1912 gründet er die Sturm-Galerie in Berlin mit einer Wanderausstellung der Münchener Künstlergruppe „Blauer Reiter“.  Die Zeitschrift „Der Sturm“ erscheint bereits seit 1910. Waldens „Blatt der Unabhängigen“ und die Galerie fördern in stürmischen Zeiten gesellschaftlicher Brüche und Umwälzungen nach Kräften die moderne Kunst und Künstler. Die STURM-Bewegung strahlt von Berlin weit aus nach Deutschland und Europa, verbindet Künstler, organisiert Ausstellungen, auch jenseits der Metropolen. Walden entwickelt sich zum Förderer der künstlerischen Avantgarde jener Jahre.

Ausstellungsplakat von 1924.

Bereits 1918 findet ein erstes Gastspiel der Galerie „Der Sturm in Jena“ mit überwiegend grafischen Arbeiten statt, darunter von Heinrich Campendonk, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Fritz Stuckenberg und William Wauer. Diese Künstler sind in der aktuellen Jenaer Ausstellung wieder vertreten, wenn auch mit anderen Arbeiten. Denn es geht nicht um eine Rekonstruktion, sondern um das Netzwerk und die Vielfalt der modernen Kunstentwicklung der damaligen Zeit. 1924 folgt in Jena eine weitere, diesmal große Ausstellung mit 26 Künstlern „Der Sturm – Gesamtschau“ , beide organisiert vom Leiter des Jenaer Kunstvereins Walter Dechsel. Er pflegt eine freundschaftliche Verbindung zu Walden und den Künstlern, stellt sie regelmäßig in Jena aus.

In diesen kunsthistorischen Kontext ist die aktuelle Jenaer Ausstellung einzuordnen inklusive der Bezüge zum Bauhaus, einer anderen avantgardistischen Strömung und Schule moderner Kunstentwicklung. Die expressive Farbigkeit der Gemälde und Aquarelle , eine überschäumende Phantasie und Gestaltung, filigrane Linien und abstrakte Formen, mystische und realistische Motive ziehen die Blicke der Betrachter an. Der Kurator versteht es gut, singuläre Kunstwerke in der Ausstellung so als Blickfang zu platzieren. Dazu gehören von August Macke „Landschaft mit Kühen und Kamel“ (1914), eine scheinbar paradiesische Gegend,  Erich Heckels „Gelbe Segel“ (1913) und das „Porträt Eberhard Grisebach“ von Ernst Ludwig Kirchner, beide Gemälde aus dem eigenen Bestand. Oskar Kokoschkas Farblithografie „Der Sturm / Neue Nummer Deutsches Reich“ (1911) eröffnet den Rundgang durch die Ausstellung. Von Walter Dechsel stammen zahlreiche Werbegrafiken für Ausstellungen, Einladungskarten und Buchdrucke, auch einige künstlerische Arbeiten. Das ist wohl eine Verbeugung vor dem Förderer moderner Kunst in Jena.

Kurator Erik Stephan im stillen Dialog in seiner Ausstellung.

Überraschend, weil einem breiten Publikum weniger bekannt, sind die expressiven Bilder von Friedrich Karl Gotsch, ausgeliehen in Genf, der mit kräftigem Farbduktus bewegte Szenen, Interieur und Porträt auf die Leinwand malt. Aus der gleichen Sammlung stammen Gemälde von André Lhote, der mit seinen Bildern stilistisch in die Nähe zum Kubismus rückt. Jean Metzinger ist der Dritte aus der Genfer Sammlung, dessen Malweise als abstrakt geometrisch beschrieben werden kann.

Die Bauhaus-Künstler sind in der Regel mit kleineren Arbeiten auf Papier vertreten: Lyonel Feininger, Johannes Itten, Paul Klee, Gerhard Marcks und Lásló Moholy-Nagy. Von Bauhaus-Gründer Walter Gropius und seinem Architekten Adolf Meyer werden drei Modelle ausgestellt: die Villa für Walter Dechsel (nicht ausgeführt), das noch heute bewohnte Haus Auerbach in Jena (darüber ist 2019 sehr viel veröffentlicht worden) und ein 3D-Modell (von 2009) des ehemaligen Stadttheaters Jena.

Der Besucher kann in der Ausstellung in Jena in diese Umbruchzeit, die modernen Kunstströmungen und -stile eintauchen, künstlerische Vielfalt dominiert. Das ist ein Gewinn an sich.

geöffnet bis 17.11.2019
Di|Mi|Fr 10-17 Uhr
Do 15-22 Uhr
Sa|So 11-18 Uhr

Der Text erschien zuerst in der Tageszeitung Freies Wort.
Fotos / Screenshot: miplotex

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