Lachende Kuh kollidiert mit Corona

Was für eine überbordende Fülle und Vielfalt an Objekten, ästhetisch verführerischen Motiven und Ansichten. Kein Besucher kann sie im Schlossmuseum Arnstadt vorläufig sehen. Das Corona-Virus kam, als die Sonderausstellung öffnen sollte.

Zwei Jahre haben der Sammler Christian Hühn  und das Schlossmuseum Arnstadt die Sonderausstellung „Reklame – Kunst verkauft. Werbung und Verpackung von 1900 bis 1930“ vorbereitet. Sie ist aufgebaut, das Begleitprogramm organisiert, der Katalog gedruckt, Gäste aus nah und fern haben sich zur Eröffnung angesagt. Die Vernissage am 21. März fällt aus. Das Virus wütet. Alle öffentlichen Veranstaltungen in Thüringen sind abgesagt. Der Sammler Christian Hühn erlebt einen emotionalen Tiefschlag. „Das war ganz schlimm, wie bei einem schweren Unfall“, erzählt er am Telefon. Rational versteht er die behördlichen Anordnungen. Gesundheit geht vor Genuss von Kultur.

Museumsdirektorin Antje Vanhoefen genießt still und allein die Ausstellung.

Museumsdirektorin Antje Vanhoefen, die mit dem Arnstädter Sammler die Ausstellung kuratiert hat, fühlt sich „wie an einem Gummiband.“ Die Ausstellung ist fertig, sie soll starten und „du kannst nicht loslaufen.“ Sie holt tief Luft und flüstert: „Das ist total schade, dass wir die Ausstellung nicht so zeigen können, wie sie jetzt aufgebaut ist.“ Von der ersten Idee bis zum vorläufig letzten Handgriff steckt ganz viel Arbeit in einer Sonderausstellung, die ein Besucher in der Regel nicht sehen, höchstens ahnen kann.

Christian Hühn redet am Telefon über seine Sammlerleidenschaft, die Idee für die Ausstellung und die Zusammenarbeit mit dem Schlossmuseum. Er sammelt Blechdosen und Emailschilder seit seinem siebten Lebensjahr, inspiriert von seinem Vater, der ebenfalls sammelt. Zuerst wird er auf dem Dachboden seines Elternhauses fündig, er stöbert bei Verwandten und Nachbarn, tauscht, um neue alte Stücke zu erwerben. Später kommen Trödelmärkte, Sammlerbörsen und Auktionen hinzu. „Wenn schon von Ferne mich ein Stück anlacht, ist das ein Glücksmoment“, beschreibt er seine Leidenschaft. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie, wechselte in eine Ausbildung zum Goldschmied, betreibt heute in Arnstadt ein Schmuckgeschäft und einen Antiquitätenhandel. Als Vorsitzender des Museumsfördervereins ist er dem Haus eng verbunden.

Die Idee für diese Ausstellung kam nach der letzten, sehr gut aufgenommen Schau, die Christian Hühn 2017 kuratierte. Damals präsentierte er im Schlossmuseum mit „Eine Epoche – drei Sammlungen“ eine Kollektion mit Jugendstil-Objekten, die u. a. aus der Sammlung seines Vaters stammen. Seine eigene, über vier Jahrzehnte aufgebaute Sammlung aus Blechdosen und anderen Verpackungen, Emailschildern, Plakaten und weiteren Werbeträgern sollte in einer umfassenden Schau für eine große Öffentlichkeit erlebbar werden. Mit den hochwertigen, gut erhaltenen Objekten soll eine Geschichte erzählt werden über Werbung und Verkauf von Alltagsprodukten, über künstlerisch inspirierte Entwürfe, über eine Zeit im Umbruch und Aufbruch, von Krisen und Krieg, über Menschen, wie sie lebten und was sie konsumierten.

Verführen zum Kaufen: Büchsen, Schackteln, Dosen und mehr.

Die mit über 1.000 Objekten überbordende, in dieser Fülle grenzwertige Ausstellung hat einen großen Schauwert, auch und vor allem die kleinen Dinge: Döschen, Büchsen, Schachteln und Handschmeichler aus Blech, Karton und anderen Materialien. Museumsdirektorin Antje Vanhoefen gewährt einen kurzern, exklusiven Einblick in die geschlossene Ausstellung, macht aufmerksam auf einzelne Objekte, nennt Namen von Gestaltern, erzählt kurze Geschichten dazu. Da eine Malztropon-Dose, entworfen von Henry van de Velde, der auch das gesamte Werbematerial für das Eiweißprodukt gestaltete. Das um 1925 von einem Unbekannten entworfene Emailplakat der Rudolf Ley AG Automobilfabrik Arnstadt schlägt den Bogen zu „goldenen Jahren“ einer großen Thüringer Industrietradition. Die „Weiße Dame“ auf dem Emailplakat wirbt für ein bekanntes Waschmittel, sie ist eine Werbe-Ikone. Die kleine, runde Verpackung in der Vitrine mit der 1925 entworfenen Zeichnung auf dem Deckel „La vache qui rit®“ ist noch heute das Markenzeichen des französischen Schmelzkäses „Die lachende Kuh“. Sie kollidiert symbolisch mit dem Corona-Virus in der Ausstellung in Arnstadt. Für Museumsbesucher ist sie leider geschlossen.

„Die lachende Kuh“ ist noch heute ein Markenprodukt in Frankreich.

Und jetzt? Wie gehen Sammler und Museumsdirektorin mit der sehr unbefriedigenden Situation um? Sie werben an der digitalen Litfaßsäule Facebook mit Ausstellungsfotos und Kurzinformationen. Sie haben erste Exemplare des Katalogs verschickt und positive Reaktionen erhalten. Es gibt telefonische Nachfragen aus Museen in Deutschland, die sich für die Ausstellung interessieren, berichtet Antje Vanhoefen. Beide hoffen, dass vielleicht ab Sommer Besucher die Ausstellung sehen können, mit Abstand zu anderen wie im Supermarkt, mit einer begrenzten Anzahl in den Museumsräumen, mit anderen notwendigen Einschränkungen. Das wäre auch ein Signal der zuständigen Exekutive, welche Wertschätzung Museen und Kultur in Thüringen in Zeiten der Krise genießen.

Das sagt Christian Hühn am Telefon und fügt hinzu: „Bis dahin werde ich mir immer wieder das selbstgedrehte Ausstellungsvideo anschauen“, für ihn eine moralische Aufmunterung. Diese Ausstellung muss man im Schlossmuseum Arnstadt gesehen haben.

Der Beitrag erschien mit anderer Überschrift in der Zeitung Freies Wort (Print, E-Paper)
und hier erstmals online. Fotos/Screenshot: miplotex

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