Es reicht – schon lange nicht mehr

Kulturpolitik spielt im Thüringer Landtagswahlkampf so gut wie keine Rolle. Auf der „Baustelle Kultur“ im Presseklub Erfurt improvisieren ein Polier und vier Politiker ein heiter-trauriges Theaterstück.

Auf der Baustelle Kultur werden knitterfreie Helme getragen.

Die Bühne ist eine Kulturbaustelle. Auf gestapelten leeren Bierkästen, weich gepolstert, sitzen vier Kulturpolitikerinnen und -politiker. Sie tragen knitterfreie Bauhelme, es könnten ja ein paar harte Brocken auf ihre Häupter hernieder prasseln. Die einmalige Theateraufführung trägt den Titel „Vorsicht, Baustelle Kultur!“, ein kulturpolitisches Wahl-Spezial zur bevorstehenden Landtagswahl in Thüringen. Gastgeber ist die Landesarbeitsgemeinschaft LAG Soziokultur Thüringen.

Polier Icke Bodenski vom THEATERfahrendesVOLK führt das große Wort, vemengt in seinen Fragen und Kommentaren fröhlich und freizügig Dichtung und Wahrheit. „Gibt es Kultur in Suhl?“, provoziert er die SPD-Landtagsabgeordnete Diana Lehmann. In Suhl gibt’s ´ne richtige Kulturbaustelle, wo Kultur zu Hause ist, antwortet sie schlagfertig. Und fügt hinzu, wem das Programm dort nicht gefällt, der geht ins gegenüberliegende CCS (steht für Congress Centrum Suhl) zu Florian Silbereisen. Schon ist die Frage einigermaßen geklärt, was alles zur Kultur gehört.

Vor allem Theater gehört an erster Stelle dazu. Schon plaudern die fünf von der Baustelle Kultur über Theater. Jörg Kellner, kulturpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und einziger Oppositioneller in dieser Runde, freut sich über das sichere, solide finanzierte Fundament der Thüringer Theater und Orchester. Stimmt, da ist in den vergangenen fünf Jahren ganz viel passiert, sind Millionen von Euro zusätzlich aus Landeskassen geflossen. Trotzdem wollten große Theater in der Mitte Thüringens nichts von struktureller Kooperation wissen. Diese Geschichte wird schlicht nicht erzählt und reflektiert.

Gleich sprühen die Funken. Ein Kurzschluss.

Endlich knallt es auf der Bühne. Ein Kurzschluss, die Funken sprühen. Jetzt kommt die Soziokultur zu Wort. Die fordert doch tatsächlich von der Landeskulturpolitik, dass sich da was ändern müsse. Sie fordern, ganz bescheiden, wie sie sind, eine Million Euro für ein Sofortprogramm „Bau und Investition“ für soziokulturelle Einrichtungen über zwei Jahre. Sie fordern eine halbe Million Euro als Strukturförderhilfe für soziokulturelle Zentren in ländlichen Räumen. Sie fordern, die Personalförderprogramme des Landes neu auszurichten. Sie fordern, die Zuwendungspraxis, also wie Geld verteilt wird, zu modernisieren. Steht alles im fünfseitigen Forderungskatalog, überzeugend und nachvollziehbar begründet. Die LAG Soziokultur vertritt 80 Verbände, Vereine und Stiftungen und schlußfolgert: Es reicht – nicht! Der Stau an Investitionen und Problemen aller Art muss aufgelöst werden.

So differenziert und eindeutig formuliert wie im Forderungspapier kommt das auf der Baustellenbühne natürlich nicht zur Sprache. Das wäre viel zu kompliziert und würde das Publikum vermutlich langweilen. Steffen Dittes von der Partei Die Linke, kein Kulturpolitiker, erklärt auf der Bühne wunderbar die verwirrenden Wege der Kultur- und überhaupt Förderpolitik des Landes. Das ersparen wir uns hier. Fakt ist, da fehlt es zu oft an Transparenz, an nachvollziehbaren Förderkriterien, an überzeugenden Begründungen, warum wer mit wie viel Steuergeld gefördert wird. Oder auch nicht.

Polier und Politikerinnen auf der Bühnenbaustelle:
Steffen Dittes, Diana Lehmann, Icke Bodenski, Jörg Kellner, Madleine Henfling (v.l.n.r.).

Auf eine andere Baustelle macht die Kulturpolitikerin Madleine Henfling (Bündnis 90/Die Grünen) aufmerksam. Die liegt in den Landkreisen und Kommunen. Kommen Geldströme des Landes, Stichworte Kulturlastenausgleich und Kommunaler Finanzausgleich, bei den Kulturakteuren und -institutionen vor Ort überhaupt an? Da sind arge Zweifel angebracht. Frau Henfling meint auch, Kultur solle nicht nur Beton fördern, also in Kulturbauten investieren, sondern auch in „Kulturkümmerer“, in Menschen, und in nachhaltige Kulturstrukturen. Steht auch irgendwo in den Forderungen der Soziokultur.

Das hybride Theaterstück, Komödie und Tragögie, ist nach zwei Stunden vorbei. Ob der eine Abend nachwirkt? Von anderen Kulturakteuren in Thüringen, vom Kulturrat und von Kulturverbänden, ist nichts zu hören oder zu lesen, welche Forderungen sie an die Kulturpolitik im Vorfeld der Landtagswahlen stellen. Vielleicht sind die alle glücklich.

Der gedruckte Text in der Tageszeitung Freies Wort. Fotos/Screenshot: miplotex

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