Schweigen und Reden

Zwölf Fragen der bündnisgrünen Stadtratsfraktion. Und keine Antworten von Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein. Das war vorhersehbar.

Eine „Aktuelle Stunde“ am 15. November im Erfurter Stadtrat. „Betroffenenperspektive in den Fokus der Aufklärung stellen“, formuliert die Stadtratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen. Es geht um Vorwürfe sexueller Übergriffe und Machtmissbrauch im Theater Erfurt. Die Tageszeitung Thüringer Allgemeine (TA) veröffentlicht am 21. Oktober in der Erfurter Lokalausgabe einen über die gesamte Seitenbreite laufenden Artikel.

Ausführlich in der Zeitung über die ganze Seitenbreite.

Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Mary-Ellen Witzmann, ermittelt in der Sache. Ihr liegen laut TA Anzeigen von sechs Personen vor. Die „Ermittlungen hinter den Kulissen“ führen zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Stadtverwaltung. Auf der einen Seite Frau Witzmann, auf der anderen Seite der Oberbürgermeister, der Kulturdezernent, Mitarbeiter von Rechtsamt und Öffentlichkeitsarbeit.

Der Streit eskaliert. Die Gleichstellungsbeauftragte wird erst freigestellt, dann von der Stadt fristlos gekündigt. Es gibt Stellungnahmen u. a. von Erfurter Stadtratsfraktionen, Frauen- und Gleichstellungsverbänden, Pressemitteilungen der Stadtverwaltung. Die TA und andere Medien berichten. Das ist der Auftrag von Journalisten und Redaktionen. Die öffentliche Debatte nimmt Fahrt auf.

Blaue Stunde. Hinein ins Erfurter Rathaus.

Die „Aktuelle Stunde“ im Stadtrat, es sind 44 Minuten, verläuft emotional, kontrovers und ohne Antworten auf die 12 Fragen. Belastbare Fakten und nachprüfbaren Quellen werden nicht genannt. Der Oberbürgermeister spricht als Vorletzter zweieinhalb Minuten lang, er sagt nichts Neues. Er dürfe sich aus rechtlichen Gründen nicht zur Kündigung der Gleichstellungsstellungsbeauftragten äußern. Punkt. Schluss. Schweigen.

Kulturdezernent Tobias Knoblich hat die „undankbare Rolle“ und muss „nach dieser verunglückten Situation“, so seine Worte, die Methodik der Aufklärung erläutern. Die ist bekannt, in Pressemitteilungen der Stadtverwaltung nachlesbar. Zwei neue Informationen gehen irgendwie unter.

Bereits am 14. November wird im Hauptausschuss des Stadtrates die Drucksache „Hinweisgeberschutzgesetz umsetzen!“ kurz aufgerufen. Sie soll am Tag darauf im Stadtrat abgestimmt werden. Aber die bündnisgrüne Fraktion stellt den Antrag zurück, nachdem kurzfristig eine Antwort der Stadtverwaltung vorliegt, die erst noch bewertet werden muss.

Das sogenannte Whistleblower Gesetz ist seit Juli 2023 in Kraft. Die Stadtverwaltung will ein Hinweisgebersystem bereits im März 2023 eingerichtet haben, eine interne Meldestelle zur Aufklärung interner Missstände.

Hinweisgeberschutzgesetz? Gesucht und nichts gefunden. Screenshots/Foto: miplotex

Über die Suchfunktion auf der Website der Stadt Erfurt und das Suchwort „Hinweisgeberschutzgesetz“ kommt die Antwort „keine Ergebnisse“. Eine spontane Umfrage unter Mitarbeitern der Stadtverwaltung Erfurt ergibt: Kennen wir nicht. Aber das Thema bleibt uns erhalten.

Zweite neue Information. Offenbar hat es jüngst im Theater Erfurt eine Personalversammlung gegeben, wie Dezernent Knoblich in einem Nebensatz einstreut. Dabei hat die mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragte Berliner Anwaltskanzlei „ein Tool“ vorgestellt, über das Mitarbeiter des Theaters anonym Informationen an die Kanzlei geben können. Näheres sagt Herr Knoblich nicht.

Die „Aktuelle Stunde“ im Stadtrat kann als Videomitschnitt (ab Minute 21:20) über die Internetseite der Stadt Erfurt nachverfolgt werden. Es lohnt sich, auf Zwischentöne und Nebensätze zu achten.

Bis Dezember 2023 sollen ein Zwischenbericht und / oder Abschlussbericht der Berliner Anwaltskanzlei vorliegen. Oberbürgermeister Bausewein will „hart durchgreifen“, wenn es erforderlich sein sollte. Bis dahin heißt es wohl: Abwarten.

Als ich nach der Debatte den Ratssitzungssaal verlasse, treffe ich auf eine Frau, begleitet von zwei Männern. Sie kommen von der Besuchertribüne die Treppe herunter , verlassen zügig das Rathaus.
War das Frau Witzmann, die entlassene Gleichstellungsbeauftragte?

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