Weimar feiert in diesen Tagen Kunst- und Geburtstagsfeste, den Weltgeist und Goethe. Kleingeister sprechen öffentlich Denkverbote aus. Weimarer Widersprüche.
Am Denkmal liegen Kränze. Bratwurstduft liegt in der Luft. Vor dem Goethe-Wohnhaus und Museum trinkt das Volk Wein ohne Ende. Kunst und Gespräche im Ilm-Park, auch Wein und Bratwurst. Im Nationaltheater läuft eine Inszenierung der ganz anderen Art über das Erben und einen Generationenkonflikt. Episoden am 266. Geburtstag Goethes in Weimar – mit Vor- und Nachspiel.
Es ist wie immer und doch anders am 28. August, den Tagen davor und danach. Weimar im Ausnahmezustand. Das Kunstfest stellt Menschen im öffentlichen Raum aus, eine bizarre Freakshow. Der Geburtstag Goethes wird weltweit und in Weimar gefeiert, im Netz geklickt und getrunken wird sowieso darauf. Ausgestellt werden „Reisenotizen“: Goethe-Zeichnungen u. a. über den Thüringer Wald und den Hermannstein bei Ilmenau mit wunderbaren Fotos von Barbara Klemm. Der Bauhaus-Künstler Max Nehrling wird im Haus am Horn vorgestellt. Der Besucher erfährt, Nehrling gründete vor 100 Jahren eine Künstlerkolonie in der Thüringischen Rhön.
Eigentlich geht es um Weimar und sein Selbstbild in der kleinen und großen Welt. Da passt es, dass der Geist der Geschichte am Vorabend des Goethe-Geburtstages vorbeischaut. Neil MacGregor beschwört ihn. Wort- und bilderstark, ernsthaft und ironisch beschreibt der Historiker und Chef des British Museum in London das europäische Paradoxon in Weimar. Dafür stehen Goethe, das Bauhaus und Buchenwald. Da müssen Fragen gestellt werden, auf die es keine Antworten gibt. Neil MacGregor wird im Herzen von Berlin das Humboldt-Forum einrichten, „wo man über die ganze Welt nachdenken kann.“
Nachdenklich stimmen dieser Tage Weimarer Zwischen- und Mißtöne, wenn es um das Theater der Stadt geht, dem Goethe einst vorstand. Der Oberbürgermeister und ein Opernsänger sprechen öffentlich Denkverbote über die Zukunft der Opernsparte aus. Alles soll so bleiben wie es ist. Diese Inszenierung beginnt gerade.
Die Rituale zu Goethes Geburtstagsfeier ändern sich und auch nicht. Seit ein paar Jahren feiern Verehrer, Freunde, Familien mit Kindern und Weimar-Gäste im Ilm-Park ein fröhliches Fest mit Musik, Theater, Wein und Bratwurst. Die exklusive Feier in Goethes Garten am Wohnhaus im kleinen Kreis für großes Geld ist passé. Vor dem Wohnhaus aber tobt das Volk, hier ist sein wahrer Himmel. Das traditionelle Weinfest am Frauenplan ist die große Bühne. Hier treffen sich die Menschen, feiern und trinken auf Goethe.
Ach ja, da stellt am späten Geburtstagsabend das Performance-Kollektiv „She She Pop“ im Nationaltheater mit „Testament“ die Generationenfrage. Loslassen am Ende eines Arbeitslebens, eines Lebensabschnittes. Shakespeares „König Lear“ ist die Folie dafür. Tolles Schauspiel vor einer überschaubaren Zahl von Zuschauern. Noch so ein Weimarer Widerspruch.
Der Text erschien am 31.08.2015 im Feuilleton der Tageszeitung Freies Wort.